Tennisprofi Zverev bei den US Open:Gegen die Wand gerannt

Lesezeit: 4 min

Alexander Zverev hat es wieder nicht geschafft - aber er glaubt zu wissen, woran es in New York gegen Alcaraz lag. (Foto: Danielle Parhizkaran/USA Today/Reuters)

Alexander Zverev verliert bei den US Open deutlich gegen Carlos Alcaraz. Die Blessur am Oberschenkel nimmt er als Anlass, in sich reinzuhören - denn nach der Comeback-Saison hat er im kommenden Jahr ganz große Ziele.

Von Jürgen Schmieder, New York

Gegen Ende des zweiten Satzes, Carlos Alcaraz hatte mal wieder zwei Slice-Rückhände in die Nähe der Grundlinie gezwirbelt, dann die Vorhand cross mit 53 Umdrehungen pro Sekunde auf die Reise geschickt und den Ballwechsel per gefühlvollem Stopp beendet - in diesem Moment also, von dem es so viele gab an diesem Mittwochabend in der größten Tennisarena der Welt, sah Alexander Zverev zum Gegner. Sein Blick war der eines Menschen, der einsieht, dass es in diesem Viertelfinale nichts, aber wirklich nichts zu holen gibt für ihn. 3:6, 2:6, 4:6 hieß es am Ende, ein akkurates Abbild dieses Duells, das Zverev vorgekommen sein muss wie eine Sisyphos-Kletterwand.

Wer jemals Wettkämpfe absolviert hat, kennt das Gefühl: Man fuchst sich rein in diese Tätigkeit, wird besser, feiert erste Erfolge. Überspringt Hürden, von denen man dachte, sie niemals meistern zu können - und dann rennt man mit voller Geschwindigkeit gegen eine Wand. Wird von einem Bus überfahren. Kriegt so richtig eine aufs Dach von einem, der ganz einfach viel, viel, viel besser ist als man selbst. Für Schauspieler gibt es in Hollywood dafür den Hinweis: "Kann sein, dass du in deiner Heimatstadt die hübscheste, talentierteste, ehrgeizigste Person bist - in Los Angeles bist du damit: Durchschnitt."

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Auf New York übertragen, weiß man spätestens seit Frank Sinatra, dass einer, der es hier schafft, überall erfolgreich sein kann. Das ist der Anspruch von Zverev: es zu schaffen bei den US Open, in Melbourne, Paris, Wimbledon. Triumphieren in Best-of-five-Matches gegen die Besten wie Alcaraz und Novak Djokovic. Er hat jedoch in seiner Karriere noch nie bei einem Grand-Slam-Turnier gegen einen gewonnen, der zum Zeitpunkt des Duells unter den besten fünf der Weltrangliste geführt wurde - und das blieb auch in New York so und führt zur Frage: Can he make it - klopf, klopf - anywhere?

"Ich glaube, dass mein Tennis da ist - sonst hätte ich nicht gegen Jannik Sinner gewonnen", sagte Zverev, der einige Hürden übersprungen hatte in diesem Jahr, das er nach seiner schlimmen Verletzung am rechten Knöchel (French Open 2022) als "Comeback-Saison" interpretiert. "Wenn ich es zum Turnier der besten Acht am Ende der Saison schaffe, würde ich sagen: War ein gutes Jahr." Er hat viele Hürden genommen, in New York zum Beispiel eben die namens Sinner, der bis zu den US Open einen grandiosen Sommer erlebt hatte. Er ist aber auch gegen riesige Wände gelaufen wie etwa Casper Ruud bei den French Open (3:6, 4:6, 0:6).

"Ich habe gegen Ruud ein Zwicken im linken Oberschenkel gespürt - und nun im zweiten Satz wieder, an der gleichen Stelle. Ich konnte laufen, aber ich konnte mich nicht mehr abdrücken beim Aufschlag", sagte Zverev danach: "Das ist was, worum ich mich kümmern muss; mein Körper lässt mich gerade ein bisschen im Stich. Ich muss gucken, was ich tun kann, damit die Physis funktioniert. Man kennt mich als einen, der in langen, intensiven Matches am Ende körperlich fit war. Wenn man sich aber nicht mehr zum Aufschlag abdrücken kann und einem damit die größte Waffe fehlt, wird es fast unmöglich."

Alcaraz ist nicht nur eine Wand, sondern zugleich Handwerker, der während einer Partie einige Hindernisse anbringt oder ein paar Zentimeter dazumörtelt und dem Gegner das Erklimmen erschwert. Mit überraschenden, gefühlvollen Stopps nimmt er dem Kontrahenten die Beine. Mit dem langen, präzisen Rückhand-Slice die Geduld. Mit den Passierschlägen den Mut, selbst nach vorne zu rücken. Mit spontanen Serve-and-Volley-Varianten, auch nach Slice- oder Kick-Eröffnungen, die Sicherheit beim Return. Und mit den Vorhand-Attacken, oft auf die Linie, da nimmt er dem Gegner die Lust weiterzuspielen. Er wird so zu einer auf dem Mount Everest oben angebrachten Eiger Nordwand plus Nanga Parbat. Wie soll man da hochkommen?

Denn: Was bringt einem so ein unfasslicher Passierschlag wie der von Zverev im zweiten Satz, wenn es danach 30:15 bei 1:3-Rückstand steht - außer der Erkenntnis, dass man mal wieder derart in der Bredouille war, dass es mal wieder einen Zauberschlag zum Punktgewinn braucht? Das sieht gut aus auf den Highlight-Videos, hat aber nichts mit dem Ausgang der Partie zu tun.

Wie soll Zverev es irgendwann schaffen, die ganz Großen zu schlagen?

Irgendwann stand Zverev vor dieser Mauer und fragte: Und wie soll ich bitte sehr da hochkommen? Er schien nach Hilfe zu suchen, doch es ist schon auffällig, wie stoisch die Begleiter in der Box diese Partie verfolgten. Zverev war dazu nach der Schlacht gegen Sinner gefragt worden - und lieferte eine ausweichende Antwort: "Mein Vater ist ganz und gar nicht ruhig, er summt die ganze Zeit Lieder, Whitney Houston und so."

Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Nur fällt es schon auf, wenn einer alles alleine zu lösen versucht - in Zeiten, in denen Coaching erlaubt ist und andere Spieler taktische oder emotionale Unterstützung kriegen. (Ben Sheltons Vater gab dem Sohn gegen Frances Tiafoe den Hinweis, öfter ans Netz zu rücken, Alcaraz holt sich fast nach jedem Ballwechsel eine Bestätigung mit kurzem Blick zu Juan Carlos Ferrero.)

Man erkennt deutlich: Er tüftelt, analysiert, sucht nach Lösungen statt nach Ausreden

Das führt zurück zur Frage: Was muss Zverev nun tun, um dieses höhere Niveau zu erreichen, auf dem sich Djokovic und Alcaraz bewegen? Er sagt: "Für 2024 hab ich wieder höhere Ziele: Grand Slams gewinnen und die Nummer eins werden." Man wird bei dieser Frage stets erinnert an Roger Federer, der sich im Karriere-Herbst aggressivere Rückhand-Slices antrainierte, weil er sah, dass er mit dem einhändigen Topspin gegen die hohen Bälle von Rafael Nadal nicht würde bestehen können. Es wäre unfair, nach dieser Niederlage, bei der Zverev nach eineinhalb Sätzen angeschlagen war, eine tiefergehende Analyse vorzunehmen.

Das tut Zverev selbst. Er tut die Verletzung nicht als Pech ab, sondern aufgrund der Wiederholung als etwas, das er gerne verhindern würde. Man erkennt deutlich: Er tüftelt, analysiert, sucht nach Lösungen statt nach Ausreden. Denn er will nie wieder übers Netz zu Alcaraz gucken wollen in der Gewissheit, dass da nichts, aber wirklich nichts zu holen ist.

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