Aktienmärkte:Darauf müssen Anleger nun achten

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Schwierige Zeiten auch für Anleger: Die Kursentwicklungen an den Aktienbörsen, hier in Frankfurt, sind unberechenbarer geworden. (Foto: Daniel Roland/AFP)

Private Geldanlage? So schwierig wie lange nicht: Investoren sind der Wende in der Geldpolitik, Rezessionsgefahren und Kriegsfolgen ausgeliefert. Sechs Dinge, die sie im Blick behalten sollten.

Von Malte Conradi, Jan Diesteldorf und Victor Gojdka, Frankfurt/München

In einer Welt der Krisen lässt sich denkbar schlecht Geld anlegen. Die Entscheidung, welchen Anteil ihres Vermögens Sparer in Aktien stecken sollten, war in den vergangenen Jahren selten so schwierig. Auf den Kurssturz in der Frühphase der Pandemie folgte dank Konjunkturprogrammen und freigiebigen Notenbanken eine ebenso heftige Gegenbewegung. Aber die Kursrallye der ersten beiden Pandemiejahre ist längst vorbei. Jetzt ist Krieg in Europa und die Weltwirtschaft von einer Rezession bedroht. Zugleich zehrt die Inflation Bargeld und Ersparnisse auf. Trotz dieser schwierigen Verhältnisse bleiben Aktienfonds die erste Wahl zum langfristigen Vermögensaufbau. Auf die nachfolgenden Dinge sollten Investoren dabei in nächster Zeit besonders achtgeben.

Die Gefahr einer Rezession

Viele Privatleute lässt das R-Wort zittern: Wenn es schlecht läuft, könnten Deutschland, Europa und auch die Vereinigten Staaten bald offiziell in eine Rezession schlittern. Corona-Lockdowns, Gaskrise und der Fachkräftemangel lassen viele Aktiensparer verunsichert zurück. An der Börse scheinen sich viele Analysten darum jedoch kaum zu kümmern, für den weltweit wichtigsten Börsenplatz USA erwarten sie im aktuellen Jahr ein Gewinnplus von 9,8 Prozent. Mit anderen Worten: Glaubt man den Analysten, ist alles wie immer.

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Für Anleger ist das eine delikate Lage, denn sollten die Experten ihre Gewinnschätzungen zusammenstreichen, dürften auch die großen Börsenbarometer leiden. "Das nächste Aktienmarktrisiko liegt in konkret negativen Gewinnrevisionen", sagt Börsenstratege Sven Streibel von der DZ Bank. Doch viele Privatanleger übersehen oft, dass die Kurse nicht eins zu eins der Konjunktur folgen. Trotz Warnsignalen und Lieferkettenproblemen können viele Konzerne gerade die Preise massiv heraufsetzen und verdienen weiterhin gut. Und selbst wenn sich die Wirtschaft eintrüben sollte, könnten Börsenprofis in diesem Jahr jubilieren: Leidet die Wirtschaft, könnten die Notenbanken ihre Zinsen nicht mehr so stark erhöhen. Aktien hätten dann weniger Konkurrenz von Zinsanlagen und eine unverhoffte Stütze. Kursgewinne trotz Krisensignale? Börse paradox.

Unsicherheitsfaktor Inflation

Für Verbraucher, die unter den gestiegenen Preisen leiden, ist es egal, ob die Inflation auf Jahressicht eine Nachkommastelle höher oder niedriger liegt. Viele Börsianer aber schauen genauer hin. So auch am vergangenen Donnerstag, als das Statistische Bundesamt erneut einen leichten Rückgang der Inflation meldete: Im Mai waren es gegenüber dem Vorjahresmonat noch 7,9 Prozent, im Juni 7,6 Prozent und im Juli 7,5 Prozent. Klingt nach Verharren auf hohem Niveau, bedeutet für die Börsen aber: Der Höhepunkt könnte erreicht sein. Und weil Aktienkurse Erwartungen an die Zukunft spiegeln, gehen sie nach oben. Die Börsianer erwarten nämlich einen weiteren Rückgang der Inflation, was bedeutet, dass die Zentralbanken die Zinsen womöglich doch nicht so stark anheben müssen. Das wiederum macht Aktien wie gesagt attraktiv, weil mehr Geld im Markt bleibt und festverzinsliche Anlagen als Alternative weniger verlockend sind. In den USA ist es noch nicht so weit: Dort stiegen die Inflationszahlen zuletzt noch. Nun hoffen Beobachter auch dort auf eine Trendumkehr.

Anhaltende Energiekrise

Ein wichtiger Grund für die Verunsicherung an den Börsen ist, dass so viel von einem einzigen Mann abhängt: Liefert Putin weiterhin Gas an Europa - und in welchem Umfang? Die deutsche Industrie und viele Haushalte sind abhängig von Brennstoff aus Russland. Wie sehr, das zeigt exemplarisch die Aktie von BASF, dem weltweit größten börsennotierten Chemieunternehmen: Vor zehn Tagen kam die Nachricht, dass die Gaslieferungen nach einer Wartungsunterbrechung wieder aufgenommen werden - die BASF-Aktie stieg. Kurz darauf die Nachricht, dass die Lieferungen gedrosselt würden - die Aktie sank. Wer also daran glaubt, dass Deutschland den Winter übersteht, ohne dass Gas rationiert werden muss, der findet etwa in gasabhängigen Firmen wie BASF möglicherweise eine lukrative Gelegenheit: Trotz zuletzt guter Geschäfte ist die Aktie relativ günstig, allein die Rendite aus der Dividende beträgt derzeit etwa acht Prozent. Zugleich gibt es aber auch Unternehmen, die von stark steigenden Preisen für Öl und Gas in Folge einer Knappheit profitieren könnten: Energieunternehmen, deren Gewinne unabhängig sind von russischen Rohstoffen, würden dann wohl im Wert steigen.

Schwankende Aktien-Bewertungen

In den vergangenen Monaten konnten selbst Anleger mit einem sehr breit gestreuten Risiko in ihrem Aktienportfolio Verluste nur begrenzen - ganz vermeiden ließen sie sich kaum. Der deutsche Leitindex Dax notiert um 16 Prozent niedriger als noch zu Jahresbeginn, der amerikanische S&P 500 um mehr als 15 Prozent, der weniger schwankungsanfällige weltweite Index MSCI World steht bei minus sieben Prozent. Die Kurserholung der vergangenen Wochen konnte das noch nicht ausgleichen. So umfassende Kursrücksetzer führen zu der Frage, ob denn Aktien auch mit Blick auf die Gewinnaussichten nun günstig bewertet sind. Das Sparkassen-Fondshaus Deka vermerkte jüngst optimistisch, Aktien würden wieder unter ihren historischen Durchschnittsbewertungen notieren, seien also im Verhältnis zu ihren Gewinnen günstiger geworden. Der Kapitalmarktexperte Norbert Keimling vom Vermögensverwalter Taunus Trust weist aber auf regionale Unterschiede hin: Während US-Aktien weiterhin relativ teurer seien als noch 2007, lägen deutsche Titel und Schwellenländeraktien nicht mehr weit von ihren Niveaus aus 2009 - dem Jahr der Finanzkrisen-Baisse. Anleger sollten hier wichtige Messgrößen wie das Kurs-Gewinn-Verhältnis und das Kurs-Buchwert-Verhältnis im Blick behalten.

China bleibt ein Risiko

Vier symptomfreie Corona-Infizierte reichten schon für einen neuen Lockdown in Wuhan. Die zentralchinesische Stadt, in der die Pandemie einst ihren Anfang nahm, riegelte vergangene Woche einen Bezirk mit einer Million Einwohnern kurzfristig ab. Chinas Behörden lassen keinen Zweifel daran, dass sie die Null-Covid-Politik fortsetzen werden. Ende vergangener Woche tagten hochrangige Parteivertreter, um unter anderem die konjunkturellen Aussichten zu besprechen. In staatlichen Medien hieß es danach lediglich, die Volksrepublik werde hart arbeiten, um das bestmögliche Ergebnis für die Konjunktur in diesem Jahr zu erreichen. Zuvor war stets noch die Rede vom offiziellen Ziel: 5,0 bis 5,5 Prozent Wirtschaftswachstum sieht der Plan der kommunistischen Partei Chinas vor. Das werde in diesem Jahr "kaum zu erreichen sein", sagt Marcus Hüttinger, Marktstratege von der Fondsgesellschaft Gané. So sehen das viele seiner Branchenkollegen. Während Chinas Wachstumsmotor nach der Finanzkrise 2008 und nach der geplatzten Dotcom-Blase 2001 noch die globale Konjunkturerholung antrieb, fällt die Volksrepublik dafür diesmal aus. In der starken Abhängigkeit westlicher Konzerne von China als Absatzmarkt und Produktionsstandort liegt ein besonderes Risiko. Investoren sollten deshalb Nachrichten und Daten aus China aufmerksam verfolgen.

Psychologie der Märkte

Eigentlich können Zahlen kaum lügen: Seit seinem Tief Anfang Juli ist der Dax rund 1000 Punkte geklettert, hat bereits mehr als fünf Prozent an Boden gewonnen. Viele Aktiensparer fragen sich dennoch, ob das bereits die endgültige Trendwende ist? Dabei können Sparer gerade in Bärenmärkten schnell in eine Psychofalle tappen, wenn die Kurse nicht nachhaltig steigen, sondern eine Erholung nur antäuschen. Im bunten Sprech der Börsianer ist die Rede vom "dead cat bounce": wenn eine tote Katze erst weit herunterfällt und auf dem Boden aufschlägt, dann noch einmal kurz nach oben abprallt - nur um am Ende doch auf dem Asphalt zu landen.

Die aktuelle Kurserholung beurteilen Börsenpsychologen kritisch: In einer US-Stimmungsumfrage sind zwar inzwischen deutlich weniger Anleger skeptisch als noch Anfang des Monats, neue Optimisten sind jedoch kaum dazugekommen. "Deutliche Kursanstiege gehen allerdings nicht ohne Käufer", sagt Thomas Altmann vom Fondshaus QC Partners.

Anleger sollten also beobachten, wie sich die Stimmungslage in den kommenden Wochen und Monaten entwickelt: ob neue Hiobsbotschaften für einen Schock sorgen und den erneuten Ausverkauf einleiten. Oder ob die Kurse so weit weitersteigen, dass die Anleger aus ganz anderem Grunde Angst bekommen: die Angst nämlich, Kursgewinne zu verpassen und zu lange an der Seitenlinie zu stehen.

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