Berliner Derby:In der Hauptstadt hagelt es Verwünschungen

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Nach der Niederlage fordert ein Fan Lucas Tousart offenbar auf, sein Trikot auszuziehen (Foto: Tilo Wiedensohler/imago)

Im Berliner Stadtduell fegt der 1. FC Union mit 4:1 über den Nachbarn aus dem Westend hinweg und stürzt diesen in noch größere Not. Nach dem Spiel fordern Hertha-Ultras die eigenen Spieler dazu auf, das Trikot abzulegen.

Von Javier Cáceres, Berlin

Kurz nach 20 Uhr, als man sich in allen möglichen Teilen der Republik dem Studium der Tagesschau widmete, war das Olympiastadion von Berlin fest in rotweißer Hand. "Stadtmeister/Stadtmeister/Berlins Nummer eins", gellte es aus der Westkurve, wo sich die Anhänger des östlichsten Klubs der Bundeshauptstadt breitgemacht hatten, die Fans des 1. FC Union Berlin.

Es waren noch gut fünfzehn Minuten zu spielen, aber sie wussten: An diesem Samstagabend würde ihnen niemand mehr den Sieg nehmen können. Mit 3:1 führte ihre Mannschaft gegen den Gastgeber Hertha BSC, am Ende traf Sven Michel noch zum 4:1. Und das bedeutete einerseits, dass sich die Chancen auf eine Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb - das neue Ziel Unions - für die Köpenicker nicht verschlechtert haben. Und andererseits, dass im Westen die Abstiegsgefahr nicht geringer geworden ist.

Der Haussegen hängt bei der Hertha deshalb schiefer denn je. Nach der Partie flogen zwischen Fans und Spielern die Verwünschungen hin und her. Die Ultras forderten in rüdem Ton die Spieler auf, das Trikot auszuziehen, eine Reihe von Spielern kam dem nach; es gab Fotos von Fans, die den Spielern im Wortsinn an die Wäsche gingen. Der Grund: Die 1:4-Pleite war die dritte Niederlage im dritten Derby der Saison und in den Augen der radikalsten Fans ein Akt der Blasphemie.

Die Aktion sorgte für Diskussionen. Zumal es vor Wochen schon einmal hässliche Szenen gegeben hatte, da hatte eine Gruppe von Ultras den Profis auf dem Trainingsplatz gedroht. Herthas Manager Fredi Bobic sagte, er verstehe den Unmut der Fans. "Ich hätte das Trikot nicht abgelegt. Ich ziehe das Trikot mit Stolz an. Das dritte Derby in Folge zu verlieren, macht uns allen keinen Spaß. Aber wir sind Sportler. Wir deeskalieren das, aber man muss sich nicht der Häme hergeben."

Die Partie begann mit einer überraschenden Ouvertüre. Der seit knapp vier Wochen als Hertha-Coach amtierende Felix Magath bot einen gewissen Julian Eitschberger als Rechtsverteidiger auf, der nie zuvor in der Bundesliga gespielt hatte und ihm in den letzten beiden Trainingseinheiten als ein Spieler aufgefallen war, der "gierig nach dem Ball, mutig" sei. Zudem bot er Stevan Jovetic anstelle von Ishak Belfodil auf. Union hingegen? War unverwechselbar Union. Und war dann die erste Mannschaft, die in die Tasten haute.

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Noch immer hallten die Böller nach, war der Rauch nicht verzogen, den die Ultras der Hertha in der Ostkurve gezündet hatten, da geriet Herthas Torwart Marcel Lotka in den Fokus. Wagemutig warf er sich in jeden Ball, den die Unioner aus nächster Nähe aufs Tor jagten, und das waren in den ersten zwanzig Minuten so einige. Sheraldo Becker gab den ersten Warnschuss ab; danach folgten zwei Weltklasseparaden des polnischen U21-Nationaltorwarts, der bis Ende Februar als Herthas Nummer vier oder fünf firmiert hatte und wegen der Verletzungen ins Tor gespült wurde. Ein Segen für die Hertha. Denn Union war die Mannschaft, die, wie Magath später diagnostizieren sollte, "sehr engagiert" und "homogen" agierte. Vor allem im Vergleich zur Hertha, die litt und litt und litt.

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Nach einer kurzen Ecke und einem Flankenball von Christopher Trimmel stand Timo Baumgartl frei, Lotka parierte brillant und ließ einen einst als "Becker-Faust" bekannten Jubel folgen. Wenig später neutralisierte er einen Abschluss von Niko Gießelmann (13.); es folgte dann ein nervenstarkes Eins-gegen-Eins gegen Unions Stürmer Taiwo Awoniji (17.) und schließlich eine Szene, in der zu sehen war, dass Lotka von Adrenalin durchströmt war: Nach einem Luftduell mit Unions Grischa Prömel rempelte Lotka seinen Widersacher mit der Brust um und sah - wie Prömel - die gelbe Karte.

Doch just als die Hertha auf Grundlage der Lotka-Glanztaten ein Gefühl der Unverwundbarkeit entwickeln konnte, meldete sich Stevan Jovetic wegen muskulärer Probleme ab; Hertha war damit seines talentiertesten Spielers beraubt. Dann begab es sich, dass Becker seinem Bewacher Peter Pekarik entwischte, flanken konnte und Lotka sich zum ersten (und einzigen) Mal verschätzte. Der Ball flog über ihn hinweg auf den Kopf von Genki Haraguchi, der 2018 noch bei Hertha gespielt hatte. Und nur zur Führung traf, die auch zur Halbzeit noch unerklärlicher Weise Bestand hatte. Unerklärlich, weil Trimmel und Becker noch gute Chancen hatten, zu erhöhen (42./44.). Dem stand eine einzige Gelegenheit für Hertha gegenüber. Myziane Maolida setzte den Ball volley rechts am Tor Unions vorbei.

Nach der Halbzeit waren es die Union-Fans, die ihr pyrotechnisches Arsenal abfackelten, die erste Offensivaktion der zweiten Halbzeit aber gehörte den Gastgebern. Und es klingelte: Lucas Tousart spielte einen überragenden Pass auf Ishak Belfodil, der sich gegen Dominique Heintz durchsetzte und scharf in die Mitte passte. Timo Baumgartl spürte Maolidas Atem im Nacken - und bugsierte den Ball ins eigene Tor (49.). Und plötzlich stand es 1:1.

Allein: Die Freude währte bei der Hertha nicht länger als das Lachen von Chris Rock nach seinem Witz über die Frisur von Will Smiths Frau. Nach einem Kopfball von Boyata holte Union aus und versetzte Hertha eine schallende Ohrfeige. Becker bediente Gießelmann auf der linken Seite, und dessen Flanke verlängerte Prömel per Kopf in die lange Ecke. Lotka war machtlos. Das galt auch in der 74. Minute, als Marton Dardai sich im Aufbauspiel einen Fehler leistete und Union den Rhythmus verdoppelte. Andras Schäfer schickte den Niederländer Becker, Boyata kam nicht hinterher, so dass der Unioner mit einem Flachschuss in die linke Ecke auf 3:1 erhöhte.

Am Ende war es der eingewechselte Sven Michel, der den 4:1-Endstand herstellte. "Ein tolles Ergebnis", freute sich Union-Trainer Urs Fischer in seiner lakonischen Art. Sein Kollege Magath war darum bemüht, den Schaden als begrenzt zu verkaufen. "Unsere Situation hat sich im Vergleich zur Lage vor dem Spiel überhaupt nicht geändert", sagte Magath. Allein: Die Derby-Niederlage dürfte noch nachhallen. Und die Hertha steht nun wirklich vor Endspielen, in Augsburg, gegen Stuttgart, in Bielefeld. "Wir müssen punkten, egal wie", sagte Lotka.

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