Abgas-Untersuchungsausschuss:Weil will nichts gewusst haben

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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) als Zeuge vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss. (Foto: dpa)
  • Stephan Weil, Ministerpräsident von Niedersachsen, hat vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss ausgesagt, nicht früher als bekannt von der Diesel-Affäre gewusst zu haben.
  • Er bestreitet damit die Vorwürfe des VW-Patriarchen Ferdinand Piëch.
  • Weil beklagt außerdem, nur aus den Nachrichten von dem Skandal erfahren und erst auf eigene Initiative hin aus Wolfsburg Informationen bekommen zu haben.

Von Markus Balser und Max Hägler, Berlin

Dass Volkswagen guten Stoff für Drehbücher liefert, haben TV-Macher längst erkannt. Die Produktionsfirma des Schauspielers Leonardo di Caprio und die Paramount Studios haben sich schon kurz nach Bekanntwerden des Abgasskandals in den USA vor eineinhalb Jahren die Filmrechte für ein geplantes Buch über den Aufstieg und das Taumeln des Autokonzerns gesichert.

Dass Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in diesem Plot einen spannenden Auftritt bekommen würde, war hingegen nicht unbedingt zu erwarten. Er galt bislang als Randfigur. Die Regierungsparteien hatten ihn als eine Art Entlastungszeugen im Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestags geladen. Als einen, der für die Seriosität der Politik steht. Doch Weils Rolle wurde umgeschrieben.

Weil habe erst aus der Tagesschau von dem Skandal erfahren

Seit ein paar Tagen steckt Weil mittendrin in einer Geschichte um schmutzige Motoren und Intrigen. Sie nimmt ihren Lauf fernab von Berlin in Braunschweig. Vor knapp zwei Wochen wurde bekannt, dass Ex-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch mehrere Kontrolleure beschuldigt haben soll, viel früher von den Machenschaften bei VW gewusst zu haben, als bislang bekannt. Darunter auch Weil. Hätte der VW-Patriarch Recht, wäre das eine Katastrophe für den Konzern. Denn erst im September 2015 gab VW zu, ein Problem mit Dieselmotoren zu haben. Gerne hätten Leute aus seiner Partei Weil angesichts der aktuellen Entwicklungen wieder von der Zeugenliste des Ausschusses gestrichen, heißt es in der Opposition. Doch die wollte am Termin festhalten.

Und so nimmt der Zeuge Weil am Donnerstag in der Mitte des im Anhörungssaals E 700 im Paul-Löbe-Haus des Bundestags Platz. Ihm gegenüber sitzen ein gutes Dutzend Abgeordnete, die wissen wollen, was wahr ist in dieser Affäre, und was gelogen. Stephan Weil beginnt mit einer Schilderung des entscheidenden Wochenendes, die den Ausschuss erstaunt.

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An jenem Samstag, den 19. September, habe er nicht etwa von der Konzernspitze vom Riesenskandal erfahren, sondern am Abend aus der Tagesschau. "Ich konnte das nicht einordnen", sagt Weil. Einen Anruf aus Wolfsburg habe er nicht bekommen, dabei ist Weil gleich dreifach mit VW verbunden, wie er dem Ausschuss erklärt: Als Ministerpräsident des Stammlandes des weltgrößten Autokonzerns, als Mitglied des Aufsichtsrates dort und als Repräsentant eines wichtigen Minderheitsaktionärs. Niedersachsen hält 20 Prozent an dem Unternehmen. Enger geht es also kaum.

Aufregung ist Weil nicht anzumerken

Dennoch habe er über den Fall stets nur indirekt gesehen und gehört, so Weil. Am Montag schließlich habe er in Wolfsburg anrufen lassen - und erst dann, auf eigene Initiative hin, nach und nach das ganze Schlamassel geschildert bekommen: elf Millionen Autos mit betrügerischer Software. Einen "der größten Schadensfälle, auch Skandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte", nennt er es heute, der voll und ganz aufgeklärt werden müsse - wobei schnell klar gewesen sei, dass sich auch die Unternehmenskultur habe ändern müssen. Es habe ihn geärgert, dass der Vorstand ihn nicht früher eingebunden habe. Die Chefetage habe sich später dafür entschuldigt.

Weil antwortet ruhig, bittet oft um Konkretisierung der Fragen. Aufregung ist keine zu spüren. Die Vorwürfe Piëchs weist Weil scharf zurück.

Alle von Piëch genannten Personen hätten die Vorwürfe zurückgewiesen: Sowohl beiden mutmaßlichen Informanten, als auch die vier VW-Oberen, denen Piëch dann davon erzählt haben will. "Ich habe im September 2015 von Dieselgate erfahren - nicht früher", sagt Weil. Sechs Betroffene wehrten sich gegen die Geschichte, es stehe also sechs zu eins. "Ich meine sagen zu können, der Gegenbeweis ist erbracht", so Weil. "Wenn Herr Piëch das behauptet, ist es falsch." Er hätte übrigens auch nicht "den leisesten Anlass gehabt, etwas unter den Teppich zu kehren", sofern er von Piëch etwas erfahren hätte. Es sei zwar im Aufsichtsrat immer mal wieder um die USA gegangen, aber immer um die schlechten Autoverkäufe dort. Der Diesel oder Abgase hätten nie eine Rolle gespielt.

Ein anderer Zeuge hatte den Parlamentariern zuvor erklärt, dass nicht nur Volkswagen auffällig gewesen sei, und zwar schon seit einem Jahrzehnt: Alois Krasenbrink ist Leiter des Referats für nachhaltigen Verkehr beim Joint Research Center (JRC), der Forschungsstelle der EU. Bei eigenen Abgas-Messungen habe man bereits zwischen den Jahren 2007 und 2010 auffällige Werte bei Dieselautos festgestellt. Man habe dies etwa bei Modellen von Volkswagen (Golf, T5 Multivan), Fiat (Scudo, Bravo), Renault (Clio) und BMW (120d) bemerkt. Dies sei "sehr generell ein Problem von Dieselfahrzeugen".

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Das JRC hatte damals begonnen, Autoabgase auch auf der Straße zu testen: Die von Lkw auf Pkw übertragenen Messungen hätten sich für "praktisch alle Fahrzeuge" Abweichungen zwischen Prüfstandsdaten und realem Straßenbetrieb gezeigt. Zwischen den Jahren 2007 und 2011 sei das in fünf Publikationen und in verschiedenen Fachvorträgen öffentlich gemacht worden. Es habe damals aber noch keine konkreten Hinweise auf "betrügerische Absichten" gegeben.

Eher seien Zweifel an den eigenen Messverfahren entstanden und man habe an "eine wie auch immer geartete Optimierung" gedacht, etwa eine sehr geschickte Programmierung auf Laborumstände hin. Wenn es Abweichungen bei sechs von sechs Herstellern gebe, denke man nicht an Betrug. Er spricht es nicht aus, aber meint: Ein so großes Komplott, das wäre unvorstellbar. Weitere Messungen habe es jedenfalls nach ausführlichen internen Diskussionen nicht gegeben. Auch habe sein Team nicht die nötigen Kompetenzen gehabt, um die Auffälligkeiten aktiv weiterzuverfolgen.

Eine Hauptrolle im Dieseldrama sieht die Opposition im Deutschen Bundestag schon seit Monaten indes bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU). Grüne und Linke werfen der Regierung in der Affäre zu große Nähe zur Industrie und mangelnden Aufklärungswillen vor. Dobrindt weist alles zurück. "Keine andere europäische Regierung hat so eine Vielzahl von Messungen veranlasst", sagt der CSU-Mann. Die Bundesregierung und er selbst hätten erstmals am Wochenende des 19. September 2015 von Manipulationsvorwürfen gegen VW erfahren, wie Weil aus den Medien. Bei einem Treffen mit VW-Chef Martin Winterkorn habe er Einzelheiten erfahren und die Kanzlerin informiert. Auch der Bundesregierung gegenüber legte VW offenbar nicht alle Karten auf den Tisch. "Das Ausmaß der Affäre war uns da noch nicht klar", sagt Dobrindt.

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Das wurde dafür am Donnerstag deutlich. Alle Volkswagen mit manipulierter Abgasreinigung könnten Dobrindt zufolge in Deutschland bis zum Herbst umgerüstet sein. Das seien 2,5 Millionen Autos des Konzerns aus Wolfsburg. Die Hälfte habe inzwischen ein Software-Update, das die Abgasmanipulation beende. Die Aufklärung geht derweil weiter. Nächster Zeuge im Abgas-Ausschuss: Kanzlerin Angela Merkel.

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