Union Berlin in der Champions League:Sturmwarnung in Köpenick

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Im ersten Berliner Dauertief: Union-Chefcoach Urs Fischer (li.) mit Assistent Sebastian Bönig am Montag auf dem Weg zum Trainingsplatz. (Foto: Andreas Gora/dpa)

Nach acht Niederlagen in Serie will Union gegen die SSC Neapel die schlechte Stimmung umkehren. Die Partie gegen Italiens Meister bietet die bislang vielleicht größte Chance dazu.

Von Javier Cáceres, Berlin

Der graue Himmel über Köpenick brach am Montag auf, und wäre sie nicht schon länger fort, so hätte sich sagen lassen: Die Wolke, auf der der 1. FC Union in den vergangenen Jahren durch die Bundesliga und Europa geschwebt ist, sie ist weg. Acht Niederlagen reihten die Berliner zuletzt aneinander, die Serie hat sich zu einer Krise ausgewachsen, dass Unions Trainer Urs Fischer selbst davon spricht, es sei "zum ersten Mal richtig stürmisch" geworden.

Dennoch konnte er sich am Montag ein fast schon helles, wohl auch von Unglauben getragenes Lachen nicht verkneifen. Als ihn bei der Pressekonferenz am Vorabend des Duells mit der SSC Neapel, vor der dritten Champions-League-Partie der Saison vom Dienstag (21 Uhr/DAZN) und im Nachgang zum 0:3 gegen Stuttgart also, die Frage ereilte, unter welchen Umständen er zu dem Schluss kommen würde: "Ich kann hier gerade nichts mehr bewirken."

Fischer, das verriet die Spontaneität seiner Reaktion, ist weit davon entfernt, derartige Gedanken zu hegen. Und er sagte dies auch. Erst wenn er das Gefühl bekommen sollte, "dass mir die Mannschaft nicht mehr zuhört und nicht mehr bereit ist, einen gemeinsamen Weg zu gehen", dann würde die Zeit kommen, über solche Dinge zu sprechen. Aber dieses Gefühl "habe ich bei weitem nicht", fügte er an. Und das teilt er offenkundig auch mit der Sportlichen Leitung. Denn Manager Oliver Ruhnert sprang Fischer am Wochenende nachgerade demonstrativ bei.

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"Natürlich tut das gut, Rückendeckung zu bekommen", sagte Fischer einerseits. Andererseits konzedierte er, dass alle das Fußballgeschäft kennen - und dieses sei "schon ergebnisorientiert". So wie er als ausgebildeter Bankkaufmann mit Zahlen umzugehen weiß, ist Fischer sich auch gewahr, dass Fußball immer auch eine Frage des Gemütszustandes ist. Umso mehr gelte es nun, "mit Zuversicht" und "einer positiven Einstellung" in die nächste Partie zu ziehen, so sehr die Leichtigkeit wegen immer neuer Nackenschläge abhanden gekommen sei. "Fußball", sagte Fischer, "soll am Ende immer auch Spaß machen."

Objektiv betrachtet bietet die Partie gegen Neapel die bislang vielleicht größte Chance, die Stimmung umzukehren. Denn angesichts des Umstands, dass Neapel als amtierender italienischer Meister und Tabellenfünfter der Serie A nach Berlin reist, hätte eine Verlängerung der Negativserie Unions alles andere als den Charakter eines Kaninchens, das von einem Gaukler im Frack aus einem Zylinder gezaubert wird. Und die Vorfreude, sie existiert. Zumindest beim schmerzlich vermissten Mittelfeldspieler Rani Khedira, der am Montag neben Fischer saß und strahlend davon berichtete, wie er am Montagmorgen auf der Massagebank gelegen und gedacht habe, dass für ihn am Dienstag "ein Kindheitstraum in Erfüllung" gehen würde, wenn der Trainer ihn den aufstellen sollte (wovon auszugehen ist). Rani Khedira würde zum ersten Mal auf dem Rasen stehen, wenn vor einer Partie die Champions-League-Hymne intoniert wird.

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Am Samstag gegen Stuttgart stand auch er bei dem von Fehlleistungen gespickten Vortrag Unions auf dem Rasen. Zuvor hatte er sich in einer langen Konvaleszenz mit der Frage auseinandergesetzt, was sich im Vergleich zum Vorjahr so verändert habe, dass Union in Verdacht geraten ist, bei ihrer Reise hin zur Sonne des Berufsfußballs mit Flügeln aus Wachs ausgestattet zu sein. Auch Kedhira rekurrierte auf Faktoren, die seit geraumer Zeit in Köpenick debattiert werden - der Umbruch, die Verletzungen, die Probleme, Automatismen einzustudieren. Union hat sich in diesem Sommer namhafte und teure Zugänge wie Leonardo Bonucci, Robin Gosens und Kevin Volland geleistet, und auch wenn diese gut integriert seien, seien auch sie mitverantwortlich dafür, dass die Resultate zuletzt zu wünschen übrig ließen. Sagte Fischer.

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Die Frage, die schon seit Wochen über Köpenick kreist, stellt man sich auch an anderen Orten des Kontinents, am Montag kam sie deshalb auch auf Italienisch daher: "Che cosa è cambiato, Signore Fischer?", was nur hat sich im Vergleich zum Vorjahr geändert? Und Fischer zeigte, dass sie in Köpenick - Stichwort Flügel aus Wachs - wenigstens nicht am sogenannten Ikarus-Syndrom leiden, das für einen Mangel an Selbstkritik oder für Selbstüberschätzung steht. Fischer erklärte, dass es nicht möglich sei, die seltsame Irrfahrt der letzten Wochen "an einem einzigen Punkt festzumachen". Und holte zu Selbstkritik aus.

Es springe ja schon ins Auge, dass die Geschlossenheit und Automatismen der vergangenen Saison fehlten, die Galligkeit in den Zweikämpfen nicht mehr im gleichen Maße vorhanden sei, sodass die "Effizienz im Zweikampfverhalten" und "die Kompaktheit" leiden, "die drei Linien nicht perfekt miteinander funktionieren" und obendrauf noch falsche Entscheidungen getroffen werden. Der Mut, er dürfe und solle sein Team nicht verlassen. Es gelte nun, "kleine Schritte zu machen, die etwas Großes bewirken können". Auch wenn Union wieder mit Verletzungssorgen in die Partie geht.

In Jérôme Roussillon fehlt eine Option für die Linksverteidiger-, in Josip Juranovic eine Option für die Rechtsverteidigerposition; Robin Gosens wurde überdies am Montag physiotherapeutisch behandelt, er soll aber rechtzeitig fit werden - und dabei mithelfen, vor über 70 000 Zuschauern in der Ausweichspielstätte Olympiastadion einen weiteren Versuch unternehmen, "in die Spur zurückzufinden", wie Fischer sagte. Zeit wird's allemal.

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