Wimbledon-Halbfinale:Überwältigt vom Drama

Wimbledon 2018

Novak Djokovic: Kämpft um seinen nächsten Titel

(Foto: dpa)
  • Wimbledon 2018 scheint ein Turnier der Dramen zu sein, auch wegen der Marathonspiele: Novak Djokovic ringt im Halbfinale Rafael Nadal nieder.
  • Danach ist der Serbe sichtlich ergriffen, er hatte zuletzt schwierige Monate, persönlich und sportlich.
  • Am Sonntag trifft er auf Kevin Anderson im Finale, der am Freitag das längste Halbfinalspiel der Wimbledon-Geschichte absolviert hatte.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Seine Stimme war brüchig, er schluckte. Seine Augen: gerötet. Novak Djokovic überlegte, er schüttelte den Kopf. "Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden", sagte er schließlich. Es war sein erstes kurzes Interview auf dem Weg zur Kabine. Vor wenigen Minuten noch war er auf dem Centre Court gestanden, hatte sich ans Netz bewegt und Rafael Nadal die Hand gegeben, während gut 15 000 Menschen um sie herum aufstanden und applaudierten. Am Freitag hatte das Rasenturnier im All England Club das längste Halbfinale seiner Geschichte erlebt, als der Südafrikaner Kevin Anderson nach 6:36 Stunden den Amerikaner John Isner mit 26:24 im fünften Satz besiegt hatte. Am Samstag folgte das zweitlängste. Nach 5:14 Stunden hatte sich Djokovic mit 6:4, 3:6, 7:6 (9), 3:6 und 10:8 durchgesetzt gegen den Spanier, seinen langjährigen Rivalen.

Wimbledon 2018, das scheint ein Turnier der Dramen zu sein. Das Federer-Aus im Viertelfinale. Fast ein deutsches Frauenfinale, dann der Triumph von Angelique Kerber. Und eben auch diese Marathonspiele, die nicht nur den Wimbledon-Fans vor Ort im Kopf bleiben werden.

Novak Djokovic war sichtlich fertig mit den Nerven nach seiner Partie am Samstagnachmittag, bewegt und ergriffen. "Ich bin überwältigt", sagte der 31-Jährige, er habe "Flashbacks" gehabt, sich an seine schwierigen 15 Monate erinnert, als er persönliche und sportliche Probleme hatte und wie weggezaubert wirkte aus der Weltspitze. "Ich bin im Wimbledon-Finale, und das ist eine unglaubliche Leistung, nach allem, was ich durchgemacht habe", sagte Djokovic. Seine Augen glänzten.

Die letzten Tage in London hatten sich zunehmend zu einer packenden Action-Serie entwickelt. Das zweite Halbfinale hatte ja erst derart spät begonnen auf dem Centre Court am Freitagabend, weil sich das erste Halbfinale zwischen Anderson und John Isner so ewig hingezogen hatte, ehe Anderson mit 7:6 (6), 6:7 (5), 6:7 (9), 6:4 und 26:24 gewonnen hatte. Anderson, 32, aus Johannesburg, schon lange in den USA wohnhaft, ist der erste Südafrikaner im Finale von Wimbledon seit 1921.

Der 2,08 Meter große Isner, 33, aus Dallas, hat nun seinerseits an den beiden längsten Matches im All England Club mitgewirkt, 2010 hatte er den Franzosen Nicolas Mahut mit 70:68 im fünften Satz niedergerungen. "Ich fühle mich schrecklich", sagte Isner danach, er hatte körperliche Schmerzen überall. Gleichzeitig forderte er aber auch die Einführung eines Tie-Breaks im fünften Satz, wie so viele jetzt. "Ich persönlich denke, eine Möglichkeit könnte sein, ihn ab zwölf beide zu spielen." Für Anderson, noch die Nummer sieben der Weltrangliste, ist es bereits das zweite Grand-Slam-Finale bei den letzten vier Starts. "Das war weit weg von einem normalen Match", sagte er, "auch taktisch." Er plädierte ebenso für den Tie-Break, im Gegensatz zu Isner blieb ihm die Vorfreude aufs Finale. "Am Ende des Tages habe ich es ins Endspiel von Wimbledon geschafft, der halbe Traum ist schon wahr."

Djokovic wirft Mumeln beim Warten

Da es nach dieser Partie dann schon früher Abend war, wurde beschlossen, das Dach für Djokovic und Nadal zu schließen. Um wenigstens anfangen zu können. Als die beiden Spieler die Arena betraten, war fast klar, dass sie ihr Match nicht zu Ende spielen können würden. Aufgrund städtischer Auflagen müssen Wettkämpfe im All England Club um 23 Uhr abgebrochen werden. Djokovic hatte das lange Warten unter anderem mit dem Werfen von Murmeln verbracht, er begann stark und gewann den ersten Satz. Nadal steigerte sich, Satz zwei ging an ihn. Der dritte Durchgang war auf höchstem Niveau, und ehe die beiden den Platz verließen, sicherte sich Djokovic nach Abwehr von drei Satzbällen den Tie-Break mit 11:9.

Am Samstag fand die Fortsetzung ab 13 Uhr vor dem Frauenfinale von Angelique Kerber und Serena Williams statt, schon setzten Debatten in den Medien und Sozialen Medien ein, ob es gegenüber dem Frauentennis fair und angemessen wäre, ein Männer-Match zu platzieren, dessen Dauer ungewiss war. An der Terminierung änderte sich aber nichts, und so hetzten sich die beiden wieder über den Rasen. Das Dach war erneut geschlossen, weil unter den selben Bedingungen weitergespielt werden musste.

Nadal ist unglücklich mit dem Dach

Die Partie zwischen Nadal und Djokovic verdeutlichte, warum diese beiden Darsteller zu den sogenannten Big Four zählen. Nadal, Djokovic, Roger Federer und Andy Murray haben zehn Jahre lang das Tennis geprägt und die meisten der Grand-Slam-Titel gewonnen, ehe ihre synchrone Dominanz etwas nachließ. Verletzungen, wohl auch altersbedingt, und der dauernde Einsatz forderten ihren Tribut. Bei Djokovic kamen auch verschiedene andere Probleme hinzu, privater Natur, mentale, es fehlte ihm an Motivation, nachdem er so viel erreicht hatte; im Frühjahr 2016 hatte er in Paris mit den French Open auch das letzte der vier existierenden Grand Slams gewonnen. Nun ist er, wieder trainiert von seinem einstigen Langzeit-Coach Marian Vajda aus der Slowakei, erstarkt zurück - und wie stark, erlebte auch Nadal.

Djokovic trat ihm ebenbürtig entgegen, sie teilten viele spektakuläre Punktgewinne untereinander auf. Nadal startete besser, eng war trotzdem fast jedes Aufschlagsspiel: das erste dauerte gleich mal 16 Minuten. Nach dem 6:3 im vierten Satz wirkte Nadal leicht im Vorteil, doch Djokovic fand seinen Rhythmus wieder. Bei 4:4, 14:40 hatte Nadal zwei Breakchancen. Djokovic gelangen sechs Punkte in Serie. Bei 0:30 Aufschlag Nadals fehlten ihm dann nur zwei Punkte zum Sieg. Doch vorbei die Chance. Mit einem Doppelfehler gewährte Djokovic gar Nadal zwei Breakbälle. Djokovic wehrte sie seinerseits ab, einmal mit einem Ass. Einen dritten mit einem Passierball.

Die Zuschauer schrien auf. Die Teamkräfte, die Familien von Nadal und Djokovic litten. Nur Kate und Meghan in der Royal Box wirkten wie Schmetterlinge, so leicht und entspannt. Bei 8:7 hatte Djokovic den ersten Matchball, Nadal spielte einen wahnwitzig mutigen Stopp. Bei 9:8 nutzte dann Djokovic bei 40:0 den zweiten Matchball, Nadal machte den letzten Fehler.

Später äußerte Nadal, dass er nicht ganz glücklich mit der Entscheidung war, dass das Dach bei der Fortsetzung geschlossen blieb. "Ihr entscheidet, ob das fair ist oder nicht", sagte er zu den Reportern. "Ich denke, es war nicht richtig", sagte er, "aber das ist nur meine Meinung." Djokovic, das implizierten seine Worte, war im Vorteil. Aber er lobte auch: "Wie auch immer, es gab so viele Aspekte in diesem Match, viel gutes Tennis von uns beiden, da spielt das Dach keine Rolle."

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