In der letzten Spielsekunde stand der Fluch heftig unter Druck. Er musste sich schon was Spezielles einfallen lassen, um nicht im Nirwana der Flüche zu verschwinden. Benedikt Höwedes hatte sich nicht um ihn gekümmert, war ungewohnt geschickt nach innen gedribbelt und schoss überraschend mit links. Torwart Gianluigi Buffon, Meister des Aberglaubens, flog umsonst und sah den Ball an den Pfosten prallen. Von dort aus hoppelte er in die Strafraummitte, wo zwei deutsche Fußballer ein leeres Tor vor sich sahen. Kein Aberglaube oder Fluch dieser Welt konnte jetzt noch was ausrichten. Mochte man meinen.
Die Verwünschung besagt, dass deutsche Fußball-Nationalmannschaften sehr selten bis gar nicht gegen italienische gewinnen. Zuletzt war das am 21. Juni 1995 gelungen, bei einem Testkick zur Ehrung des 100. Geburtstages des Schweizer Fußballverbands. In einem Spiel, in dem es - wie es im Jargon heißt - um was geht, konnten die Deutschen noch nie siegen. Auch im Mailänder Guiseppe-Meazza-Stadion reichte es nicht zum Erfolg. Dabei stand in der Nachspielzeit doch das Tor offen.
Sven Bender hieß einer der beiden, zu denen der Ball rollte. "Ich merke nicht, dass der Marco da ist", sollte er später sagen, "Marco ist dann auch überrascht, wir stehen uns da ein bisschen auf den Füßen." Er hätte den Ball sehr gerne ins Tor geschossen, der angesprochene Marco Reus auch. "Es ist ein bisschen blöd, weil der Marco steht gut zum Ball. Wenn er sich ein bisschen lauter bemerkbar macht, geh ich gar nicht mehr hin."
Aber Marco Reus machte sich eben nicht laut genug bemerkbar, beide bemühten sich um die Kugel, behinderten sich gegenseitig und klärten für die Italiener die Situation. Danach war Schluss. Das Spiel endete 1:1.
So bleibt Italien eine Last für die deutsche Elf. Dabei hatte sie diesmal viel probiert und auch viel richtig gemacht. Mats Hummels köpfte die erste Ecke des Spiels nach acht Minuten genau an den Innenpfosten zum 1:0. Sami Khedira und Andre Schürrle trafen bereits in der ersten Halbzeit Pfosten und Latte. Es sah bisweilen aus wie der dominante FC-Bayern-Fußball: Weit vorne angreifen, den Gegner nicht zur Ruhe kommen lassen, früh den Ball gewinnen und schnell abschließen. Durchbrachen die Italiener das Pressing, eilten viele Mannen schnell zurück und verstellten hinten den Strafraum. Vor allem auf die von den Italienern bevorzugten Angriffszüge durch die Mitte hatte Bundestrainer Joachim Löw seine Mannschaft eingestellt. Und mit Philipp Lahm auch die nötige Absicherung vor der Abwehr postiert.
Lahm spielte also wieder im defensiven Mittelfeld, wie das Bayern-Trainer Pep Guardiola eingeführt hatte. Löw will zwar davon nichts wissen, dass dies eine dauerhafte Lösung ist, doch gegen Italien schien es ihm nach den Ausfällen von Bastian Schweinsteiger und Ilkay Gündogan das Beste. Die Italiener "spielen mit zwei Spitzen, die sich fallen lassen. Die Idee war, dass ich da als defensiver Mittelfeldspieler agiere", erklärte der Kapitän und fand: "Wir haben taktisch heute einen Schritt nach vorne gemacht."
Lahm hatte zusammen mit den Innenverteidigern Jérôme Boateng und Mats Hummels den Auftrag, die Mitte vor dem Tor zu schützen. Rückten die Italiener mit mehr Spielern ins Zentrum, halfen Sami Khedira, Toni Kroos und die Außenverteidiger. Mit dem Ergebnis in der Defensive gaben sich alle zufrieden. "Wir haben weniger klare Torchancen zugelassen als in den vergangenen Spielen", befand Lahm und Löw urteilte: "Wir haben wahnsinnig gut in der Defensive gestanden gegen wirklich gefährliche Stürmer." Dass Mats Hummels den Ausgleich von Ignazio Abate mit einem Fehlpass nahe der Eckfahne eingeleitet hatte, wollte ihm nicht einmal der Hummels-kritische Bundestrainer anlasten.