Tabellenführer Bayer Leverkusen:Jetzt haben sie auch noch ein bisschen Dusel

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Als Außenverteidiger eine zentrale Figur: Leverkusens Alejandro Grimaldo (links) nach seinem Treffer zum 2:1. (Foto: Bahho Kara/Imago)

Auf den ersten Blick kommt der Leverkusener Sieg in Wolfsburg etwas glücklich zustande. Auf den zweiten Blick sind beim Team von Trainer Xabi Alonso immer mehr Merkmale einer Spitzenmannschaft zu erkennen.

Von Thomas Hürner, Wolfsburg

Wenn der FC Bayern so gewonnen hätte, wären es wieder die Duselbayern gewesen. Zuerst war es der gegnerische Torwart, der helfend ins Geschehen eingriff, weil er sich nach einem eher zarten Abschluss sicher war, den Ball vor der Torlinie fangen zu können - Pavao Pervan hielt den Ball dann auch fest in seinen Händen, nur hatte ihn blöderweise die eigene Selbstsicherheit zusammen mit dem Ball hinter die Torlinie bewegt. So führte die Elf der Gäste durch einen Treffer von Flügelmann Jeremie Frimpong 1:0.

Später kombinierte sie sich schon wieder schön nach vorn, über vier, fünf Stationen, bis im gegnerischen Strafraum der Außenverteidiger Alejandro Grimaldo freistehend zum Schuss kam - es wurde jedoch ein etwas missglückter Schuss, der aus Sicht der Gäste aber so glücklich abgefälscht wurde, dass der Ball knapp unter der Latte und damit unhaltbar im Netz einschlug. Die Gäste gingen 2:1 in Führung, und diesmal sollte das Ergebnis bis zum Schluss Bestand haben.

Die Elf der Gäste, das muss man an dieser Stelle nochmal erwähnen, war nicht der FC Bayern. Es handelte sich um einen Verein, der zwar ähnlich heißt, aber im Gegensatz zu den Münchnern nicht unbedingt für seine imposante Gewinnertradition bekannt ist. Den wenig schmeichelhaften Namenszusatz "Vizekusen" hat sich Bayer Leverkusen über die Jahre hart und sehr verdient erarbeitet. Das Bayer Leverkusen des Jahres 2023 aber ist anders als seine Vorgängermodelle.

Denn der Werkself wird nicht nur von allen Seiten bescheinigt, einen so aufregenden und stilprägenden Offensivfußball zu spielen, dass das mitunter sogar die Feuilletons verzückt. Die 2023er-Version der Leverkusener gewinnt nun auch Spiele wie jenes am Samstag in Wolfsburg, das mit etwas Pech auch anders hätte ausgehen können. "Wir waren bereit, ein sehr hartes Spiel zu erleben", sagte der Leverkusener Trainer Xabi Alonso, der Vordenker dieser stilistisch unheimlich flexiblen Mannschaft. Nur so sei dieser "super Sieg" gelungen.

Jetzt über die Meisterschaft zu sprechen, hält Alonso für "nicht intelligent"

Zu einem mit Spannung erwarteten Themengebiet formulierte er kurz darauf mit besonderer Sorgfalt: Über den Meistertitel zu sprechen, hielte er zu diesem Zeitpunkt für "nicht intelligent". Wer im Pressesaal der Wolfsburger Arena genau hinhörte, entdeckte zugleich eine Lücke in seiner mit viel Demut errichteten Argumentationslinie. Alonso sah sich ja nicht bemüßigt, dieser Mannschaft ihre Titelreife abzusprechen. Und warum auch? Leverkusen hatte gerade ein umkämpftes Spiel beim VfL Wolfsburg gewonnen. Und das war aus gleich mehrerlei Gründen von Bedeutung.

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Zum einen waren da die handfesten Fakten, so wie jene, dass Wolfsburg vor dem Spieltag die beste Heimelf der Liga war und Leverkusen den Spieltag erneut als Tabellenführer beendet hat. Die andere Bedeutungsebene geht in die Tiefe des Spiels: Mannschaften wie Leverkusen, die einen gestalterischen Anspruch haben und wissen, wie man diesen auf dem Platz umsetzt, müssen in schöner Regelmäßigkeit gegen Teams bestehen, deren vorrangiges Ziel das Erzwingen von Fehlern ist - und kaum ein Team beherrscht die Kunst des permanenten Unruhestiftens so wie die von Niko Kovac trainierten Wolfsburger.

Der VfL steht damit an der Spitze einer Bewegung, der bis auf wenige Ausnahmen die gesamte Liga angehört: In Deutschland wird vor allem ein robuster Gegen-den-Ball-Fußball gelehrt, bei dem das Reagieren vor dem Agieren steht, seine Grundtugenden lauten Disziplin und Intensität. Diese gut einstudierten Pressingfallen machen es jenen Mannschaften schwer, die einen sauberen Ball spielen wollen. Die Leverkusener dagegen scheinen immun dagegen zu sein, weil sie genau das nicht machen, worauf die Ligakonkurrenz mit leidenschaftlicher Überzeugung abzielt: Sie machen keine Fehler. Und so lassen sie all die Balleroberungsattacken ins Leere laufen wie der junge Muhammad Ali, der siegessicher um seine Gegner herumtänzelt und von ihren Schlägen doch nur selten ernsthaft erwischt wird.

Man könne Leverkusen "nicht über ein ganzes Spiel so bearbeiten, wie wir das in der ersten Halbzeit getan haben", sagte Kovac und stellte damit ein doppeltes Lob aus: für die Elf von Xabi Alonso, die sich immer wieder aus Drucksituationen herauswinden konnte. Und für seine Spieler, die es phasenweise schafften, dem fluiden Leverkusener Räderwerk etwas Gewichtiges in die Speichen zu werfen - in Form einer Mannschaftsleistung, die die Werkself vom Niederrhein in einen in dieser Saison nur selten zu besichtigenden Stress versetzte.

Wolfsburg machte seine Sache gut - doch die Leverkusener haben sogar das nötige Dusel, wenn sie es mal brauchen

Der Leverkusener Sieg, das räumten hinterher auch die Wolfsburger ein, war am Ende dennoch nicht unverdient. Ein bisschen sogenanntes Spielglück brauchte es dafür aber schon. Der VfL löste seine Aufgaben vor allem in der ersten Halbzeit exzellent, weil es der Kovac-Elf da immer wieder gelang, den Druck auch mal vor das Tor der Leverkusener zu verlagern, ohne dabei hinten die Schleusen für Konter zu öffnen. Das Team von Alonso reagierte allerdings, wie das nur Spitzenteams können: Es ließ sich vom Stress nie vereinnahmen, sondern holte sich über schneidige Ballzirkulationen jene Selbstsicherheit zurück, die das Schwierige einfach aussehen lässt - und durch die, siehe oben, auch mal Treffer gelingen, wie sie sonst nur der vor Selbstsicherheit strotzende FC Bayern hinbekommt.

Frimpong und Grimaldo, den Torschützen, kommt im Alonso-System von mehr oder weniger glücklichen Toren abgesehen eine wichtige Rolle zu: Der eine, Frimpong, wird bei eigenem Ballbesitz vom rechten Außenverteidiger zum Flügelangreifer, der als freies Radikal die Defensivketten der Gegner beschäftigt. Der andere, Grimaldo, wird vom linken Außenverteidiger zum Aufbauspieler im Zentrum, der dort die Kontrolle erhöht. So formvollendet das im Kollektiv mitunter aussieht, so wenig ließ sich zugleich kaschieren, dass auch die Leverkusener auf Individualisten angewiesen sind: Es war die Einwechslung des nach der Länderspielreise zunächst geschonten Mittelfeldmanns Florian Wirtz, die dem Spiel nach der Halbzeitpause einen neuen Dreh verpasste. Ein Dreh, den Alonso auf den "Hunger" seiner Spieler zurückführte. Und dazu ein Dreh, der sich kurz vor Schlusspfiff nicht noch ins Gegenteil verkehrte, als der Wolfsburger Stürmer Jonas Wind freistehend eine Gelegenheit zum 2:2-Ausgleich ausließ.

Früher hätten die Leverkusener diesen Treffer kassiert.

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