Modewoche:Mode für Schwarzseher

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Absolut cool und geradlinig sind auch diese Entwürfe. Erst das Strickmuster sorgt für etwas Aufregung. (Foto: REUTERS)

Schwarzes Leder, Springerstiefel, Stacheln: Das ist die modische Antwort auf Rechtspopulismus, globale Konflikte und künstliche Intelligenz. Eindrücke von der Fashion Week in Mailand.

Von Silke Wichert

Mailand ist nach New York und London die dritte Station im Schauen-Wanderzirkus. Hier wird immer noch das große Geld gemacht - aber irgendwann auch mal wieder avantgardistische Mode? Zur allgemeinen Erleichterung stand Gucci wieder an Tag eins auf dem Programm, nachdem die Marke vergangene Saison kurzzeitig nach Paris emigriert war.

1. Der Letzte seiner Art

Karl Lagerfeld verstarb nur einen Tag vor Beginn der Mailänder Modewoche, das erste "trending topic" war also gesetzt: Moderedakteure übertrumpften sich gegenseitig mit gemeinsamen Fotos und persönlichen Anekdoten über die Designerlegende. Alessandro Michele erzählte nach der Gucci-Show, dass Lagerfeld ihn zu gemeinsamen Fendi-Zeiten "den DJ" genannt habe, weil er immer Musik hörte. Dann blickten deutlich mehr Leute als sonst auf das Defilee des Hauses, für das der Deutsche 54 Jahre lang gearbeitet hatte. Fendi verabschiedete sich mit einem kurzen Video und einem schwarzen "F" mit Herzchen, so stil- wie stimmungsvoll - und am Ende stand Silvia Venturini Fendi zum ersten Mal allein auf dem Laufsteg.

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Umso emotionaler fiel deshalb auch ein anderes Finale aus. "Wie alt ist Giorgio Armani noch mal?", lautete die häufigste Frage am Rande seiner Show vergangenen Samstag. Die Antwort: 84, nur ein Jahr jünger als Lagerfeld. Auch Yves Saint Laurent und Hubert de Givenchy sind bereits abgetreten, der Italiener ist der letzte große, noch aktive Couturier; zumal in einem Haus, das seinen Namen trägt, während anderswo alle paar Jahre die "Creative Directors" ausgewechselt werden. Nach Aufhören sieht es bei ihm jedoch gar nicht aus: Armani, der meist nur einen Schritt hinaus auf den Laufsteg setzt, lief diesmal zusammen mit dem letzten Model die komplette Runde ab.

2. Altes Céline? Neues Bottega!

Das wichtigste Debüt der Saison war dann auch gleich das meistdiskutierte: Der gerade mal 33-jährige Brite Daniel Lee zeigte in einem Zelt am Arco della Pace seine erste Show für Bottega Veneta. Wer keine Ahnung hat, wofür die Marke bisher stand - macht nichts, ist jetzt auch egal, die Richtung ist nämlich komplett neu, allerdings nicht so, wie die meisten es erwartet hatten. Lee war vorher die rechte Hand von Phoebe Philo bei Céline, die nach ihrem Abgang dort eine gewaltige Lücke im Markt hinterlassen hat. Viele hatten deshalb sehnsüchtig auf Alte-Céline-Ästhetik gehofft, aber Lee traute sich, einen eigenen Weg einzuschlagen, auch wenn die Gangart teilweise brachial ausfiel: Schwarze Bikermontur, schwere Boots, Oversized-Schnitte.

Balmain

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(Foto: Getty Images)

Stachlig wie eine Rose, kantig wie eine Pyramide, düster wie eine Gefährtin aus der Unterwelt: Mit dieser Woman in Black ist nicht zu spaßen.

Balmain

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(Foto: Getty Images)

Selbst die Handtasche mag man kaum anfassen - eine clevere Abwehr gegen diebische Hände.

Prada

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(Foto: imago/i Images)

Immer geradeaus: Militaryjacken, Springerstiefel und Frankenstein-Prints sind Miuccia Pradas Antwort auf rechtspopulistische Parteien, globale Konflikte und künstliche Intelligenz.

Dolce & Gabbana

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(Foto: Getty Images)

Die Braut trägt schwarz. Doch vielschichtige Stofflagen, zarte Spitze und überdimensionale Blüten erzählen von der sinnlichen Herangehensweise des Designer-Duos.

Giorgio Armani

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(Foto: Getty)

Seit Karl Lagerfelds Tod ist der 84-jährige Italiener der letzte große, noch aktive Modedesigner in einem eigenen Haus. Und er kann es noch immer.

Giorgio Armani

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(Foto: Getty Images)

Streng geschnitten, in engen Reihen versteppt, wirkt der Entwurf aus Leder unfassbar feminin.

Bottega Veneta

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(Foto: AFP)

Nicht so die Kreationen des jungen Daniel Lee, der frisch aus dem Hause Céline kam: Mit Bikermontur, schweren Boots und Oversized-Schnitten wagte der 33-jährige Brite neue Wege mit einer eigenen Ästhetik.

Etro

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(Foto: Getty)

Die Idee hätte von Karl Lagerfeld sein können: Hauchzarte Spitze über floralen Mustern macht aus einem Blumenkleid eine Robe.

Jil Sander

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(Foto: Getty Images)

Das einst deutsche Label gehört inzwischen einer japanischen Holding, die Entwürfe stammen von einem kanadisch-schweizerischen Ehepaar. Die Kollektion wirkt so unaufgeregt, dass einen schon das Tragen der Teile entspannen dürfte.

Gucci

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(Foto: Getty Images for Gucci)

Selbst ein Platzhirsch wie Gucci zeigte sich deutlich düsterer und aggressiver als gewohnt.

Gucci

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(Foto: dpa)

Akustisch untermalt mit Kampfhundegebell, trugen die Models Halsbänder mit langen Dornen, verbargen ihr Gesicht hinter Masken oder hatten Tränen aufgemalt.

Etro

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(Foto: REUTERS)

Klassische Elemente, zeitgemäß interpretiert: Trotz älterer Models wie Farida Khelfa und Tatjana Patitz kam das Label überraschend jung daher.

Tod's

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(Foto: Daniel Dal Zennaro/EPA-EFE/REX/S)

Auch das Label, das hauptsächlich für seine Schuhe, Handtaschen und Lederaccessoires bekannt ist, wirkte moderner als sonst.

Tod's

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(Foto: AFP)

Überaus gewagt auch die Platzierung der charakteristischen Noppen am Schuhwerk: diesmal nicht außen im Fersenbereich, sondern als dekoratives Element im Mittelbereich der Sohle.

Balmain

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(Foto: Getty Images)

Designer Olivier Rousteing überraschte mit Gegensätzen zwischen eckigen und runden geometrischen Formen, Strenge und Freizügigkeit, weiblichen und männlichen Attributen - alles in Schwarz.

Dolce & Gabbana

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(Foto: REUTERS)

Wer glaubt, in Mailand ging es durchwegs trist zu, der irrt: Dolce & Gabbana zelebrierten den Farbenrausch und die Lebenslust einer Frida Kahlo.

Manches sah am Bügel fantastisch gefertigt aus, wirkte am Model jedoch seltsam unförmig. Besser funktionierten die Strickoberteile und Jacken mit goldenen Ketten oder Schließen, Kleider mit Trapez-Ausschnitt (ohnehin ein großer Trend) und die Männer-Looks mit subtilen, smarten Details. "Wer auch immer diese Idee aufgebracht hat - wir sind nicht Céline und wir wollen es auch nicht sein", stellte der frühere Boss- und aktuelle Bottega-Geschäftsführer Claus-Dietrich Lahrs einen Tag nach der Show noch einmal klar. Dann fügte er schnell hinzu: "Aber falls wir die Kundin kriegen, haben wir natürlich nichts dagegen." Zumindest bei Taschen und Schuhen dürfte sie sich fast wie zu Hause fühlen.

3. Hart, härter, hardcore

Headbanging im Publikum bei einer Modenschau - das hat man länger nicht gesehen, diese Saison dafür gleich mehrmals. Bei Prada dröhnte Marilyn Manson aus den Boxen, bei Marni gruseliger Katzenjammer, bei Versace "Smells like Teen Spirit" von Nirvana. Dass die grellgrünen und orangefarbenen Kleider und Pullover mit Sicherheitsnadeln Luxus-Grunge nach Donatella-Art sein sollten, musste man dann praktischerweise niemandem mehr erklären. Harter Sound für harte Zeiten: Miuccia Prada sagte nach ihrer Show, sie sei sehr besorgt über den aktuellen Zustand der Welt, über den Erfolg rechtspopulistischer Parteien, die globalen Konflikte und die Risiken künstlicher Intelligenz. Ihre Antwort darauf waren Militaryjacken, Springerstiefel mit seitlichen Taschen daran, Wednesday-Addams-Zöpfe und - wie schon bei ihrer Männershow im Januar - Frankenstein-Prints.

Diesmal bekam Frankenstein allerdings seine Braut zur Seite gestellt. Horror vs. Romantik: Bei Prada ist Mode nie eindimensional, sondern immer ambivalent. So werden die Stoffbahnen der eleganten Filzkleider mit Karabinerhaken an der Taille eingehängt oder mit selbigen wie eine Stola an der Schulter festgemacht, Kleider mit Blumenprint bekommen zusätzlich dreidimensionale Blüten aufgesetzt - die allerdings auch nur halbfrisch vom Friedhof stammen könnten. Selbst Gucci zeigte sich deutlich düsterer, aggressiver als sonst. Die Show eröffnete mit Kampfhundegebell, viele Models trugen Masken oder Halsbänder mit langen Dornen, einige hatten Tränen aufgemalt. Alessandro Michele erklärte, jedes Wesen trage eine gewisse Wildheit in sich, er spüre sie in sich selbst, wann immer er das Schöne, die Kultur, das gesammelte Wissen bedroht sehe und diese verteidigen wolle. Die gute Nachricht lautet also: Die Mode befasst sich mit der Realität. Die schlechte Nachricht: Auch damit wird nicht jeder klarkommen, es wird auch nicht jeder wahrhaben wollen.

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4. Ciao Bella!

Mailand erlebt gerade so etwas wie eine Renaissance. Nein, nicht die Mode, nicht der Fußball, die Stadt ausnahmsweise. Sonst gern als hässlich geschmäht, wird sie plötzlich als Ort mit der höchsten Lebensqualität in ganz Italien geführt. Wer von Show zu Show fährt, die gern mal an entgegengesetzten Polen der Metropole stattfinden, kann zumindest bestätigen, dass sich architektonisch viel getan hat. Wenn man das auch mal von der Fashion Week behaupten könnte. Kaum neue Namen auf dem Plan, außer der Streetwearbrand GCDS, Act No1 und The Attico vielleicht. Letztere zeigten ihre discotauglichen Kleider diesmal in einer alten Garage mit Models vor schneller Motorhaube - so viel zum Thema Innovation.

Immerhin die Großen halten das Niveau hoch: Prada, Gucci und Versace sind alles gut geölte Maschinerien. Und auch die eher klassisch italienischen Labels lieferten eine ihrer besseren Saisons ab. Tod's sah schon lange nicht mehr so anziehend aus, Etro lange nicht mehr so jung, obwohl viele ältere Models wie Farida Khelfa und Tatjana Patitz über den Laufsteg liefen. Bei Salvatore Ferragamo gab es Tunnelzüge an Jacken- und Manteltaillen, buttrigweiches Leder, einen neuen Logoprint auf Taschen und Schuhen. Alles Dinge, die einen wahrscheinlich nicht bei Instagram, aber - siehe Mailand - in Sachen Lebensqualität nach vorne bringen. Kann bei Mode ja auch nicht schaden.

6. Deutsch-italienische Freundschaften

Jil Sander wird von Deutschen immer noch gern als "deutsches Label" bezeichnet, obwohl es längst einer japanischen Holding gehört, das Atelier in Mailand sitzt und mittlerweile von einem kanadisch-schweizerischen Ehepaar entworfen wird. Egal, man würde sich den Namen halt so gern auf die Fahne schreiben: Was Lucie und Luke Meier in einer alten Panettone-Manufaktur servierten, entfaltet schon beim bloßen Zuschauen eine geradezu meditative Wirkung. Stoffe, Schnitte, Farben - alles so unangestrengt, sinnlich und selbstverständlich, dass man in solchen Kleidern bestimmt ein entspannterer Mensch wäre. In diesen Zeiten ja durchaus ein gefragter Zustand, weshalb die Umsätze bei Jil Sander endlich wieder nach oben gehen.

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Dann gibt es da noch dieses andere deutsche Label, das in der Schweiz angemeldet ist, diese Saison ausnahmsweise nicht in Mailand, sondern in New York zeigte, und offensichtlich ein sehr italienisches Label kaufen möchte: Die Rede ist vom Münchner Philipp Plein, der nach seinem Einstieg bei Billionaire Couture als nächstes Roberto Cavalli im Auge hat. Blicken ließ sich Plein bei der eher belanglosen Show nicht, dementiert wird die Geschichte allerdings auch nicht. Ästhetisch wäre man jedenfalls auf einer Linie und könnte die Swarovski-Steine dann in noch größeren Mengen noch günstiger einkaufen: Economies of Bling.

5. War was?

Verdrängung ist auch eine Form der Vergangenheitsbewältigung. Dolce & Gabbana machten mit ihrer ersten Women's Wear Präsentation nach dem China-Debakel (in einem kurzen Werbevideo hatte ein chinesisches Modell Spaghetti und Cannelloni mit Stäbchen gegessen) einfach weiter wie gehabt: schwarze Spitze, Blumen, Leo-Muster dazu, Krönchen oben drauf - Dolce Vita in der Endlosschleife. Moment, nein, eine Neuerung gab es doch. Diesmal führte ein Conférencier durch das Defilee und pries die "feminine Eleganz", die schon andere große italienische Meister perfektioniert hätten: "Raffael, Michelangelo, Botticelli ..."

Überflüssig zu erwähnen, mit welchen zeitgenössischen Genies die Reihe fortgeführt wurde. Interessante Krisenstrategie, die sich die beiden da zurechtgelegt haben. Das Problem: Der Rest der Welt hat die Sache noch nicht ganz vergessen. Draußen vor dem Metropol-Theater herrschte weniger Andrang als sonst, im Publikum fehlten zahlreiche chinesische Journalisten, einige Influencer blieben fern, weil sie Kritik ihrer Anhänger fürchteten. Immerhin waren die aus aller Welt eingeflogenen Stammkunden wie gewohnt entzückt. Wie ein nicht-italienischer Großmeister gesungen hätte: "That's Amore."

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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