Für einen Moment setzte er wie einst Lee van Cleef den stechenden Blick auf, der die Bereitschaft anzeigt, den Colt zu ziehen, doch Rudi Völler beruhigte sich schnell. Ein Schluck Kaffee zur Besänftigung, dann genügte ihm ein beiläufiger Tadel: Den Spielern die Frage der Ehre zu stellen, wie es ein Reporter angeregt hatte, das sei "natürlich populistisch" und darüber hinaus nicht angebracht: "Am Bemühen hat's nicht gelegen, die Einstellung und der Wille waren da", sprach der DFB-Sportdirektor die Nationalelf vom Vorwurf frei, Land und Bundestrainer beim 1:4 gegen Japan mutwillig im Stich gelassen zu haben.
Die erste Pressekonferenz mit Sportchef Völler nach der Entlassung von Hansi Flick, am Montagabend im Dortmunder Stadion, wo tags darauf die Begegnung mit Frankreich ansteht, enthüllte nicht vieles, dieses aber schon: Eine Frage der Ehre ist es für ihn lediglich, die eigenen Leute niemals in schlechtes öffentliches Licht zu setzen - selbst wenn sie so miserabel gespielt haben, dass der Trainer seinen Posten verlassen musste und der DFB weitere kostspielige Schwierigkeiten meistern muss. Dass Völler zu den bisherigen Aufgaben auch noch das Coaching der Mannschaft übernimmt, wie es unter anderem Lothar Matthäus empfahl, wird bei aller Solidarität allerdings nicht passieren: Das Spiel gegen Frankreich sei für ihn "eine einmalige Sache". Er sehe sich "in der Pflicht, in dieser Konstellation auszuhelfen. Aber wir müssen einen Trainer finden, der das mit Leib und Seele macht."
Deutsche Nationalmannschaft:Isch over
"Klinsi", "Jogi", "Hansi": Mit dem Rauswurf von Flick endet die Epoche des südwestdeutschen Herrschergeschlechts in der Nationalmannschaft. Das Problem ist jetzt, dass im DFB offenbar keiner darüber nachgedacht hat, was danach kommen könnte.
In der Chronik der Bundestrainer und Teamchefs wird Völler somit eine Sonderstellung haben: Keiner seiner Vorgänger ist noch mal auf die Bank zurückgekehrt. Doch es soll ein kurzes Intermezzo bleiben, schon bei der USA-Reise Mitte Oktober soll wieder ein anderer Mann das Sagen haben. Die Erörterungen hätten begonnen, so Völler: In den Gesprächen mit Präsident Bernd Neuendorf und dessen Stellvertreter Hans-Joachim Watzke seien "schon einige Namen gefallen, die in Frage kommen". Auch Vertreter der Task Force seien einbezogen, "wir sind permanent in Kontakt mit den entscheidenden Leuten, da wird es noch einige Sitzungen geben". Namen der Kandidaten nannte Völler selbstverständlich nicht.
Als "Mix zwischen Trauer, Frust und Enttäuschung", beschreibt Ilkay Gündogan die Gefühlslage
Auch beim Bericht über die Umstände von Hansi Flicks Absetzung blieb Völler diskret, er hob jedoch die Rolle von Kapitän Ilkay Gündogan hervor, als im Wolfsburger Teamhotel der Abschied vom abreisenden Trainerstab anstand: "Da hat Ilkay noch mal eine wunderbare Rede gehalten, das war top. Da gab's Riesenapplaus von allen und hat auch Hansi gut gefallen." Gündogan beschrieb die Stimmung in der Mannschaft als einen "Mix zwischen Trauer, Frust und Enttäuschung". Er selbst habe "das Gefühl, Hansi im Stich gelassen zu haben, und ich glaube, das geht anderen Spielern genauso".
Die wichtigste Aufgabe werde nun darin bestehen, mit Blick auf die EM 2024 "eine gewisse Euphorie zu erzeugen", so Völler: "Mit einer neuen Person, einem neuen Bundestrainer ist das absolut möglich." Die Partie gegen Frankreich soll einen kleinen Anfang bilden: Völler schwärmte umfassend von den Stärken der Franzosen, deren Spielerkader der beste in Europa sei. Es werde also darauf ankommen, "dass sich unser Abwehrverhalten extrem verbessert". Niklas Süle wird dazu nichts beitragen: Er fuhr wegen der Geburt seines Kindes nach Hause.