Samstagsküche:Noch mehr absichtlich von Schädlingen befallener Käse

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Die Milben in den Kisten brauchen etwa 15 Grad und 100 Prozent Luftfeuchtigkeit, darum lüftet der Rentner jeden Tag die Kisten. Er wendet die Stücke, kratzt Milben, die festkleben, vom Käse, und füttert sie mit Roggenmehl, ihrer Lieblingsspeise, damit sie nicht den ganzen Käse auffressen. Milben sind heikel. In Kisten aus behandeltem Holz gehen sie ein, sie fressen keinen Quark mit Konservierungsstoffen, am liebsten Bioqualität und im Winter langsamer. "Das Silofutter, das vor allem Kühe im Winter hauptsächlich fressen, mögen sie nicht so gern", sagt Christian Schmelzer. Dafür muss sich sein Partner nicht sorgen, dass sie sich in seinem Haus ausbreiten. Sie haben keinen Grund, die Kisten zu verlassen.

Mindestens drei Monate reift der Käse in den Kisten. Dann ist er außen hellbraun und in der Mitte noch weiß und weich wie Quark. Nach einem halben Jahr färbt er sich bernsteinfarben und wird mittelfest. Nach einem Jahr ist ein Hartkäse daraus geworden, außen fast schwarz, mit deutlichen Fraßspuren. Anfangs schmeckt der Käse mild und nur außen bitter, nach längerer Reifung schrumpft der Käse und schmeckt wie ein besonders würziger Harzer Käse, intensiv nach Kümmel, außen bitter und nach Lakritz, mit einem langen Nachgeschmack, der auf der Zunge prickelt.

Traditionell isst man Milbenkäse in dünnen Scheiben auf einem gebutterten Bauern- oder Roggenbrot. Manche reiben ihn wie Parmesan über Pasta oder geben ihn ins Omelette. Ganz harten Käse reibt man mit einer Muskatnussreibe in etwas Butter und streicht die "Bummlerbutter" aufs Brot. Der Fernsehkoch Steffen Henssler richtete in der in Vox-Sendung "Grill den Henssler" einen Caesars-Salad mit Milbenkäse statt Parmesan an. Im Hotel Elephant in Weimar servierte der Sternekoch Marcello Fabbri ein Slowfood-Menü mit Milbenkäse und karamellisierten Honigbirnen als Dessert. Zum Käse trinkt man eher süße Weine wie Eiswein oder Müller-Thurgau, sagen die Hersteller, als Kontrast zum strengen Käse. Selbst trinken sie gern Pils dazu.

Für Pöschel und Schmelzer ist der Milbenkäse bis heute ein Hobby geblieben. Sie verkaufen ausschließlich online und verschicken europaweit. In der Käsetheke in einem Geschäft und auch zu Hause im Kühlschrank könnten die Milben auf andere Lebensmittel übergehen. Im Jahr verkaufen sie ein paar Tausend Stück, an Rentner, die den Käse von früher kennen, und Foodies, die damit ausgefallene Häppchen auf Partys servieren. Käse mit lebendigen Tieren ist maximal exotisch, ein kleines Abenteuer, Dschungelcamp auf dem Butterbrot.

Ihr Käse ist nicht der einzige, der absichtlich von Schädlingen befallen wird. Beim kugelförmigen Schnittkäse Mimolette aus Frankreich wird die Rinde von Mehlmilben angefressen. Nach der Reife werden die meisten Milben entfernt, trotzdem darf er seit 2013 nicht mehr in die USA importiert werden. Casu marzu (nach sardischem Dialekt: verdorbener Käse), ein überreifer Schafskäse aus Sardinien, reift so lange, bis er Maden enthält, die sich aus den Laiben schlängeln und mitgegessen werden. Von der EU wurde der Käse verboten, weil durch ihn Krankheiten übertragen werden können, und sogar als "potenziell tödlich" eingestuft. Die Sarden stellen ihn trotzdem her, aus Tradition und weil er als natürliches Potenzmittel gilt.

"Vielleicht müssten sie die Maden einfach kleiner züchten, wie unsere Milben, damit die EU den Käse erlaubt", sagt Pöschel dazu. Ihre Manufaktur wird ein bis zwei Mal im Jahr durch das Gesundheitsamt überprüft, außerdem schicken sie selbst Proben ins Labor. "Wir machten von Anfang an viele Untersuchungen mit Lebensmittellaboren, um die Unbedenklichkeit nachzuweisen. Im Gegensatz zu anderen Käsesorten ist der Keimgehalt beim Milbenkäse sogar äußerst niedrig", sagt Schmelzer. Der Ammoniak im Milbenspeichel hält Bakterien und Pilzkulturen fern, die Milben fressen Keime und tote Milben sowie jegliches Eiweiß. Darum müssen sich die beiden ihre Fingernägel ausbürsten, wenn sie mit den Händen in der Kiste gearbeitet haben. Die Milben würden unter den Nägeln weiterfressen und sie brüchig machen.

Sehr viele Menschen ekeln sich vor dem lebendigen Käse. Der Verbreitung schadet das nicht

In den zehn Jahren, in denen sie ihre Manufaktur betreiben, haben Pöschel und Schmelzer den Milbenkäse mit viel Öffentlichkeitsarbeit bekannt gemacht. 2003 war ein Stück auf der Internationalen Raumstation. Slowfood hat ihn 2006 in die "Arche des Geschmacks" aufgenommen. Die Initiative will Lebensmittel, Nutztierarten und Kulturpflanzen vor dem Verschwinden und Vergessen bewahren. Die New York Times hat über sie berichtet und Fernsehteams von ARD und ZDF. Jedes Jahr kommen Reisebusse mit ein paar Tausend Touristen, vor allem aus Deutschland, aber auch Japan, Russland und den USA, um auf dem Weingut in Würchwitz Wein und Milbenkäse zu verkosten. Die Forschung macht den Käse weiter bekannt. Mehrere Pharmaunternehmen experimentieren mit den Milben, weil sie gegen Hausstauballergien desensibilisieren sollen.

Trotz des Milbenmarketings bleibt der Ekelfaktor. Dem Geschäft schadet er nicht, macht sogar noch neugieriger. Immer wieder verlangen Kunden, dass vor dem Verschicken die Milben vom Käse entfernt werden. Helmut Pöschel legt dann eine Zahnbürste ins Paket - zum Selbstabbürsten.

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