Abgasskandal:VW-Manager belastet Winterkorn schwer

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Der ehemalige VW-Vorstandschef Martin Winterkorn wird von einem Konzernmanager schwer belastet. Winterkorn soll früh über die Abgasmanipulation informiert worden sein. (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Ein hochrangiger VW-Techniker hat ausgesagt, der ehemalige Vorstandschef Martin Winterkorn habe früh von den Abgasmanipulationen erfahren.
  • Die Aussage ist fast 160 Seiten lang und ermöglicht ungewöhnlich tiefe Einblicke in das Innenleben des Konzerns und in dessen Abgasaffäre.
  • Volkswagen teilt mit, das beschriebene Treffen in Winterkorns Büro habe "so nicht stattgefunden".

Von Georg Mascolo, Klaus Ott und Nicolas Richter

Für seine Verhältnisse soll Martin Winterkorn sehr ruhig geblieben sein. Was denn die "Antriebsfritzen" nun wieder angestellt hätten, soll der damalige VW-Chef gefragt haben, so schildert es ein Beteiligter. Winterkorn war wegen seiner Zornesausbrüche gefürchtet, aber an diesem Tag, als er angeblich führende Ingenieure und Maschinenbauer in sein Büro in der Wolfsburger Konzernzentrale einbestellt hatte, da habe er nur "ein bisschen losgepoltert". Es sei ein seltsamer Termin gewesen, Winterkorns Büro hatte ihn ganz plötzlich per Telefon anberaumt, ohne Kalendereintrag, ohne Folien, ohne Protokoll. Ein Termin, der offenbar keine Spuren hinterlassen sollte. Die herbeizitierten Motorenentwickler hätten "Wiko", so hieß der Chef intern, dann offen gesagt, was Sache sei: dass VW bei Dieselfahrzeugen in den USA den Abgasausstoß manipuliere.

So hat Friedrich E., einer der führenden Techniker des Autokonzerns, nach Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR das angebliche Treffen der Staatsanwaltschaft Braunschweig geschildert. E. hat Winterkorn damit schwer belastet, schwerer noch, als das andere VW-Manager vor ihm getan haben. Der Vorstandschef hätte demnach bereits im Frühjahr 2015 im Detail von den Abgasmanipulationen gewusst. E. hat den Ermittlern in seiner öffentlich bislang nicht bekannten Aussage erzählt, er glaube, das Treffen sei im Mai 2015 gewesen. Winterkorn hat bereits wiederholt beteuert, er habe von den Dieselmanipulationen bis zu deren Auffliegen im September 2015 nichts gewusst: Er verstehe nicht, sagte er einmal, warum er "nicht frühzeitiger und eindeutig informiert" worden sei.

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Die Aussage über den mutmaßlichen Geheimtermin im Frühjahr 2015 ist bedeutsam und rätselhaft zugleich. Bedeutsam, weil die Aussage zur etablierten Firmenkultur von VW passt: Heikle Dinge würden bei VW nie schriftlich geklärt, hat der legendäre Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch als Zeuge bei der Staatsanwaltschaft ausgesagt. Bedeutsam ist die Aussage des Spitzenmanagers ferner, weil sie VW und Winterkorn in der Abgasaffäre noch mehr in Bedrängnis bringt. Der frühere Vorstandschef muss nun erst recht mit einer Anklage rechnen, weil er die Aktionäre im Unklaren gelassen habe. Und den Konzern könnten die Manipulationen noch mehr Geld kosten, zusätzlich zu den bisherigen Milliardenzahlungen in den USA. Zahlreiche Aktionäre klagen beim Oberlandesgericht Braunschweig auf insgesamt neun Milliarden Euro Schadenersatz, weil sie von VW zu spät über die Verstöße in den USA informiert worden seien. Volkswagen bestreitet das. Die Rechnung ist ganz einfach: Je früher Wiko Bescheid wusste, desto teurer kann es für das Unternehmen werden.

Rätselhaft ist die Aussage von E. hingegen, weil VW auf Anfrage dazu mitteilt, nach eigenen Erkenntnissen habe dieses Treffen "so nicht stattgefunden". Es handele sich "um eine einzelne Aussage von Herrn E., die weder von den Aussagen anderer angeblicher Teilnehmer noch durch andere Indizien belegt ist".

Die Aussage ermöglicht tiefe Einblicke in den Konzern

Winterkorn und sein Anwalt wollten sich auf Anfrage nicht zu E.s Angaben bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig äußern. Auch der Anwalt von E. nahm nicht Stellung. Die Aussage stammt vom 16. und 17. November 2017, sie ist fast 160 Seiten lang und ermöglicht ungewöhnlich tiefe Einblicke in das Innenleben des Konzerns und in dessen Abgasaffäre. Der Maschinenbauer E. hat in der Autoindustrie Karriere gemacht: Von VW ging es über Audi, Porsche und Daimler wieder zurück nach Wolfsburg, immer weiter die Treppe hinauf. Als Chef der Motorenentwicklung bei VW erfuhr E. laut eigener Darstellung im Ende 2014 durch einen Kollegen von den Abgasmanipulationen. Man betrüge in den USA, soll der Kollege gesagt haben.

Was dann geschehen sein soll, hat der Motorenspezialist, der noch immer bei VW tätig ist, den Ermittlern im Detail geschildert. Er redet da über Winterkorn und auch über dessen Nachfolger Matthias Müller und Herbert Diess; über Verwerfungen zwischen VW und der Tochter Audi; über mutmaßliche Tricksereien und Betrügereien; über interne Ermahnungen zu Beginn der Affäre, den Ball flach zu halten. Und darüber, wie er im Auftrag von Müller und Diess und mit einer Mannschaft von bis zu 250 Ingenieuren in allen möglichen Dieselmodellen nach jener Software namens "Defeat Device" gesucht habe, die dem Konzern erst hohe Entwicklungskosten erspart und später noch viel mehr gekostet hat. Weil die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand der Behörden richtig funktionierte und im Straßenverkehr abgeschaltet wurde. Prüfstandserkennung und Umschaltlogik hieß das. Diese Missstände zu beseitigen, war für E. aufreibend. Von sieben bis 23 Uhr war er laut eigener Aussage im Büro, 16 Mal flog er in die USA, am Wochenende dann Jetlag zu Hause.

E. ist derjenige, der für VW seinen Kopf hingehalten hat in den USA. Am 3. September 2015 gestand er den dortigen Umweltbehörden EPA und CARB die Verstöße. Im Moment der Beichte sei es mucksmäuschenstill gewesen, steht in seiner Aussage. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Den Auftrag zum Reden habe er wenige Tage vorher bekommen, von der Konzernspitze. Die Idee, dass er das machen solle, sei bei einer streng vertraulichen Runde in der letzten Augustwoche 2015 mit VW-Juristen entstanden. Vor dem Sitzungsraum hätten die Handys abgegeben werden müssen, damit auf keinen Fall etwas nach draußen dringe. Drinnen sei dann auch darüber diskutiert worden, ob man die Aktionäre informieren müsse, was damals aber nicht geschah. Als die Wahl, wer in den USA beichten solle, auf ihn fiel, habe er sich erst geweigert. Und sich dann selbst am nächsten Tag gesagt, okay, jetzt hänge er eh da so tief drin, jetzt fliege er hin und sage das. Ein Vorstandsmitglied soll zu ihm gesagt haben, die Guillotine hänge ganz hoch.

Der Motorenspezialist ist einer von etwa 40 Beschuldigten, gegen die die Staatsanwaltschaft Braunschweig vor allem wegen Betrugsverdachts ermittelt. Sie sollen verantwortlich dafür sein, dass den Kunden schmutzige Fahrzeuge als sauber verkauft worden seien. E. hat laut seiner Aussage wiederholt darauf gedrungen, den Betrug offenzulegen. Und er habe frühzeitig gewarnt, das Thema werde historische Ausmaße annehmen für VW. Die anderen hätten ihn angeschaut, als ob er von einem anderen Stern komme.

Ingenieure sollen verzweifelt nach einer Lösung gesucht haben

E. schildert die verzweifelten und vergeblichen Versuche jener Ingenieure, die manipuliert hatten, eine neue Software zu finden. Eine legale Software, die alle Probleme löse, bevor die US-Behörden alles entdecken. Er schildert, wie Wiko von alledem erfahren habe, spätestens bei dem angeblichen Geheimtreffen. VW bestreitet zwar, dass es den Termin so gegeben hat, lässt aber ein Hintertürchen offen. Selbst "wenn das Treffen stattgefunden hätte, würde dies nichts an der Gesamtsituation und der rechtlichen Einschätzung" ändern, mit der sich der Konzern beim OLG Braunschweig gegen die Milliardenklage vieler Aktionäre wehrt. In dem VW-Schriftsatz heißt es, das Abgasthema habe auch noch Anfang September 2015 aus damaliger Sicht "keine besondere Brisanz" gehabt. Es sei intern als "normaler, wenn auch aktuell durchaus schwieriger Behördengang" wahrgenommen worden.

Bei dem angeblichen Wiko-Treffen soll dies aber Monate früher ganz anders geklungen haben: Umschaltlogik, Prüfstandserkennung, Abgasmanipulation, all das soll dort besprochen worden sein. Inklusive Details. Sogar von 600 000 betroffenen Fahrzeugen sei schon die Rede gewesen. Winterkorn sei entgegen sonstigen Gepflogenheiten ruhig geblieben. Wenn der Chef das damals zum ersten Mal gehört hätte, wäre er ausgerastet, sagte E. den Ermittlern. Wiko galt als Choleriker und soll bei Anlässen dieser Art auch mal mit Ordnern um sich geworfen haben.

All diese Details, soll das alles erfunden sein? Vielleicht lässt sich ja der Widerspruch um dieses angebliche Treffen ganz einfach aufklären. Ein Insider, der tief drin steckt im Verfahren, hat eine Erklärung: Vielleicht irre sich E. nur im Zeitpunkt, und das Treffen habe im Juni oder Juli 2015 stattgefunden. Spätestens im Juli soll Winterkorn laut Aussagen mehrerer führender VW-Mitarbeiter von den Manipulationen erfahren haben. Ende Juli habe Wiko ihn angerufen, sagte E. aus. Er habe dem Chef dann gesagt, man schaffe das nicht. Man werde so schnell keine neue Software entwickeln können. Er, E., sehe eigentlich keine Chance mehr. Man müsse wirklich überlegen, das jetzt zeitnah offenzulegen.

© SZ vom 27.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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