Der Moment, der die Stimmungslage beim VfB Stuttgart am besten illustriert, war am Sonntagabend einige Minuten vor Ende der Partie zu beobachten. Als Stadionsprecher Holger Laser verkündete, dass es "vier Minuten Nachspielzeit" geben werde, blieb es mucksmäuschenstill in der gut gefüllten Arena. Statt ihr Team noch mal anzufeuern, machten sich tausende Anhänger auf den Nachhauseweg, während die Ultras in der Kurve noch zwei Minuten warteten, ehe sie ein rhythmisches "Aufwachen!" skandierten, das auch nach dem Schlusspfiff und der 0:1-Niederlage gegen Union Berlin anhielt.
Endgültig aufgewacht sind dann aber die Verantwortlichen dieses Bundesliga-Traditionsklubs und haben jene Entscheidung gefällt, die sich im Laufe des Tages abzeichnete. Am Montagabend war es dann offiziell: Trainer Pellegrino Matarazzo wurde entlassen. "Wir sind nun an einem Punkt angelangt, an dem wir davon überzeugt sind, dass die Trennung von Rino unausweichlich ist", sagte Sportdirektor Sven Mislintat.
Ein Nachfolger für Matarazzo stehe noch nicht fest, heißt es am Montag vom VfB
Dabei hatte es zuvor noch danach ausgesehen, als würde Matarazzo trotz der nächsten Niederlage noch eine letzte Chance bekommen - schon deshalb, weil schneller und kompetenter Ersatz zunächst nicht greifbar erschien. Zudem wirkten die Matarazzo-Raus-Rufe zumindest aus Sicht nüchterner Beobachter deplatziert, jedenfalls an diesem merkwürdigen Herbstabend. Denn der VfB hatte einen ordentlichen - und eben durchgehend wachen - Auftritt gezeigt. Er war die aktivere und bessere Mannschaft gewesen und hatte insgesamt keine Leistung geboten, die nach einem Trainerwechsel schreien würde.
Dennoch blieben auch triftige Gründe, sich vom glücklosen Coach Materazzo zu trennen. Der VfB ist weiter sieglos, hat nur fünf Punkte aus neun Spielen und empfängt am kommenden Samstag als Tabellenvorletzter das Schlusslicht aus Bochum. "Das Vertrauen und die Rückendeckung ist da", sagte Sportdirektor Sven Mislintat, als er auf die Zukunft seines Trainers angesprochen wurde: "Am Ende muss man aber auch hier liefern."
Dies entpuppte sich dann als die rhetorische Vorbereitung zur Einsetzung eines Nachfolgers, der in den kommenden Heimspielen gegen Bochum und im Pokal gegen Zweitligist Bielefeld eingesetzt werden kann. Ein Name wurde zunächst nicht benannt. Wer im Kellerduell mit Schlusslicht VfL Bochum am Samstag (15.30 Uhr/Sky) auf der Bank sitzt, ist noch unklar.
Matarazzo selbst hatte nach der Niederlage bereits den Eindruck erweckt, als wisse er um die Gedankenspiele der Vereinsführung, wolle aber jede Aussage vermeiden, die den Eindruck erwecken könnte, als sei er ratlos. Seine Prognose fiel auf vielsagende Weise nichtssagend aus: "Ich bin sehr optimistisch, dass die Mannschaft das Spiel gewinnen kann und wird, unabhängig wer auf der Bank sitzt." Seine Mannschaft sei jedenfalls auch gegen Union "siegfähig" gewesen: "Wir hatten genügend Chancen, um zumindest ein Tor zu schießen." Was "Fight, Intensität und Engagement angeht, kann ich den Jungs keinen Vorwurf machen", sagte Matarazzo.
Stuttgart braucht zu viele gute Möglichkeiten, um zu Toren zu kommen
Das stimmte. Und vielleicht ist es ja tatsächlich manchmal so banal wie es Union-Trainer Urs Fischer formulierte, als er vom eigenen "Wettkampfglück" sprach, "das auch damit zu tun hat, wo du in der Tabelle stehst". Wobei die Berliner, so unspektakulär sie spielten, dann nachwiesen, was sie derzeit vom VfB unterscheidet. Obwohl das Europa-League-Spiel in Malmö erst drei Tage zurücklag, liefen sie ein paar Meter mehr und schafften es, mit drei Torabschlüssen zu gewinnen. Der VfB hingegen war insgesamt häufiger vor dem gegnerischen Tor, rackerte sich redlich ab - und konnte trotzdem spätestens nach dem Seitenwechsel nicht mehr den Eindruck zerstreuen, dass es auch diesmal nichts werden würde mit einem eigenen Treffer.
Was nicht zuletzt auch mit dem Personal im letzten Drittel zu tun hat. Wer die Stürmer Silas und Serhou Guirassy individuell und im Zusammenspiel betrachtete, der kam am Sonntag nicht umhin, dem auf die Insel entwichenen Torjäger Sasa Kalajdzic nachzutrauern. Als die 43 250 Zuschauer das Stadion verließen und draußen ironischerweise mit dem Abschlussfeuerwerk vom benachbarten Cannstatter Wasen begrüßt wurden, war das Dilettieren vorm gegnerischen Tor wieder Hauptthema. Der VfB braucht einfach zu viele Möglichkeiten, um überhaupt einmal zu Toren zu kommen. Dass sich das gegen die bekanntermaßen effektiven Berliner rächen würde, lag auf der Hand. Für die bislang ineffektiven Stuttgarter eröffnet sich mit dem Trainerwechsel nun zumindest die Chance auf einen Umschwung.