Kunsthandwerk:Guter Ton

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Mediterrane Farben, die leuchten wie das Mittelmeer. Die Rezepte für die Lacke hat Künstlerin Ana Illueca alle selbst entwickelt. (Foto: Ana Illueca)

Valencia lässt sich in diesem Jahr als "Weltdesignhauptstadt" feiern. Besonders machen dabei Keramikkünstler auf sich aufmerksam, die Traditionen auf den Kopf stellen

Von Karin Janker, Valencia

Ana Illueca steht im schlammfarbenen Overall in ihrem Atelier, vor sich einen Bottich voller Schlonz. Die Füße hat sie in den Boden gestemmt, mit beiden Händen knetet sie in der graubraunen Masse, sie hat die gleiche Farbe wie ihr Anzug. Illueca ist so tief in ihre Arbeit versunken, dass sie einen zunächst gar nicht kommen hört. Erst nach einer Weile dreht sie sich um, lacht laut auf und hebt die verschmierten Hände. Später wird sie sagen, dass sie in diesem Zustand ihre Erfüllung gefunden hat. Der Schlonz vor ihr hat einen großen Anteil daran.

An diesem milden Wintertag ist Ana Illueca gerade dabei, Ton zu recyceln. In ihrer Werkstatt in der spanischen Küstenstadt Valencia soll es so wenig Abfall wie möglich geben. Deshalb werden Tonreste, die bei ihrer Arbeit übrigbleiben oder bei den Kursen, die sie einmal pro Woche gibt, getrocknet, verkrümelt und dann mit Wasser zu frischem Ton verknetet. Es ist eine anstrengende Arbeit. "Eine Arbeit, die erdet", sagt Illueca. Außerdem bekomme man davon Bauchmuskeln, erzählt sie und lacht erneut.

In der Werbung fühlte sich Ana Illueca nicht mehr wohl, das Töpfern habe ihr "ihre Würde zurückgegeben". (Foto: Ana Illueca)

Ana Illueca zählt heute zu den bekanntesten Keramikerinnen Spaniens. Früher einmal arbeitete sie in der Werbebranche und suchte eigentlich nur nach einem Hobby, bei dem man den Kopf ausschalten und den Körper spüren kann. Ein bisschen wie Yoga, nur viel naheliegender. Schließlich stammt die 48-Jährige aus Valencia, hier wird Keramik gebrannt, im Grunde seit der Jungsteinzeit. So alt sind die Stücke, die man in der Region gefunden hat; Gefäße, in denen Menschen schon damals Wasser und Lebensmittel aufbewahrten.

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Aus einem Hobby wurde deutlich mehr: Ihr Marketing-Job machte Ana Illueca nicht mehr glücklich, vor sieben Jahren tauschte sie ihn gegen die Töpferscheibe ein. Die Tasse "Dignity" war eine ihrer ersten Arbeiten als selbstständige Keramikerin. "Diese Tasse sollte mir meine Würde zurückgeben", sagt Illueca und nimmt mit beiden Händen ein Exemplar aus dem Regal, in dem sie in ihrem Atelier zum Verkauf stehen. Wie alle ihrer Arbeiten ist auch "Dignity" handgetöpfert, jede Unregelmäßigkeit ein Authentizitätsbeweis.

Auch für Hermès hat die Künstlerin Vasen gestaltet

Illueca hat die Tasse sparsam mit selbstkreierten Glasuren bemalt, die Farben sind mediterran gehalten, das Mittelmeer, die spanische Sonne und der fruchtbare Boden rund um Valencia spiegeln sich darin. Nichts an "Dignity" ist zierlich oder possierlich. Der überdimensionierte Henkel ist groß genug, dass man bequem die Hand hindurchschieben kann. "Diese Tasse ist so gestaltet, dass man sich morgens beim Frühstück an ihr festhalten kann, dass man sie gerne umarmt und sich von ihr umarmt fühlt", so beschreibt Ana Illueca ihren Entwurf.

Valencia schmückt sich in diesem Jahr mit dem Titel "Weltdesignhauptstadt" und wirbt dabei vor allem mit seiner Keramikkunst. Illuecas Atelier, geräumig und voller Licht, liegt unweit des Hafens, Laufkundschaft kommt hier nicht vorbei. Die braucht sie auch nicht: Ihr Schaufenster ist auf Instagram zu finden. Inzwischen fertigt sie Geschirr für Sternerestaurants und gestaltet Vasen für das Luxuslabel Hermès. Das Modelabel bestellte eine Mini-Kollektion aus sieben unterschiedlichen Vasen als Geschenke für die Modeschauen im vergangenen Sommer. Illueca hatte bei der Gestaltung völlige Freiheit, sie nannte die Vasen "Touch me", weil ihre weiche Oberfläche den Betrachter sofort zum Berühren einlädt.

53 Euro für eine Tasse? Gut 300 Euro für einen Blumentopf? Illueca sagt, dass ihre Werke sich an der Grenze zwischen Kunst und Handwerk bewegen. Manche ihrer Kunden hätten sowohl Ikea-Geschirr zu Hause als auch eine einzelne Tasse aus ihrem Atelier. "Irgendwann wurde mir klar, dass der Preis entscheidend dafür ist, wie die Leute auf meine Objekte blicken", sagt sie. Mit Marketing kennt sie sich eben aus.

Zu jedem Stück eine Geschichte: Hier erzählen die "mediterranean bits" vom Lockdown im Frühjahr 2020. (Foto: Ana Illueca)

Zu jedem ihrer Stücke bekommen ihre Kunden eine Geschichte und ein Konzept. Da sind zum Beispiel kleine quadratische Kacheln, Illueca hat sie "mediterranean bits" getauft. Sie entstanden während des Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020, als man in Spanien nicht einmal mehr das Haus verlassen durfte. Sämtliche Geschäfte mit Ausnahme von Supermärkten und Apotheken waren damals geschlossen. "Ich hatte das Glück, mit heruntergelassenem Rollo arbeiten zu dürfen, aber mir ging nach und nach das Material aus", erzählt sie. Ein klaustrophobisches Gefühl sei das gewesen. Die Tonreste, die sie noch hatte, waren so rau und scharfkantig, dass sie ihr beim Töpfern die Hände zerschnitten. Also goss sie Kacheln und bemalte sie mit blauem Kobalt und grünem Kupfer. Für Ana Illueca stehen sie für das Meer, und ein bisschen auch für die Hoffnung, dass es wieder aufwärtsgeht.

Handwerkliche Keramik steht hoch im Kurs, nicht nur die von kleinen Ateliers wie Ana Illueca. Auch größere Keramikhersteller wie etwa die Labels Motel a Miio oder Companhia Atlântica aus Portugal kennt man inzwischen in ganz Europa. Dieser Trend spiegelt die Renaissance der Häuslichkeit wider. Verstärkt durch die Pandemie, durch die der Lebensradius kleiner wurde, erkennen immer mehr Menschen den Wert, sich im Alltag mit schönen Dingen zu umgeben.

Lieber nur eine Tasse als Geschirr, das einem nichts bedeutet, findet Illueca

Auch für Ana Illueca geht es um die Wertschätzung privater Momente. Lieber habe sie nur eine einzige Tasse, die sie nach jedem Benutzen abspült, als viel Geschirr, das ihr nichts bedeutet, findet sie. "Bei uns zu Hause hat jeder seine eigene Tasse. Mein Sohn würde nie auf die Idee kommen, meine zu benutzen."

Zu den wichtigsten Werkzeugen von Ana Illueca gehören nicht nur ihre Hände und die Töpferscheibe - sondern auch eine Exceltabelle voller kryptischer Abkürzungen. Darin notiert sie die Rezepte für ihre Farben. Denn die Zusammenstellung der Glasuren, ob matt, halb durchscheinend oder satt glänzend, hat Illueca selbst entwickelt. Eine Experimentierarbeit sei das, sehr viel Chemie und ein bisschen Mathematik. Schließlich macht die Asche eines Orangenbaumes ein ganz anderes Braun als die eines Olivenbaumes.

(Foto: Xavier Monsalvatje)

Mit der Geschichte der Farben, die ja nicht nur auf den Ton aufgetragen, sondern auch in ihn eingebrannt werden und beim Brennen mit ihm verschmelzen, beschäftigt sich auch Xavier Monsalvatje. Sein Atelier liegt etwas außerhalb von Valencia, zwei Räume, halb Werkstatt, halb Bücherei, beides ein großes Durcheinander. Und damit nicht so Instagram-kompatibel wie Ana Illuecas Atelier.

Alte Technik, neue Bildgebung: Das fasziniert Xavier Monsalvatje

Xavier Monsalvatje stammt wie Illueca aus Valencia, die beiden kennen sich seit Jahren und gehören zu einer Generation von Keramikkünstlern, die das alte, in der Region tief verwurzelte Handwerk neu aufmischen. Monsalvatje geht es aber nicht darum, an der Töpferscheibe selbst Gefäße zu formen. Ihn interessiert vielmehr, was auf den Ton kommt: nämlich eine Geschichte.

Xavier Monsalvatje kocht Tee und schaltet einen kleinen elektrischen Heizkörper an. Es zieht, denn in seinem Atelier hält er die Türen auf beiden Seiten des kleinen Hauses geöffnet, der kühle Wind soll die Aerosole vertreiben. Der 56-Jährige hat an der Hochschule für Angewandte Künste in Valencia studiert, doch bereits als Schüler verdiente er sich sein Taschengeld in einer der lokalen Keramikfabriken. Dort besprühte er Geschirrteile mit Glasur, fade Industrieware. Vielleicht sei er deswegen heute Asthmatiker, sagt er. Die Faszination für das Material aber ist ihm geblieben.

Zwei Meter Abstand halten! Die Covid-Teller mit geheimer Botschaft auf der Rückseite von Xavier Monsalvatje. (Foto: Xavier Monsalvatje)

Die Technik, die ihn derzeit am meisten begeistert, ist das sogenannte Socarrat. Damit bezeichnet man eigentlich Tonfliesen, die schon im Mittelalter hergestellt wurden, immer mit einer weißen Grundierung versehen, auf die dann mit roten und schwarzen Pigmenten gemalt wurde. Xavier Monsalvatje nimmt einzelne Elemente aus den uralten Abbildungen heraus und setzt sie in einen neuen, zeitgemäßen Kontext. Damit erzählt er Geschichten aus unserer Gegenwart, die immer ein bisschen dystopisch ausfallen: Mal stehen Arbeiter mit verbundenen Augen am Fließband, während ihnen eine Hand mit einer Spritze ihre Gedanken aus dem Kopf zieht. Mal tragen die Menschen Gasmasken, weil ihnen die Abgaswolken um sie herum die Luft nehmen. Klimakrise, Migration und Kapitalismus sind die großen Themen in Monsalvatjes Arbeiten, die bereits in Ausstellungen in Großbritannien, Japan, Deutschland, Taiwan oder Kanada zu sehen waren.

Die Ästhetik seiner Pinselzeichnungen erinnert an Chaplins "Modern Times" oder an Comics. Das Besondere sei, die oft narrativen Zeichnungen auf ein so zerbrechliches wie dauerhaftes Material wie Keramik aufzubringen, sagt Monsalvatje. Damit ist er gar nicht weit entfernt von jenen Vasen, auf denen schon die alten Griechen Ereignisse der Zeitgeschichte festhielten. Nur auf Papier zu zeichnen, hätte für ihn zu wenig Reiz, sagt er.

Auch die Pandemie findet sich in seinen Arbeiten wieder, er hat ihr eine eigene Serie gewidmet. "Die Covid-Teller sind ein ziemlicher Erfolg", so Xavier Monsalvatje. Der Clou: Die ebenfalls bemalte Tellerrückseite hinterfragt das, was auf der Vorderseite zu sehen ist. Die Idee hat er von den alten Arabern geborgt, bei denen die Rückseiten der Teller oft geheime Botschaften enthielten. Seine Covid-Teller hat er schon nach London, Paris und in die USA verkauft. Viele Sammler für Keramik gebe es allerdings nicht.

Sieht aus wie ein Gebrauchsgegenstand, ist aber keiner: Kloschüssel von Monsalvatje aus Valencia. (Foto: Xavier Montsalvatje/David Wallace)

Mit Keramik als Gebrauchsgegenstand, so wie sie Ana Illueca begeistert, hat Xavier Monsalvatje nichts am Hut. Seine Kunstwerke können nicht als Geschirr genutzt werden, obwohl sie als Vase oder Teller durchaus als Alltagsgegenstände durchgehen; sogar eine Kloschüssel hat er schon mal bemalt. Auf jedem Stück vermerkt der Künstler den aktuellen Öl- und Goldpreis von dem Tag, an dem es fertig wurde. Er will Zeitdokumente schaffen, die die Gegenwart überdauern.

Und genau das ist es, was die Werke von Xavier Monsalvatje und Ana Illueca dann doch gemein haben: Sie spüren ihre Wurzeln hier in Valencia - und stellen mit großer Selbstverständlichkeit die Tradition der Keramikkunst ihrer Heimat auf den Kopf.

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