Verkehr:Der Stoff, ohne den Diesel nicht fahren

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Achtung, in 300 Kilometern geht nichts mehr: Adblue-Anzeige in einem Diesel-Pkw. (Foto: Markus Rinke/imago)

Moderne Dieselmotoren springen ohne Adblue nicht an, vor allem Lkws brauchen große Mengen davon. Wegen der hohen Gaspreise stoppte der wichtigste deutsche Hersteller die Produktion. Die Logistikbranche setzt nun auf eine Exklusivvereinbarung.

Von Johannes Korsche und Christina Kunkel

Wenn die SKW Stickstoffwerke Piesteritz aufhören zu produzieren, könnte Deutschland ein Problem bekommen: "Plötzlich sind die Autobahnen leer und Lebensmittel kommen nicht mehr ins Supermarktregal", schreibt, ja droht das Unternehmen in einer Pressemitteilung. Der Grund: Die Stickstoffwerke aus der Lutherstadt Wittenberg sind einer von nur drei Produzenten von Adblue in Deutschland. Etwa jedes zehnte Auto in Deutschland braucht laut ADAC die Flüssigkeit, die aus Harnstoff und demineralisiertem Wasser besteht. Moderne Dieselmotoren springen ohne Adblue gar nicht erst an. Auch Lastwagen fahren größtenteils mit Diesel. Und die sogenannte letzte Meile in den Lieferketten ist immer noch fest in Lkw-Hand: Im vergangenen Jahr transportierten Lastwagen laut Statistischem Bundesamt 3,1 Milliarden Tonnen über die deutschen Straßen. Fehlt die durchsichtige Flüssigkeit, führt das also irgendwann zu leeren Supermarktregalen.

Auch wer privat einen modernen Diesel fährt, wird sich früher oder später mit Adblue befassen müssen. Für die Flüssigkeit gibt es einen extra Tank am Auto, der je nach Fahrzeugmodell zwischen acht und 33 Liter umfasst. Adblue hilft vereinfacht gesagt bei der Abgasreinigung, sorgt also dafür, dass aus dem Auspuff weniger schädliche Stoffe kommen. Je nach Tankgröße und Adblue-Verbrauch muss der Autofahrer erst nach mehreren Tausend Kilometern Harnstofflösung nachfüllen. Die Flüssigkeit kann man direkt an manchen Tankstellen zapfen, oder sich Kanister in verschiedenen Größen kaufen.

Auch der ADAC gab zuletzt Entwarnung

Die Preise für Adblue haben deutlich angezogen. Anfang des Jahres konnte man den Liter noch für unter einem Euro bekommen, aktuell verlangen Tankstellen im Schnitt fast das Doppelte, auch in größeren Kanistern werden pro Liter schnell mehr als zwei Euro fällig. Doch schwer zu bekommen ist Adblue momentan für Dieselfahrer noch nicht - zumindest nicht in den Mengen, die man für einen Pkw benötigt. Auch der ADAC gab zuletzt Entwarnung und sieht keinen Grund, Adblue in größeren Mengen zu hamstern.

Anders sieht es dagegen in der Logistikbranche aus. Dort brauchen die Diesel-Laster Adblue in deutlich größeren Mengen als Pkws. Pro hundert Kilometer verbraucht ein Lastwagen im Schnitt 1,5 Liter Harnstofflösung, das macht laut dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) etwa fünf Millionen Liter - jeden Tag. "Adblue ist das Lebenselixier der Logistikbranche", sagt Christopher Profitlich, Pressesprecher der SKW Piesteritz.

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Dementsprechend groß war die Aufregung, als SKW Piesteritz ankündigte, dass ihre Anlagen nicht wie geplant produzieren werden. SKW lud dazu Mitte September ein Video auf seiner Homepage hoch, ein Mitarbeiter mit Kind auf dem Arm ist da zu sehen. Da wollte ein Betrieb Aufmerksamkeit - und bekam sie. Die damaligen Gaspreise, noch dazu die damals diskutierte Gasumlage - "das hätte alles gekillt", sagt Profitlich. Denn Gas braucht das Unternehmen nicht nur als Energieträger, sondern auch als Rohstoff. Aus Methan stellt SKW Harnstoff her, die Basis für Dünger und Adblue. Dementsprechend hoch ist der Gas-Jahresverbrauch des Unternehmens: 14 Terawattstunden, das ist mehr als der durchschnittliche Jahresverbrauch von rund 770 000 Vier-Personen-Haushalten, wobei Profitlich diesen Vergleich nicht mag; Äpfel und Birnen, Industrie und Privathaushalte. Wichtiger ist für SKW ohnehin eine andere Zahl: 80 bis 90 Prozent der variablen Kosten kämen über die Gasrechnung. Steigt der Gaspreis ins Unermessliche, lohnt sich die Adblue-Produktion kaum mehr - oder die Preise dafür müssen steigen.

Grundsätzlich ein bedrohliches Szenario, allerdings gibt sich Markus Wolters, Hauptgeschäftsführer des DSLV Bundesverband Spedition und Logistik, entspannt: "Der Anteil der Kosten für Adblue an den Gesamtkosten des Straßengüterverkehrs ist - trotz einer Vervielfachung des Abgabepreises - gering." Anders als die hohen Dieselkosten seien die gestiegenen Adblue-Preise in seinen Augen daher "nicht marktpreisrelevant", soll heißen: vernachlässigbar. Und: "Derzeit verzeichnen wir keine nennenswerten Einschränkungen der Logistik aufgrund von Adblue-Engpässen", sagt Wolter.

Auch das Logistik-Unternehmen Dachser - der Jahresumsatz lag im Jahr 2021 bei mehr als sieben Milliarden Euro - geht davon aus, dass sich der Adblue-Markt wieder entspannt. "Eine generelle Verknappung und Verteuerung des AdBlue/Harnstoffs und auch eine gewisse Verunsicherung am Markt können wir bestätigen", teilt das Unternehmen mit. "Wir gehen aber von einer Entspannung der Lage aus." Es sei zudem bei Dachser noch nicht zu Engpässen gekommen. Dass es dabei bleibt, soll nun eine Exklusivvereinbarung zwischen SKW Piesteritz und dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) garantieren. Darin verpflichtet sich SKW, bei Versorgungsengpässen ein "zeitlich und mengenmäßig begrenztes Adblue-Kontingent" zu liefern.

Inzwischen produziert SKW wieder, mit halber Kraft zwar, aber immerhin. Der Gaspreis ist auf dem Spotmarkt, wo die SKW einkauft, in den vergangenen Wochen wieder enorm gesunken. Aber wann SKW wieder in voller Last produziert, kann das Unternehmen noch nicht sagen.

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