Wolfsburg entlässt Kovac:Eine verhängnisvolle Entscheidung

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"Meine Jungs haben immer sehr, sehr ordentlich gespielt. Sie leben", sagte Wolfsburgs Trainer Niko Kovac nach der Niederlage gegen Augsburg. (Foto: Swen Pförtner/dpa)

Nach dem 1:3 gegen Augsburg und einer umstrittenen Schiedsrichterentscheidung hält Wolfsburgs Coach Kovac noch eine leidenschaftliche Selbstverteidigungsrede - am Tag danach wird er trotzdem freigestellt, Ralph Hasenhüttl übernimmt.

Von Thomas Hürner, Wolfsburg

Wenn es eine Instanz gibt, die im Fußball ausgleichende Gerechtigkeit sicherstellt, dann hat sie am Samstag nicht nach Wolfsburg geschaut. In Wolfsburg musste ein krisenerprobter Fußballtrainer bereits länger um sein Anstellungsverhältnis bangen, aber in diesem Spiel gegen den FC Augsburg hat sein Team zunächst alles richtig gemacht: Der VfL hat einen schicken und geradlinigen Fußball gespielt, der im direkten Vergleich mit den meisten Vorgänger-Auftritten noch mal deutlich schicker aussah. Sogar Aufwand und Ertrag standen in einem anständigen Verhältnis zueinander, weil der Angreifer Patrick Wimmer in der neunten Minute mit einem sehenswerten Drehschuss zur Führung traf.

Ja, das hatte nach jener kollektiven Reaktion ausgesehen, die der in der Kritik befindliche Fußballtrainer seit Wochen schon angekündigt hatte. Doch dann musste Niko Kovac dabei zusehen, wie Torschütze Wimmer sich kurz vor der Pause in Richtung des eigenen Tors bewegte, den Ball vertändelte und seinen enteilenden Gegenspieler vor dem Strafraum zu Boden zog.

Wimmer hatte wenigstens Glück im Unglück, denn er war ja noch in Rufweite des pfeilschnellen Verteidigers Maxence Lacroix, der die Situation gewiss bereinigt hätte. Also: Keine Notbremse, sondern taktisches Foul und somit gelbe Karte - dachten jedenfalls alle in der Wolfsburger Arena. Nur halt blöderweise jene Person nicht, deren Meinung in solchen Fragen maßgeblich ist. Schiedsrichter Timo Gerach griff an die hintere Hosentasche und zeigte Wimmer die rote Karte, die - auch da waren sich alle im Stadion sicher - in Zeiten der Zweitkorrekturen aus dem Videokeller nur ein paar Sekündchen rechtskräftig sein würde.

Gerach schaute sich die Szene allerdings nicht am Bildschirm an, sondern vertraute auf den Videoverantwortlichen Felix Brych, der offenkundig keine Einwände hatte. Es blieb bei Rot für Wimmer. Und als wäre das nicht genug gewesen für einen Trainer, der seit Wochen um seinen Job kämpft, hatte das Spiel eine weitere hundsgemeine Pointe zu bieten: Der folgende Freistoß landete nur deshalb im Wolfsburger Tor, weil er vom VfL-Mittelfeldmann Maximilian Arnold abgefälscht wurde. Die Augsburger schafften den 1:1-Ausgleich und wussten selber nicht, wieso. Am Ende verloren die dezimierten Wolfsburger dieses Spiel 1:3. Und Kovac am Tag darauf seine Festanstellung.

Kovac kam mit Titelambitionen nach Wolfsburg, jetzt heißt es Abstiegskampf

Es hätte in dieser Saison einige legitime Zeitpunkte gegeben, in denen sich die Wolfsburger von Kovac hätten trennen können, aber das hatten sie sich jetzt selbst eingebrockt: Kann man einen Coach entlassen, der sein berufliches Entscheidungsspiel mutmaßlich nur wegen eines Kapitalaussetzers des zuständigen Schiedsrichterkollektivs verloren hat?

Nun, die Wolfsburger konnten: Kovac, der unmittelbar nach dem Spiel mal wieder auf das fehlende "Quäntchen Glück" verwiesen hatte, wurde am Sonntag freigestellt. Nach einer "internen Aufarbeitung", wie der Wolfsburger Sportchef Marcel Schäfer in dem Kommuniqué zitiert wird, sei man "zu dem Entschluss gekommen, die Zusammenarbeit zu beenden" und der "Mannschaft einen neuen Impuls zu geben, um die Situation zu stabilisieren". Wenige Stunden später meldete der VfL den Österreicher Ralph Hasenhüttl als Nachfolger. Der 56-Jährige, der in der Bundesliga den FC Ingolstadt und RB Leipzig und zuletzt den FC Southampton in der Premier League trainiert hat, habe einen "längerfristigen" Vertrag unterschrieben.

Schäfer hatte am Vortag noch angemerkt, dass der Spielverlauf gegen Augsburg "isoliert betrachtet" unter einem bösen Fluch gestanden sein muss. Das ließ sich nicht von der Hand weisen, doch es gibt halt auch einen Gesamtkontext, in dem dieser missliche Nachmittag steht: Elf Partien sind die Wolfsburger schon sieglos, die Abstiegsrelegation ist nur noch sechs Punkte entfernt, mit 25 Punkten aus 26 Spielen hat der Werksklub die schwächste Bilanz seiner Bundesliga-Geschichte zu diesem Zeitpunkt vorzuweisen. Und nach Schlusspfiff wurde den Spielern von den Fans auch noch hämisch applaudiert. Eine nicht gerade vorzeigenswerte Bilanz für einen Trainer, der 2022 mit selbst formulierten Titelambitionen an einem Standort angefangen hat, an dem es vielleicht an Begeisterung fehlt, aber dank der Finanzkraft eines örtlichen Autobauers bestimmt nicht an begabten Fußballern.

Man kann diese altgediente Floskel hier schon noch mal bemühen: Kovac hatte in Wolfsburg nicht immer Glück - und dann kam gemeinerweise auch noch eine ganze Menge Pech dazu. Das hat auch der Sportchef Schäfer gesehen, der sich wochenlang so schützend vor seinen Trainer stellte, wie sich ein Trainer das nicht besser wünschen kann. Aus Überzeugung von jenem Trainer und seinen Fähigkeiten, aus festem Glauben an eine Besserung der Wolfsburger Gesamtlage. Und womöglich auch ein wenig aus innenpolitischen Motiven: Kovac war Schäfers absoluter Wunschtrainer, als er 2022 vom Sportdirektor zum Sportgeschäftsführer befördert wurde; entgegen der Präferenz seines Lehrmeisters Jörg Schmadtke, der lieber mit Florian Kohfeldt weitergemacht hätte. Schäfer setzte sich in dieser zentralen Frage durch, was auch ein freundlicher Gruß an den Konzernvorstand war: Seht her, liebe Herrschaften, der neue Sportchef hat ein stabiles Durchsetzungsvermögen - und er hat einen Coach herangeschafft, der immerhin eine Meisterschaft mit dem FC Bayern und zwei DFB-Pokalsiege mit Frankfurt und München in seiner Biographie geschrieben stehen hat.

Schäfer dürfte außerdem registriert haben, dass Mannschaft und Trainer nicht dramatisch aneinander vorbeigelebt haben. "Diese Jungs", hatte Kovac am Samstag gesagt und sich kurz darauf selbst unterbrochen: " Meine Jungs haben immer sehr, sehr ordentlich gespielt. Sie leben." Was in diesem Moment ein wenig pathetisch klang, stand genauso in einem größeren Kontext wie das soeben beendete Fußballspiel: Die Wolfsburger haben in dieser Saison nie den Eindruck erweckt, als würden sie gegen ihren Trainer spielen, obwohl Kovac wegen Dauerrotationen womöglich jede Hierarchie aus diesem Team gecoacht hat. Sie haben stets Anstand bewiesen und eigentlich immer gezeigt, womit an Fußball-Stammtischen besonders gern argumentiert wird: Einsatz- und Laufbereitschaft, Willen, mitunter auch mal Leidenschaft. Kovacs Gegen-den-Ball-Fußball fehlte es aber stets an Variantenreichtum, wenn der Gegner artverwandte Methoden einsetzte. Und auch das Wichtigste im Fußball, die Ergebnisse, blieben schon ein ganzes Weilchen aus.

Am liebsten wäre es den Beteiligten gewesen, wenn sie diese unerfreuliche Saison noch irgendwie gemeinsam hinter sich gebracht hätten; das war auch das klare Vorhaben von Schäfer und Kovac. Und vor allem der Trainer hatte am Samstag noch keinen resignativen Eindruck hinterlassen, weil etwas anderes zu diesem Trainer auch gar nicht passen würde. Kovac, aufgewachsen in Berlin-Wedding, betonte im Wolfsburger Pressesaal, dass er sein Leben lang "keinen goldenen Löffel" geschenkt bekommen und sich durch "harte Arbeit" nach oben gekämpft habe; der Begriff "aufgeben" komme in seinem Wortschatz nicht vor. Nicht umsonst, ergänzte Kovac, bedeute sein Nachname übersetzt "Hufschmied". Diese Koinzidenz ist dem Kroaten wichtig, er hat deshalb nicht zum ersten Mal daran erinnert.

Am Sonntag musste er sich dann laut Klubmitteilung eingestehen, mit seinem Team den "Turnaround" nicht geschafft zu haben. Die Entscheidung gegen sich nahm Kovac dem Vernehmen nach gefasst zur Kenntnis. Eine Entscheidung, die maßgeblich von einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters Timo Gerach beeinflusst worden war.

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