DFB nach der Flick-Entlassung:Das Interregnum von Rudi

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Neue Autorität auf dem Rasen: Rudi Völler, der sich als Aushilfscoach versteht, versammelt in Dortmund die Fußballnationalspieler um sich. (Foto: Nico Herbertz/Imago)

Völler, Wagner, Wolf: Die Nationalelf wird gegen Frankreich von einem ungewöhnlichen Trio betreut - zumindest bei Völler dürfte es beim Einsatz als Eintages-Ersatzcoach bleiben.

Von Javier Cáceres, Berlin

Rudi Völler, 63, war einst ein Stürmer mit einem formidablen Instinkt für die richtigen Bewegungsmuster; er wusste immer besser als andere, wo der Hase lang- oder die Kugel hinlief. Und am Montag war nun zu sehen, dass Völlers Näschen noch gut funktioniert.

Am Tag nach der Ablösung von Hansi Flick, der am Samstag beim 1:4 des DFB-Teams in Wolfsburg gegen Japan an der Seitenlinie gestanden hatte, bestand Völlers erste Amtshandlung als Eintages-Ersatzcoach darin, die Tickets der Reisegruppe Nationalmannschaft bei der Deutschen Bahn zu stornieren. Statt, wie ursprünglich geplant, mit dem Zug von Wolfsburg nach Dortmund zu reisen, wo der zweimalige Weltmeister Frankreich wartet, ordnete Völler an, den DFB-Mannschaftsbus zu nehmen. Und siehe: Die Deutsche Bahn teilte danach mit, dass der Zug, den das DFB-Team reserviert hatte, in Wolfsburg nur durchfahren, nicht aber halten würde.

Beim DFB gerade erst für Aufgaben im Nachwuchs verpflichtet: Sandro Wagner (links) und Hannes Wolf müssen im A-Team aushelfen. (Foto: Sebastian Räppold/Matthias Koch/Imago)

Unter Umständen war die Organisation der Anreise die komplexeste Aufgabe, die Völler in seiner Mission als Ersatzcoach zu bewältigen hatte. Wie auch immer die Partie gegen Frankreich ausgehen sollte, sie wird am Nimbus des Rudi Völler nichts ändern. Sportlich ist die Freundschaftspartie nicht wirklich von Belang; es geht hauptsächlich darum, zumindest die Illusion von guter Laune herzustellen. Und gute Laune, das kann Völler, wie schon zu beweisen war.

Die Reise nach Dortmund ist für Völler auch eine Reise in die Vergangenheit. Erstens, weil er in Didier Deschamps, dem französischen Nationaltrainer, auf einen alten Bekannten trifft (beide gewannen 1993 die Champions League, als Spieler von Olympique Marseille). Und zweitens, weil Völler schon einmal das DFB-Team dirigiert hat. Er hatte die deutsche Nationalelf im Jahr 2000 übernommen, ursprünglich als Platzhalter für den seinerzeit als Magier verklärten Bundesligatrainer Christoph Daum.

Völler ließ sich für seinen Aushilfsjob breitschlagen

Völlers Zeit als Teamchef - weil er keinen Trainerschein hatte, durfte er sich nicht Bundestrainer nennen - verlängerte sich dann, weil Daum über die berühmte Kokain-Affäre stolperte. Am Ende standen für Völler 53 Spiele an der Seitenlinie zu Buche, er errang 29 Siege, elf Unentschieden und kassierte 13 Niederlagen. Die berühmteste: das 0:2 im WM-Finale 2002 von Yokohama, gegen Brasilien. Die letzte: 1:2 im letzten Vorrundenspiel der Europameisterschaft 2oo4 in Portugal gegen die Tschechische Republik. Danach trat er zurück. Und arbeitete nie wieder als Trainer, sondern als Sportdirektor bei Bayer 04 Leverkusen.

Am Montag meldete sich Völlers ehemaliger Mitspieler Lothar Matthäus zu Wort - und empfahl bei einer Veranstaltung im Dortmunder Fußball-Museum, Völler einfach bis zur EM 2024 zu behalten. "Rudi wäre für mich die Lösung Nummer eins bis zur Europameisterschaft. Er ist von der Außendarstellung einer, dem ich es zutrauen würde", sagte Matthäus. Aber: Es ist ausgeschlossen, dass der Trip nach Dortmund für Völler zur Reise in die Zukunft wird. Er selbst schloss es am Montagabend aus, zumal ist er Teil des Senats, der den dauerhaften Nachfolger für Flick rekrutieren soll.

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Gegen eine Verlängerung des Interregnums, die ihn zu "Rudi II." machen würde, spricht allein schon der Umstand, dass er zu seiner jetzigen Aufgabe als Sportdirektor der Nationalmannschaft zu Jahresbeginn sanft überredet werden musste. In dieser Rolle hatte er am Wochenende zwei Auftritte: Einmal, als er am Samstag in den Katakomben des Wolfsburger Stadions nach dem 1:4 gegen Japan völlig verschwitzt den Medien Rede und Antwort stand und die Mannschaft in die Pflicht nahm: "Wir dürfen uns nicht in die Hose machen jetzt. Wir sind immer noch Deutschland!", rief er. Anderntags sprach er beim öffentlichen Training ein paar beruhigende Worte zum Volke; am Nachmittag dann ließ er sich breitschlagen, für ein Spiel einzuspringen.

Auch das geschah wohl eher widerwillig. "Für mich ist das kein einfacher Moment, denn ich bin im Februar beim DFB angetreten, um Hansi Flick mit all meinen Möglichkeiten zu unterstützen, ihm den Rücken freizuhalten, damit er sportlich erfolgreich sein kann", sagte Völler noch auf Wolfsburger Boden.

Beschlossen ist vorerst nur, dass Völler am Dienstag gegen Frankreich zwei Trainer zur Seite stehen, die gerade erst vom DFB für andere Aufgaben rekrutiert worden waren. Es handelt sich um den früheren Bundesligatrainer Hannes Wolf, 42, sowie den Ex-Profi Sandro Wagner, 35, der noch mit einigen Nationalspielern aus dem aktuellen Kader zusammengespielt hat. Wagner hatte seine Karriere im Jahr 2020 in China ausklingen lassen, dorthin war er 2019 nach zwei Spielzeiten beim FC Bayern München gewechselt. Zuvor war er beim MSV Duisburg, Werder Bremen, Kaiserslautern, Hertha BSC, Darmstadt 98 und TSG 1899 Hoffenheim aktiv gewesen.

Auch Kritiker des DFB goutieren Wagners Ernennung

Zusammen mit Wolf hat Wagner die U20 des DFB übernommen; für die Rolle empfahl er sich als Coach der SpVgg Unterhaching, die er zur Regionalligameisterschaft und zum Aufstieg in die dritte Liga geführt hatte. Auch DFB-Kritiker wie Unions Manager Oliver Ruhnert haben die Ernennung von Wagner goutiert. In ihm wird ein Mann der Praxis gesehen, der selbst einmal von sich gesagt hat, dass er für die Rolle als Trainer bessere Voraussetzungen mitbringt als seinerzeit als Fußballer.

Gleichwohl konnte sich Wagners Karriere durchaus sehen lassen, er brachte es auf acht Länderspiele. Sein Rücktritt aus dem DFB-Team erfolgte 2018 aus Enttäuschung, weil Flicks Vorgänger Joachim Löw Wagner nicht für den damaligen WM-Kader nominiert hatte. "Für mich ist klar, dass ich mit meiner Art, immer offen, ehrlich und direkt Dinge anzusprechen, anscheinend nicht mit dem Trainerteam zusammenpasse", sagte er seinerzeit. Nun hat er zumindest für einen Tag die Gelegenheit, sich selbst als Teil eines solchen Teams zu profilieren.

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