Kerber-Sieg in Wimbledon:Die Erste seit Steffi

Kerber-Sieg in Wimbledon: Angelique Kerber: Ergriffen beim größten Erfolg ihrer Karriere

Angelique Kerber: Ergriffen beim größten Erfolg ihrer Karriere

(Foto: AFP)
  • Angelique Kerber hat das Finale in Wimbledon und damit ihren dritten Grand-Slam-Titel gewonnen. Die Kielerin siegte in zwei kurzen Sätzen gegen die US-Amerikanerin Serena Williams (6:3, 6:3).
  • Sie ist damit die erste Deutsche seit der großen Steffi Graf vor 22 Jahren, die das prestigeträchtige Rasen-Turnier in London gewinnen konnte.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Am Morgen hatte sie, wie immer in diesen Tagen, lang und ausgiebig gefrühstückt. Sie mag diese Ruhe, dieses Ritual. Unweit des Aorangi Parks, den Übungsplätzen im All England Club, hat Angelique Kerber ein Haus gemietet, wie es so viele Profis in diesem speziellen Ortsteil machen. Sie teilt sich ihr Anwesen mit ihrem Team, Trainer Wim Fissette wohnt dort, Physio André Kreidler, Mutter Beata, Gunda, die Freundin der Mutter. Es ist grundsätzlich ein offenes Haus für alle, die zum inneren Zirkel dieses Clans gehören. Auch Manager Aljoscha Thron kommt selbstverständlich vorbei. Im Garten steht übrigens eine Tischtennisplatte, und wie es heißt, soll es an dieser ordentlich zur Sache gegangen sein in den letzten zwei Wochen.

Allerdings nicht an diesem Samstag. Das Spektakel fand woanders statt.

Auf dem Centre Court des berühmtesten Tennisturniers. Am Nachmittag war Kerber ja zu einer Partie mit der Amerikanerin Serena Williams verabredet gewesen, und es ging um nicht weniger als den wertvollsten Pokal in ihrem Sport. "Wenn man Wimbledon gewinnt, ist man unsterblich", hatte Barbara Rittner, Chefin der Frauenabteilung beim Deutschen Tennis-Bund zuvor auf der Anlage des All England Clubs betont.

Um 17.18 Uhr stand Kerber auf dem Centre Court. Sie ließ sich fallen. Rollte längs in den Staub des abgenutzten Rasenplatzes nach zwei Wochen Tennis. Schlug die Hände vors Gesicht. Stand auf. Rannte zu Williams, umarmte sie, ließ sich lange drücken. Sie lief zu ihrer Box, herzte ihren Trainer Wim Fissette, der sie erst im Herbst übernommen hatte, der stille, schlaue Belgier. Mit Sabine Lisicki verpasste er 2013 noch den Titel. Kerbers Mutter Beata schluchzte.

Ihre Tochter ist jetzt eine Unsterbliche.

Kerber hatte Williams in nur 65 Minuten mit 6:3, 6:3 gesiegt. "Ein Traum wurde wahr", sagte sie bei der Siegerehrung, als sie die Rosewater Dish erhielt, die Silberschale. In einer Reihe mit Namen wie Martina Navratilova, Chris Evert, Maria Scharapowa, Serena Williams steht sie nun. Alles Champions hier. Und das Datum ihres Erfolgs reihte sich ein hinter diese für Deutschland relevante Daten: 7. Juli 1985. 3. Juli 1988. 7. Juli 1991. Boris Becker holte seinen ersten Titel vor 33 Jahren. Steffi Graf siegte vor 30 Jahren erstmals, als sie die große Martina Navratilova niederrang in drei Sätzen. Sechs weitere Titel folgten. Und Michael Stich rang vor 27 Jahren Becker nieder.

Kerber hatte 2016 ihre bislang größten Triumphe gefeiert. Bei den Australian Open und den US Open. Sie stieg zur Nummer eins auf. 2017 strauchelte sie. Nun ist sie ganz oben angekommen. Symbolisch vor allem. Wimbledon ist größer. "Viele Kinder auf der Welt wissen etwas mit dem Namen Wimbledon anzufangen", hatte Rittner eingeordnet. "Das ist das Aushängeschild für den Tennissport." Und vermögend machen Erfolge dort auch. Kerber kassiert nun 2,5 Millionen Euro Preigeld.

Der Start des Endspiels hatte sich verzögert, um mehr als zwei Stunden. Es musste erst noch das zweite Halbfinale der Männer zu Ende gespielt werden. Am Freitag hatte es den Zeitplan zersprengt, als das erste Halbfinale zwischen dem Südafrikaner Kevin Anderson und dem Amerikaner John Isner 6:36 Stunden dauerte. Dies hatte zur Folge, dass Rafael Nadal und Novak Djokovic fast vor Einbruch der Dunkelheit auf den Centre Court gingen. Das Dach wurde geschlossen, die Lichter gingen an, doch um 23 Uhr wurde die Partie nach drei Sätzen abgebrochen. Eine städtische Verordnung erlaubt keine längeren Matches in Wimbledon. Die Fortsetzung wurde auf 13 Uhr vor das Frauenfinale gelegt, wie es heißt, soll die Frauentour WTA nicht begeistert gewesen sein, dass der Start des Frauenfinals von der Dauer des Männer-Halbfinals nun abhing. Aber letztlich war das alles nur Geplänkel vor dem Höhepunkt. Als Djokovic sich durchgesetzt hatte, betraten die Frauen die Arena.

Bei Williams schimmert kurz die Wut durch

Oben in der Royal Box saß hoher Besuch, Kate und Meghan waren wie angekündigt erschienen, die Duchess of Cambridge sowie die Duchess of Sussex, die Gattinnen von William und Harry jeweils. Auch Anna Wintour schaute vorbei, zuvor hatte sie sich noch auf der Terrasse mit Ex-Profi Tommy Haas unterhalten. Sie nahm in der Box von Williams Platz, zusammen mit Lewis Hamilton und Tiger Woods. Schwer zu sagen, wer in der Überzahl war unter den 15 000 Zuschauern: die Prominenten oder die Normalsterblichen.

Kerber begann furios, ihr gelang sofort das Break, 1:0, sie hielt ihr Aufschlagspiel, 2:0. Williams kam zurück, glich aus, 2:2, 3:3. Williams unterliefen zwei Doppelfehler, wieder war Kerber mit dem Break vorne und sie holte sich den Satz dann sogar mit dem zweiten Break, 6:3. Nach nur 31 Minuten.

Satz zwei. Williams musste, das konnte jetzt eine Last sein, diesen Durchgang gewinnen. Kerber dominierte die Ballwechsel meist, sie war agiler, flink wie ein Wiesel, hatte mehr Länge in den Schlägen, produzierte weniger Fehler, variierte mit Stopps. Williams verschlug ein paar Mal richtig leichte Bälle, aus wenigen Metern gar hinter dem Netz. Einmal schoss sie Kerber am Netz fast ab. Da war auch Wut jetzt, die durchschimmerte bei der 23-maligen Grand-Slam-Siegerin. Für sie ging es auch um die Einstellung eines Rekordes. Noch ein Titel, und sie hätte Margaret Courts Bestmarke eingestellt, die seit 1973 besteht.

Becker muss nun rüberrücken

Die Aufschlagspiele blieben in der Reihe, aber es wirkte wie eine Frage der Zeit, bis Kerber den Durchbruch im zweiten Satz schaffte. Er gelang mit dem Break zum 4:2. Man darf das so sagen: Sie drosch Williams manche Bälle um die Ohren, die behäbig wirkte. Kerber war die erste, die sie so richtig zum Laufen brachte, und jetzt fielen die verständlichen Defizite auf. Williams, 36, war im Herbst erstmals Mutter geworden. Dieses Turnier war erst ihr viertes seit ihrer Rückkehr. Bei den French Open hatte sie vor dem Achtelfinale noch zurückziehen müssen.

5:2. Da war nicht mal eine Stunde gespielt. Dieses Finale war ein Klassenunterschied. Eine Demonstration einer austrainierten, ehrgeizigen, lernbereiten Sportlerin aus Kiel, die nun in Polen ihr Zuhause hat. Becker hatte den Centre Court immer gerne als sein Wohnzimmer bezeichnet. Er muss nun rüberrücken. Kerber ist auch in diesem Wohnzimmer angekommen. 22 Jahre nach dem letzten Sieg einer deutschen Frau in Wimbledon. "Ich bin die nächste nach Steffi", sagte sie bei der Siegerehrung. "Du bist eine unglaubliche Spielerin und eine großartige Person", zollte ihr Williams Respekt. Sie war eine faire Verliererin, "ich bin enttäuscht", rief sie aus, "aber an alle Mütter: Ich habe es versucht!" Sie erhielt viel Applaus.

Doch Kerber war es, die die Ehrenrunde mit der Schale lief. Und Beata stand oben und weinte.

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