Leichtathletik:Die Ausnahme-Athletin

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Bei der Heim-EM in München hat Katharina Trost das Finale erreicht, bei der WM in Budapest wäre das ihr Ziel gewesen. (Foto: Anke Waelischmiller/Sven Simon/Imago)

Wegen einer Windpocken-Infektion musste die deutsche 1500-Meter-Meisterin Katharina Trost auf die Leichtathletik-WM in Budapest verzichten. Nun ist sie voll berufstätig, hat sich die Olympianorm gesichert - und steht vor der Frage, wie es weitergeht.

Von Andreas Liebmann

Der Rahmen war feierlich im Frühjahr, sie hatten den gotischen Festsaal des Alten Münchner Rathauses belegt, blickten gemeinsam voraus auf die anstehende WM-Saison - und natürlich auch zurück auf die European Championships im Olympiastadion im vergangenen Sommer, dieses unvergessliche Erlebnis für die Münchner Leichtathletik. Auch damals hatte sich die LG Stadtwerke München auf die Saison mit einer solchen Gala eingestimmt, der ersten Munich Athletics Night, nun also ließ sie wegen des großen Erfolgs gleich eine zweite Gala folgen. Und Katharina Trost, fliederfarbenes Kleid, hohe Schuhe, nutzte den feierlichen Rahmen, um auch ihren persönlichen Rahmen für den Sommer abzustecken: "Ich will unbedingt nach Budapest", sagte sie mehrmals fast wortgleich in verschiedene Mikrofone, "ich war noch nie in Budapest."

Die Donaumetropole mit ihren Prachtbauten ist selbstverständlich immer sehenswert, aber Trost, die Mittelstreckenläuferin aus Piding im Berchtesgadener Land, wollte vor allem zur Weltmeisterschaft. Die beginnt an diesem Samstag, allerdings: ohne Katharina Trost. Zwar hatte sich die 28-Jährige qualifiziert und stark darauf gehofft, dass es dort für sie auch bei einer WM mal mit dem Finaleinzug klappen würde, wenige Tage vor dem Auftakt hatte sie sich aber eingereiht in einen illustren Kreis von Ausfällen innerhalb des DLV-Kaders. Nicht wegen einer Verletzung, sondern wegen des Verdachts auf eine Windpocken-Infektion, wie der Verband meldete.

Der Verdacht hat sich schnell bestätigt. Nach ersten Symptomen am vergangenen Wochenende war Trost zunächst sehr niedergeschlagen, weil sie ahnte, worauf all das hinauslaufen würde - und dann schlug die Krankheit sie gleich noch viel gründlicher k.o.: Kopf- und Gliederschmerzen, Bläschen am ganzen Körper, das volle Programm. Am Freitag klang sie schon wieder etwas munterer, aber klar: Die Enttäuschung sei natürlich riesig, erzählte sie. Die Saison ist für sie beendet, und es werde sicher noch einmal "echt hart" werden, den 1500-Meter-Vorlauf aus Budapest im Fernsehen mitzuverfolgen.

Im Alten Rathaussaal war Trost im Frühjahr noch im Mittelpunkt gestanden, sie war bei der zurückliegenden Heim-EM eine von nur drei Münchner Lokalmatadoren gewesen, hatte das Finale erreicht, wie auch Hochspringer Tobias Potye, der Silber gewann, und ihre langjährige Trainingspartnerin Christina Hering, die nach der EM in eine Berliner Trainingsgruppe gewechselt war und der Gala wegen eines Trainingslagers fernblieb.

Der Sommer endet nun ohne sie - und Trost muss sich entscheiden

Trost hatte eine ganz andere Art von Stress zu dieser Zeit. Sie stand wenige Tage vor einer Doppellehrprobe fürs zweite Staatsexamen, dem wichtigsten Teil ihrer Ausbildung zur Lehrerin. Dieser Teil ihrer Vita unterscheidet sie sehr deutlich von den meisten ihrer Sportkolleginnen. Ihre komplette Hallensaison, erzählte sie, habe nur zwei Tage gedauert, womit sie ihre Teilnahme an den deutschen Hallenmeisterschaften im Februar meinte, vor denen sie gar nicht so genau gewusst habe, wo sie sportlich stehe - und bei denen sie ihren Titel verteidigte. Ihre Doppelbelastung, sagte sie bereits nach diesem Titelgewinn, sei hart. In den Osterferien folgte dann ein Trainingslager (mit etwas Lernen für die mündlichen Prüfungen), der Beginn ihres Aufbaus für den Sommer.

In den fand Trost ziemlich gut hinein. Anfang Juli gewann sie auch bei den deutschen Freiluftmeisterschaften den Titel über 1500 Meter, kurz darauf schaffte sie im hochklassig besetzten Vorprogramm des Diamond-League-Meetings in Chorzow mit einer Zeit von 4:02,32 Minuten neben der WM- gleich noch die Olympianorm für Paris 2024 - und verbesserte ihren eigenen bayerischen Rekord.

Mindestens erstaunlich muss man das wohl nennen, schließlich gehört zum zweiten Referendariatsjahr für angehende Grundschullehrerinnen in Bayern auch eine Klassenleitung, und im Nachhinein hat sie doch einigermaßen verwundert festgestellt, dass so ein Schuljahr mit dieser Verantwortung nicht allmählich Richtung Ferien ausschleicht, sondern bis zum letzten Tag Stress bereithält. Umso günstiger wäre diese WM nun für sie gelegen, mitten in den Ferien, mit etwas Zeit, vom Beruf abzuschalten und den Kopf für den Sport freizubekommen. Und nun?

Diese Frage beschäftigt sie aktuell. Sie schaue immer nur noch von Jahr zu Jahr, auch das hatte sie bereits im Frühling gesagt: "Mal schauen, wie der Sommer läuft." Sieben Wettkämpfe hat sie bestritten, aber jetzt, zum Höhepunkt, läuft der Sommer ohne sie. Und die Belastung wird künftig nicht geringer, im Gegenteil: Weil ihr auch der Beruf als Lehrerin Spaß mache, werde sie das neue Schuljahr gleich mit einer Vollzeitstelle in Angriff nehmen, hatte sie schon damals angekündigt - was nur ein Teil der Wahrheit ist.

Die Optionen, die ihr bleiben, sind beide schwer vorstellbar

Die Leichtathletik, auch das ist so ein Punkt, eignet sich in Deutschland nur sehr bedingt zur Sicherung des Lebensunterhalts. Und ihre Bemühungen, für das kommende Jahr als Teilzeitkraft einzusteigen, verliefen bislang ergebnislos. So etwas sei nicht vorgesehen, wenn man keine Kinder habe, erfuhr sie. Man kann das vermutlich niemandem vorwerfen, die Zahl der aktiven Olympiasportler im Schuldienst dürfte von überschaubarer Größe sein. "Mir ist auch klar, dass ich ein Ausnahmefall bin", sagt Trost, "aber ich hatte doch gehofft, dass man da mit einer Olympianorm vielleicht was machen kann." Willkommen im deutschen Hochleistungssport.

Beide Optionen, die Katharina Trost nun bleiben, kann man sich nur mit viel Fantasie zu einem realistischen Szenario zusammenbasteln: Sollte sie - Möglichkeit eins - tatsächlich versuchen, 2024 als ambitionierte Hobbyläuferin in Paris anzutreten? Oder, zweite Möglichkeit, nun ernsthaft ihre Laufbahn beenden, mit 28 Jahren und der Norm für ihre zweiten Olympischen Spiele in der Tasche? Sie werde all das noch gründlich evaluieren, sagt sie, nach den Windpocken, nach Budapest. Netterweise hat das Internationale Olympische Komitee darauf geachtet, dass auch die Leichtathletik-Wettkämpfe von Paris erst nach dem bayerischen Ferienbeginn starten, immerhin, wenn auch nur um wenige Tage. Aber Olympische Spiele als Ferienprogramm?

Sie hätte in Budapest gerne gezeigt, was sie draufhat, sagt sie, und das klingt doch sehr danach, dass der Gedanke eines Karriereendes im Krankenbett nicht gerade der ist, den sie bevorzugt. Andererseits hat sie festgestellt, dass die zurückliegenden beiden Jahre sehr anstrengend waren. In Paris übrigens war sie schon. Mehrmals. Bleibt aber trotzdem sehenswert.

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