Abschied vom Elternhaus:Wie man sein Elternhaus möglichst stressfrei auflöst

Lesezeit: 6 min

Blümchensessel und röhrender Hirsch: Was früher kitschig und altbacken wirkte, kann nach dem Tod der Eltern zu einem wichtigen Erinnerungsstück werden. Was tun damit? (Foto: Uwe Kraft/Imago)

Viele Erinnerungen, jede Menge Gegenstände und die Frage, was damit geschehen soll: Viele Menschen fühlen sich davon überfordert, ihr Elternhaus aufzulösen. Die Pädagogin Christina Erdmann erklärt im Interview, wie man diese komplizierte Aufgabe meistert.

Von Stephanie Schmidt

Das waldgrüne Cord-Sofa aus den Siebzigerjahren steht noch immer im Wohnzimmer. Seine Polster sind abgeschabt, und doch ist es in der eigenen Wahrnehmung etwas Besonderes. Was war das schön, als man als Kind, in den Arm der Mutter gekuschelt, auf dem Sofa saß und sie Geschichten aus ihrer Jugend erzählte. Und die Küche mit den altmodischen Spitzenvorhängen am Fenster, wo der Vater an Festtagen sein legendäres Hirschragout zubereitete. Doch auf einmal ist das Haus verwaist, beide Eltern sind gestorben. Und da steht man mit einem Bündel von guten oder weniger guten Erinnerungen vor einem Sammelsurium von Gegenständen, die aus dem Haus entfernt werden müssen. Die Frage, die vielen in dieser Situation durch den Kopf geht: Wie soll ich das nur schaffen? Für diese große Aufgabe hat die promovierte Diplompädagogin Christina Erdmann, die seit mehr als 20 Jahren als Führungskräftecoach arbeitet und seit einiger Zeit Menschen beim Auflösen ihres Elternhauses begleitet, eine spezielle Vorgehensweise entwickelt. Sie beschreibt diese in dem Sachbuch "Adieu Elternhaus. Elternhaus auflösen - sortieren, wertschätzen, loslassen", das am 15. August im Verlag Rowohlt Taschenbuch erscheint.

SZ: Frau Erdmann, wie kamen Sie darauf, ein Buch über den Abschied vom Elternhaus zu schreiben?

Christina Erdmann: Weil das für Angehörige der Baby-Boomer-Generation ein riesiges Thema ist, man muss sich ja nur im Bekanntenkreis umhören. Der Auslöser war aber meine persönliche Erfahrung: Meine Eltern konnten irgendwann nicht mehr allein in ihrem Haus leben und mussten in eine seniorengerechte, viel kleinere Wohnung umziehen. Damals haben meine Schwester und ich unseren Eltern vor allem bei den organisatorischen Dingen geholfen. Die allermeisten Entscheidungen, was mit ihrem Hab und Gut passieren solle, haben sie selbst getroffen. Alles in allem hat das gut geklappt, aber es war auch immer wieder emotional schwierig und für uns alle ungemein anstrengend. Danach habe ich Freunden und Bekannten immer mal wieder Tipps gegeben, wie sie in ihren eigenen Elternhäusern vorgehen könnten. Irgendwann kamen dann auch Menschen auf mich zu und fragten, ob ich sie nicht bei diesem Thema begleiten und coachen könnte.

Was ist der häufigste Fehler, den Menschen machen, die vor dieser herausfordernden Aufgabe stehen?

Viele denken "Ich muss gleich anfangen, so viel wie möglich wegzuschaffen." Das klappt in den meisten Fällen nicht. Ich empfehle stattdessen: Kümmern Sie sich erst einmal um sich selbst und nicht gleich um die Dinge Ihrer Eltern. Überlegen Sie sich zum Beispiel zuerst einmal: Was verbinde ich mit dem Haus? Was war wunderbar? Was war schrecklich? Notieren Sie sich, welcher Raum oder welcher Gegenstand eine besondere Bedeutung für Sie hat. Welche Gerüche verbinden Sie mit dem Haus oder der Wohnung? Wie ging es Ihnen mit bestimmten Ritualen, die es dort gab? Machen Sie außerdem Fotos von Ihrem Elternhaus. Diese Aufnahmen können für Sie später zu einem wertvollen Erinnerungsschatz werden, der Ihnen aber auch hilft, zu erkennen, von welchen Gegenständen Sie sich endgültig verabschieden wollen. Das Verrückte ist, dass sich die Dinge verändern, sobald die Eltern nicht mehr da wohnen: Vielleicht hatte man oft zur Mutter gesagt: "Schmeiß' doch mal diese olle Häkeldecke weg." Aber jetzt ist sie plötzlich ein wichtiges Erinnerungsstück geworden.

Was sollte man ganz am Anfang unbedingt noch tun?

Klären Sie auf jeden Fall Ihre rechtliche Situation, ganz besonders dann, wenn Sie keine Vollmachten von Ihren Eltern haben. Wenn es mehrere Erben gibt, und die Eltern das Erbe nicht klar geregelt haben, empfehle ich, unbedingt mit einem Fachanwalt für Erbrecht zu sprechen. Ideal wäre es, wenn sich alle Beteiligten noch zu Lebzeiten der Eltern gemeinsam von einem Rechtsexperten beraten lassen, um Streitigkeiten beim Auflösen des Elternhauses vorzubeugen. Aber dass sich Söhne und Töchter zusammen mit den Eltern beraten lassen, ist leider eher die Ausnahme. Streit entsteht oft selbst über vermeintlich banale Fragen: Wer darf bestehende Versicherungen oder dem Vermieter kündigen oder einen Makler beauftragen? Widerstehen Sie daher auch der Versuchung, Erinnerungsstücke wie das Lieblingsbuch des Vaters mitzunehmen, solange die Rechtslage noch unklar ist. Vielleicht müssen sie sogar erst noch klären, ob Sie Ihr Elternhaus überhaupt noch betreten dürfen. Wenn Ihre Eltern Ihre Schwester zur Alleinerbin gemacht haben, kann das eine wichtige Frage werden. Das deutsche Erbrecht ist sehr komplex. Eine schnelle Internetrecherche hilft da zumeist nicht weiter, um die individuelle rechtliche Lage verlässlich einschätzen zu können.

Sein Elternhaus aufzulösen, das verbinden Sie mit dem bildlichen Ausdruck "Feuer und Wasser" - Emotionen treffen auf Fakten. Was gehört noch zu Letzteren?

Auch wenn Sie vielleicht erst zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden werden, ob Sie das Haus verkaufen oder vermieten oder selbst bewohnen wollen, sollten Sie frühzeitig nach den dafür notwendigen Dokumenten Ausschau halten. Das sind zum Beispiel Grundrisse, Nebenkostenabrechnungen, der Energieausweis oder auch alte Baugenehmigungen, die belegen, dass die Eltern vor Jahrzehnten keinen Schwarzbau im Garten errichtet haben. Aber auch Vertragsdokumente der Eltern sind wichtig, um zu entscheiden, welche Verträge man kündigen und welche man weiterlaufen lassen sollte.

Sobald klar ist, wer was tun darf, kann das große Sortieren und Ausräumen beginnen. Wie stellt man das klug an?

Die meisten Menschen arbeiten sich Raum für Raum durch ihr Elternhaus. Ich empfehle stattdessen, nach Kategorien vorzugehen, also zum Beispiel alle Bilder in allen Räumen von den Wänden zu nehmen und gegebenenfalls für den Transport nach Hause zu verpacken. Um damit diese eine Aufgabe endgültig abzuschließen. Es bietet sich auch an, eine Art von Sammelplatz im Elternhaus einzurichten: Wenn man dort alle Gegenstände einer Kategorie zusammenführt, wird einem schneller klar, welche Stücke wirklich einen Erinnerungswert haben, als wenn man Zimmer für Zimmer leert und sich diese Frage bei jedem einzelnen Stück wieder und wieder stellen muss.

Wie geht es weiter, nachdem man die verschiedenen Dinge bestimmten Gruppen zugeordnet hat?

Um sich leichter entscheiden zu können, was mit all den Gegenständen im Elternhaus geschehen soll, wendet man am besten das Prinzip der "fünf Vs" an - Verwenden, Verarbeiten, Verkaufen, Verschenken, Vernichten. Verarbeiten kann bedeuten, dass man ein Möbelstück repariert oder upcycelt, um es dann zum Beispiel der eigenen Tochter für ihre Studentenbude zu überlassen. Verwenden heißt, dass ein Gegenstand einen neuen Platz bei Ihnen zu Hause finden wird. Denken Sie bei jeder anstehenden Entscheidung vor allem daran, welche Konsequenzen sie für Sie persönlich hat. Stellen Sie sich zum Beispiel Ihren Keller nicht mit zwanzig Umzugskisten zu, in denen sich Dinge befinden, die Sie später mal auspacken und verwenden wollen. Das wird vermutlich nie passieren.

Womit fängt man beim Ausräumen am besten an?

Sie brauchen einen Anfangserfolg, der gibt Kraft für kompliziertere Aufgaben. Beginnen Sie dabei mit einem einfachen Thema. Also nicht mit dem Abtransport und Verkauf von Designermöbeln, deren Wert sich nur schwer taxieren lässt. Besser startet man zum Beispiel damit, Dinge zu entsorgen, die niemandem etwas bedeuten. Das können vom Vater gestapelte leere alte Pappkisten im Keller oder uralte Tageszeitungen sein. Selbst solche Kleinigkeiten geben Ihnen das Gefühl, etwas geschafft zu haben. Danach könnte man Sachen, die einem persönlich nichts bedeuten, mit denen aber andere höchstwahrscheinlich noch etwas anfangen können, zum Sozialkaufhaus bringen - Kleider, Tischdecken oder Nippes zum Beispiel. Den emotional aufgeladenen Dingen sollte man sich erst später widmen. Meine Eltern haben damals zuerst ihre Bücher aussortiert. Das war keine gute Idee, denn Bücher waren für meine Eltern etwas sehr Emotionales. Jede einzelne Entscheidung fiel ihnen sehr schwer. Das Thema hat uns unendlich viel Zeit und Nerven gekostet.

Wenn man jede Menge Schränke voller Krimskrams leeren muss, kann man allerdings schon sauer auf die Eltern werden.

Wer sein Elternhaus ausräumt, wird in den meisten Fällen immer wieder von Gefühlen überwältigt werden. Dazu gehört auch Groll auf die Eltern. Warum habt ihr mir ein solches Chaos hinterlassen? Schämen Sie sich nicht dafür! Es ist in Ordnung, wenn Sie auch stinkig auf Ihre Eltern sind.

Viele Betroffene denken, sie müssten alles allein machen, "weil mir bei diesem Thema ja doch keiner helfen kann". Wie denken Sie darüber?

Zu einer guten Vorbereitung auf das Ausmisten gehört es auch, sich nach geeigneten Helfern umzuschauen, also nach Menschen, die bestimmte Dinge besser können als man selbst. Vielleicht gibt es jemanden im Freundeskreis, der handwerklich geschickt ist oder etwas vom Wert alter Münzen versteht. Oder einen Menschen, der besonders einfühlsam ist. Er oder sie kann dann bei sensiblen Aufgaben helfen, zum Beispiel, die Wäsche und Kleidung der Eltern oder deren persönliche Dinge zu sortieren. Und man braucht auch jemanden, dem man sich rückhaltlos anvertrauen kann, wenn man urplötzlich mit unliebsamen Überraschungen konfrontiert wird: Wenn man zum Beispiel Liebesbriefe findet, die an die Mutter gerichtet sind, aber nicht vom eigenen Vater stammen.

Was können Geschwister tun, um Streit zu vermeiden?

Werden Sie sich dessen bewusst, dass Streitereien meist aus Positionskämpfen heraus entstehen. Ein typisches Beispiel: "Du warst schon immer Papas Liebling, deshalb will ich wenigstens den wertvollen Schmuck von Mama dafür, dass du das Haus bekommst." Man kann sich frühzeitig überlegen, ob man sich über so etwas wirklich streiten will. Wenn Geschwister einander ständig beharken oder über grundsätzliche Fragen uneins sind, ist häufig eine Erbmediation sinnvoll. Der Mediator hilft etwa, eine Lösung zu erarbeiten, wenn der Sohn das Haus verkaufen, die Tochter es aber lieber vermieten möchte.

Irgendwann ist es so weit - man zieht die letzte Runde durch sein Elternhaus. Wie sieht ein gelungener Abschied aus?

Wenn man rausgeht und sagen kann: So war's gut für mich. Planen Sie für die letzte Runde genug Zeit ein und spüren Sie dabei noch mal Ihren Gefühlen nach. Es empfiehlt sich, einmal allein ganz in Ruhe durchs Haus zu gehen, davor oder danach gemeinsam vielleicht auch mit den Geschwistern. Manche verbinden den Abschied mit einem bestimmten Ritual, sie fegen die einzelnen Räume symbolisch aus. Oder sie lassen eine bestimmte Musik spielen. Man kann auch einfach reingehen und sagen: "Ich schaue mal, was mir spontan einfällt." Wenn es darum geht, wie man den Abschiedsmoment gestaltet, gibt es kein Richtig oder Falsch.

Christina Erdmann hält es für klug, alle Dinge in bestimmte Kategorien einzuordnen. (Foto: Annette Hauptmann, Witten)
© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusInnovation
:Elf Ideen für nachhaltiges Bauen

Kreislaufwand, Klimafenster, Windheizung: Für neu entstehende Häuser und Sanierungsvorhaben gibt es viele Innovationen, die dabei helfen, die Ressourcen zu schonen. Ein Überblick.

Von Christine Mattauch

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: