WM 2010: Spanien - Honduras:Die Unvollendeten

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Die Spanier waren auch beim 2:0 gegen das ungeheuer harmlose Honduras ein unvollendetes Kunstwerk. Ihnen fehlt noch die Gefräßigkeit - und sie sind abhängig von Stürmerstar David Villa.

Man muss jetzt offensichtlich mit allem rechnen bei dieser Weltmeisterschaft , sogar mit Toren. Beinahe hätten die Spanier am Montag Abend in Johannesburg auch ganz viele geschossen, ähnlich wie ihre portugiesischen Nachbarn am Nachmittag. Fast hätte es im Ellis Park noch so ein Schützenfest gegeben, ein Soundsoviel zu Null gegen Honduras. In der Wettervorhersage gibt es für das, was sich im Stadion abspielte, den Begriff der "gefühlten Temperatur".

Am Ende landet der Ball bei den Spaniern immer bei David Villa. (Foto: afp)

Den haben die Damen und Herren Meteorologen erfunden, damit sie halbwegs plausibel erklären können, warum das echte Wetter mit dem von ihnen vorhergesagten nie zusammenpasst. Der prophezeite Sommer "fühlt" sich dann halt einfach etwas kälter an. Clever - und so gesehen sind die Spanier nun die gefühlten Torschützenkönige der WM. Tatsächlich mögen sie gegen Honduras nur mit 2:0 (1:0) gewonnen haben, aber hey, fühlte es sich nicht viel höher an?

Alles Täuschung! Es könnte sogar sein, dass sich ein weiteres zum Kreis der Favoriten zählendes Team bald fragen lassen muss, was da in Südafrika wohl schief gelaufen sein mag. Die Antwort dürfte komplexer ausfallen als bei Franzosen oder Engländern, die ein für jeden sichtbares Stück vom Fußball-Boulevard aufführen, ohne jede Raffinesse, mit Pointen platt wie Bratpfannen. Man beschimpft sich, meutert und würde wohl auch morden, während draußen die äußerst intellektuell aussehenden Trainer Domenech und Capello an ihren Designerbrillen nesteln und später sagen, sie verstünden ihre Spieler nicht mehr.

Aber Spanien? Die hatten sich in den vergangenen zwei, drei Jahren zu den feinsten Fußballern der Welt entwickelt, zur ballsichersten Mannschaft dieses Erdballs. Die Studenten, die in den Stadien per Mausklicks die Pässe zählen, die eine Mannschaft spielt, müssten bei Begegnungen der Spanier zur Pause eigentlich ausgewechselt werden, weil ihre Finger verkrampfen vom ewigen Geklicke. Auch gegen Honduras näherte sich der spanische Ballbesitz - okay, gefühlt - der Marke von 100 Prozent, weil die Spanier den Lateinamerikanern den Ball nur überließen, damit die ihn einwerfen, abstoßen oder wegbolzen durften.

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So fingen sie schon hoch überlegen an, so trafen sie die Latte durch David Villa in der siebten Minute, so trafen sie zum 1:0 durch David Villa in der 17. Minute, so schossen sie das 2:0 durch David Villa in der 51. Minute, und so verschossen sie einen Elfmeter nach gut einer Stunde durch, wer würde es erraten, David Villa - der auch von Fernsehkameras bei einer Ohrfeige gegen Izaguirre erwischt wurde, aber nicht vom Schiedsrichter.

Villa, Villa, Villa - das ist das wundersame am Spiel der Spanier. Da ticken sie den Ball minutenlang mit laserstrahl-präzisen Anspielen durch Abwehr und Mittelfeld, rotieren um ihre Gegenspieler herum wie Ballerinen, spielen Pässe so steil wie Gebirgsschluchten, tun also alles, um jeden Gegner vollkommen zu verwirren - um am Ende immer David Villa zu finden.

Das ist zwar immer noch besser, als sich auf Fernando Torres verlassen zu müssen, der nach einer Knieoperation vor der WM von einem Vollstrecker so weit entfernt ist wie Honduras vom WM-Finale. Torres lieferte am Montagabend wunderbare Beispiele dafür, auf welch verschiedene Arten man Tore nicht schießen kann. Villa ist da zielstrebiger, aber auch die Abhängigkeit des spanischen Teams von ihm ist frappierend und gefährlich. Den klugen Chilenen wird es eine Freude sein, im Gruppenfinale diesen Stürmer vom FC Sevilla aus dem Spiel zu nehmen, wenn es nicht die Fifa wegen der Tätlichkeit vorher tut.

Und dann? Könnte tatsächlich eine Mannschaft, die im Prinzip nichts falsch macht und die einen Trainer hat, der so stoisch auf der Bank verharrt wie ein Buddha mit Bart, die WM schon nach der Vorrunde verlässt. Vicente del Bosque hatte ja erkannt, woran es dem Spiel mangelte beim 0:1 gegen die Schweiz, nämlich an der Effektivität. Er psychologisiert nicht herum wie Capello oder Domenech, sondern weist an, bei all den Ballkontakten den Weg zum Tor nicht zu vergessen. Abstellen konnte er diese Schwäche aber nicht binnen einer knappen Woche. Die Spanier waren auch gegen das ungeheuer harmlose Honduras ein unvollendetes Kunstwerk. Ihnen fehlt die Gefräßigkeit.

Und so könnte es dem wunderschönen Europameister von 2008 bei dieser WM gehen wie bei so vielen Turnieren vorher: Anstatt sich gegen die vermeintlich leichten Widersacher Schweiz und Honduras die Form für die wichtigen Spiele zu holen, haben die Spanier schon nach zwei Runden viel von ihrem Zauber verloren. Auch gegen Honduras erspielten sie sich zwar durchweg Chance um Chance, aber je länger die Partie dauerte, umso selbstgefälliger gingen sie damit um. Letztlich fühlte sich der verpasste Kantersieg dann doch ganz schön fad an.

© SZ vom 22.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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