Social Media:Wie ein New Yorker kleine Läden vor der Pleite bewahrt

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Wegen der Pandemie kommen viele Ladenbesitzer in New York in finanzielle Schwierigkeiten. Für einige von ihnen wird Nicolas Heller alias New York Nico per Instagram zum Retter.

Von Johanna Adorján

Wer New York in diesen letzten zähen Monaten nur via Internet besuchen konnte, musste sehr traurig werden. Aus der Ferne sah es fast aus, als wäre es mit dieser Stadt vorbei. Ein Geschäft nach dem anderen musste pandemiebedingt schließen. Unter vielen anderen waren so berühmte Institutionen dabei wie das legendäre Grabbeltischkaufhaus Century 21, das auf mehreren Stockwerken voller Überraschungen steckte; die Pegu Club Bar an der Houston Street mit ihrer unterkühlten Flüsteratmosphäre; das perfekt unprätentiöse Odessa Diner im East Village; das Yogastudio Yoga to the People am St. Marks Place, in dem jeder zahlte, was er sich leisten konnte (oder wollte). Und sogar das Met Breuer, die Erweiterung des Metropolitan Museum, die seit ein paar Jahren in diesem sagenhaft brutalistischen Marcel-Breuer-Bau in der Upper East Side untergebracht war. Alles zu, aus, bye-bye.

Doch eine Pandemie bringt auch Helden hervor. Zum Beispiel Nicolas Heller, 32 Jahre alt, gebürtiger New Yorker, besser bekannt unter seinem Instagram-Namen New York Nico. Nahezu im Alleingang rettete er viele alteingesessene Geschäfte vor der Pleite.

Nicolas Heller kommt aus einem kreativen New Yorker Elternhaus. Seine Mutter ist Grafikdesignerin, sein Vater war lange Art Director für die New York Times. Nicolas Heller studierte Film und ging anschließend in Richtung Dokumentarfilm und Werbung. Schnell bildete sich sein Schwerpunkt heraus: New Yorker. "Was ich an New York liebe", sagt er am Telefon, "und was New York für mich ausmacht, sind die Menschen, die hier leben."

Er dokumentiert Tänzer am Union Square, Geschäftsleute in China Town

Seit 2013 postet er auf Instagram Fotos und Videos von New Yorker Originalen, wie man so sagt. Menschen, die auffallen, sei es durch Aussehen oder Können. Tagein, tagaus zieht er mit seinem iPhone durch die Stadt, filmt Tänzer am Union Square, elegante Geschäftsmänner in China Town, Akrobaten im Tompkins Square Park. Einige seiner Videos gingen viral, etwa eines, auf dem der stadtbekannte Straßenkünstler Matthew Silver (man kann ihn sich in etwa vorstellen wie Jesus in einem Badeanzug) mit einem Fidget Spinner hantiert. Es folgten ihm mehr und mehr Leute, schließlich hatte New York Nico rund 200 000 Follower.

Und dann kam Corona.

"Es hat ein bisschen gedauert, bis mir klar wurde, dass ich mit meinem Instagram-Account etwas bewegen kann", sagt Heller. Zu Beginn der Pandemie veranstaltete er Wettbewerbe, um die Moral seiner hart von Covid-19 getroffenen Stadt oben zu halten. Suchte den besten New Yorker Akzent. Ließ ein besonders typisches New-York-T-Shirt gestalten. "Und dann kam die Sache mit Henry. Damit fing alles an."

Ein Freund hatte Heller erzählt, dass Henry Yao, der Besitzer eines kleinen, auf Taschen spezialisierten Army-Shops an der Houston Street, direkt neben dem jüdischen Delikatessenladen Russ & Daughters, vor der Pleite stand. Durch die Pandemie blieb Kundschaft aus, er konnte sich die Miete nicht mehr leisten. Kunden hatten ein Gofundme für ihn organisiert, eine Online-Spendenaktion, aber wenn kein Wunder geschah, würde er schließen müssen.

Nicolas Heller nahm sich der Sache an. Am 21. Juli 2020 postete er ein Foto von Yao in seinem Laden. "Henry Yao gehört zu New York, und das gilt auch für seinen Army & Navy Shop", stand dabei, und dass Yao sieben Tage die Woche alleine in diesem Laden anzutreffen sei. "Wegen der Pandemie und der hohen Mietkosten (mehr als 6000 Dollar im Monat), die Yao nicht schuldig sein will, hat er bald keine Einnahmen mehr." Es folgte der Link zu der Spendenaktion. Innerhalb von 48 Stunden kamen 20 000 Dollar zusammen. Zehn Tage später postete Heller ein Foto eines strahlenden Henry Yao mit der Bildunterschrift: "Business is boomin'!"

"Ich hatte vorher schon manchmal Werbung für kleine New Yorker Geschäfte gemacht", sagt Heller, "aber nichts ging je so durch die Decke wie der Post für Henry." Er glaubt, dass es am Timing lag. Alle waren deprimiert, alle verzweifelt: Endlich gab es eine Möglichkeit, etwas Gutes zu tun, und wenn es nur eine Überweisung von zehn Dollar war.

Zwei Wochen später rettete New York Nico den Laden Mercer St. Books. Eine kleine Buchhandlung gleich um die Ecke vom Angelika Film Center. Auch hier gab es eine von Kunden organisierte Spendenaktion, doch erst nachdem Heller auf diese hinwies, prasselte das Geld herein. Seither hat New York Nico, der inzwischen in New York auf der Straße erkannt wird, unter anderem Astor Place Hairstylists gerettet, einen Friseursalon mit einem viel fotografierten Schild im Eingang, das alle Sprachen aufzählt, die von der Belegschaft gesprochen werden (Italienisch, Russisch, Griechisch, Spanisch, Französisch, Polnisch, Usbekisch, Farsi, Portugiesisch, Bengalisch, Rumänisch - "and a little English").

Außerdem hat er dem ukrainischen Restaurant Veselka helfen können, das seit 1954 im East Village existiert und noch heute, nachdem längst Celebrities wie Daniel Craig und Rachel Weisz um die Ecke wohnten, daran erinnert, dass in diesem Viertel einst Borschtsch gegessen wurde. Er half dem Saigon Imbiss in der Broome Street, in dem es köstliche Banh Mi Sandwiches gibt. Und Grandma's Place, einem Spielzeug- und Kinderbuchladen in Harlem, dessen Inhaberin eine bezaubernde 81-Jährige namens Dawn Harris-Martine ist. Sie war 17 000 Dollar Miete schuldig, weil sie ihren Laden coronabedingt mehrere Monate hatte schließen müssen; ihre Enkeltochter hatte eine Spendenaktion für sie organisiert. Nachdem New York Nico ihre Notlage auf Instagram publik machte, kam fast über Nacht das Dreifache zusammen. Sie wird nun nicht nur ihren Laden halten können, sondern hat auch noch einen Bus gekauft, um eine fahrende Leihbücherei für sozial schwache Kinder in Harlem anzubieten.

Glückliche Geschichten sind dieser Tage sehr gesucht, gerade auch online, wo doch auf der ganzen Welt Menschen in ihren jeweiligen Lockdown-Situationen mit geröteten Augen auf ihre Displays starren. Inzwischen folgen Nicolas Heller auf Instagram 570 000 Menschen. Seine jüngste Aktion ist eine Kooperation mit einem Turnschuhhersteller, deren Erlös einem der wenigen verbleibenden New Yorker Zeitschriftenläden zugutekommt (Casa Magazines, 8th Avenue).

Was New York angehe, sei er wieder etwas optimistischer, sagt er. "Es ist noch nicht wieder gut, aber es geht aufwärts, würde ich sagen. Ich fühle mich ruhiger." Vielleicht kann er das mit den Rettungsaktionen bald lassen und sich wieder auf sein Kerngeschäft konzentrieren. New Yorker.

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