Unter den fünf Geschmacksrichtungen süß, sauer, salzig, bitter und umami (herzhaft) hat bitter wohl die wenigsten Fans. Das ist nachvollziehbar, denn erstens ist das Leben bekanntlich bitter genug, und zweitens ist die Abneigung gegen Bitteres angeboren. Ein bitterer Geschmack signalisiert: Vorsicht, könnte giftig sein! Viele Pflanzen produzieren Bitterstoffe, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Auch deshalb verabscheuen viele Menschen Rosenkohl, Radicchio, Brokkoli, Endiviensalat und Chicorée.
Aber es lohnt sich, das Aromenspektrum in Richtung des vermeintlichen Teufelszeugs zu erweitern. Bittergemüse ist höchst gesund, es regt die Produktion von Magensäure und Gallenflüssigkeit an. Dadurch kann der Körper Fettiges besser verdauen. Bitterstoffe wirken entzündungshemmend, verringern das Hungergefühl und reduzieren die Lust auf Süßes, was nicht nur für Menschen mit Diabetes und Übergewicht vorteilhaft ist. In der indischen Ayurveda-Gesundheitslehre ist der bittere Geschmack eine der wichtigsten Säulen, viele Ayurveda-Speisen enthalten deshalb die leicht bitteren Gewürze Bockshornkleesamen und Kurkuma.
Aber wie bringt man Skeptiker dazu, freiwillig eine bittere Pille zu schlucken, wenn man jederzeit in den sauren Apfel beißen, etwas Zuckriges, Salziges oder Fettiges snacken könnte? Ganz einfach: indem man trickst und bittere, saure und süße Zutaten kombiniert. Am einfachsten geht das mit Salaten: Radicchio mit Birnen, Endiviensalat mit Granatapfelkernen, Chicorée mit Orangen, dazu eine fruchtig-süßsaure Vinaigrette - das ergibt eine spannende und gesunde Mischung. Chicorée ist reich an Kalium, Folsäure und Zink, enthält die Vitamine A, B und C.
Aus vielen Gemüsesorten wurden die Bitternoten leider fast komplett herausgezüchtet, weil sich allzu bittere Produkte schlechter verkaufen. Handelsübliche Auberginen etwa muss man kaum noch vor der Zubereitung einsalzen, um ihnen die Bitterstoffe zu entziehen, wie das in manchen Rezepten noch empfohlen wird. Auch Grapefruit und Brokkoli schmecken immer weniger bitter. Zum Glück haben im Herbst Salatsorten wie Radicchio, Endivien und Chicorée Saison. Gerade der knackige, leicht bittere Chicorée eignet sich als Einstiegsdroge in das faszinierende Reich der kulinarischen Bitternis.
Chicorée ist historisch gesehen ein junges Gemüse. Aus den sehr bitteren Wurzeln des Zichorien-Gewächses wurde früher Kaffeeersatz gebrannt, französisch "Mocca faux", auf Deutsch verballhornt zu "Muckefuck". Eher zufällig wurde Ende des 19. Jahrhunderts in Belgien die Eignung der Zichorien als Gemüse entdeckt, als in einem Keller liegen gebliebene Zichorienwurzeln im Dunkeln nochmals austrieben. Belgische Bauern begannen mit der Zucht von Chicorée, der im Mai ausgesät und September bis November geerntet wird. Essbar sind die weißen Sprossen, die aus den geernteten Zichorienwurzeln wachsen, nach drei bis vier Wochen werden sie abgeschnitten.
Das Rezept des Sternekochs Giorgio Locatelli ist eine Geschmacksexplosion
Der leicht bittere, nussige Geschmack macht das Gemüse zu einer idealen Grundlage für herbstliche Salate. Empfehlenswert ist die Kombination mit Birnen, Äpfeln und Nüssen, auch Schinken, Pilze und ein kräftiger Blauschimmel- oder Ziegenkäse passen gut. Wenn man Chicorée anbrät, kocht oder im Ofen gart, verliert er teilweise seinen bitteren Geschmack. Man kann ihn einfach mit etwas Öl in der Pfanne anbraten, salzen, pfeffern und anschließend im Ofen mit Parmesan überbacken. Der italienische Sternekoch Giorgio Locatelli kombiniert Chicorée mit Ofenkartoffeln, Radicchio tardivo und anderen Herbstsalatsorten, Zitronenkompott, Sardellen und einer kräftigen Kräutersoße zu einer sauer-bitter-salzigen Geschmacksexplosion. Das Rezept klingt kompliziert, aber der Aufwand lohnt sich.
Für sechs Personen vier Kartoffeln im Ofen garen und in Scheiben schneiden, mit einem Dressing aus Rotweinessig, Weißweinessig, Olivenöl und Salz marinieren. Chicorée und verschiedene Radicchio-Sorten putzen. Für das Kompott 10 Zitronen filetieren, mit 100 g Zucker und einer halben milden Chilischote zu einem Sirup einkochen und anschließend mit einem Mixer pürieren. 80 g Spinat blanchieren, mit kaltem Wasser abschrecken und zusammen mit 6 Sardellenfilets, 1 Knoblauchzehe, 100 g Petersilie, 1 EL Weißweinessig und 100 ml Olivenöl im Mixer zu einer Soße verarbeiten. Salat mit Essig und Olivenöl anmachen, zusammen mit Kartoffelscheiben, grüner Soße und Zitronenkompott anrichten, zusätzlich eingelegte Sardellen dazu geben. Dazu passt als Soundtrack der Song "Gustav Gans" der Hamburger Band Beginner, in dem Jan Delay rappt: "Hinter all der Fassade aus Sarkasmus und Ironie/ ist das Leben gar nicht immer so bitter wie Chicorée."