Uli Hoeneß und der FC Bayern:Wie ein Zuschauer im eigenen Drama

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Ein Motiv fürs Handy-Foto: Bayern-Präsident Uli Hoeneß am Freitag am Flughafen in München. (Foto: dpa)

Der Aufstieg des FC Bayern und der Abstieg des Uli Hoeneß sind epochale Ereignisse. Dass sie gleichzeitig geschehen, hat beinahe die Ausmaße einer griechischen Tragödie.

Von Ralf Wiegand

Wann, wenn nicht jetzt, da der FC Bayern schier unaufhaltsam auf die Vollendung seines statistischen Jahrhundertwerks zusteuert, auf den Sieg in allen Klassen mit den höchsten je gemessenen Werten in beinahe allen Kategorien - wann, wenn nicht jetzt, sollte eine Frage auch mal gestellt werden dürfen:

Ist es erlaubt, Mitleid mit Uli Hoeneß zu haben?

Bisher ist der Eindruck entstanden oder hergestellt worden, dass da zwei Handlungsstränge parallel nebeneinander laufen, ohne sich zu berühren. Hier die einer Naturgewalt ähnelnde Saison des unfassbar erfolgreichen FC Bayern München, der alles zu gewinnen droht, was im Klubfußball in einer Spielzeit so an Preisen ausgeschrieben ist. Pokale, Schalen, Henkeltöpfe, nichts ist vor ihm sicher. Sogar in Schönschrift gibt es eine Eins mit Stern, der Stil ist einfach rauschhaft.

Und dort der Kriminalfall Hoeneß, der im Privaten der Zockerei mit Währungen und Wertpapieren derart verfallen war, dass ihm echte Millionen wie Spielgeld vorkamen, mit denen er so lax umging, dass am Ende eine Selbstanzeige wegen Steuerhinterziehung stand. Dazu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, ein Haftbefehl, der Sturz als moralische Instanz.

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Doch sie ließen sich gegenseitig seltsam unberührt, dieser Aufstieg des FC Bayern zur womöglich besten Mannschaft der Welt und der Absturz von Hoeneß. Die Bayern eilten mit ihrem Präsidenten im Gepäck weiter von Sieg zu Sieg, als wäre nichts gewesen, und Hoeneß, trotz aller Debatten im Aufsichtsrat und über dieses Gremium, legte sich den Bayern-Schal um und setzte sich auf seinen Tribünenplatz. Die TV-Kameras sind fest darauf justiert.

Fast könnte man glauben, es sei alles wie immer, als seien die beiden Geschichten wie Wasser und Öl. Sie verbinden sich einfach nicht, wie man sie auch schüttelt.

Das ist ganz erstaunlich, und es ist natürlich auch nicht richtig. Es liegt eine ungeheure Fallhöhe in dieser in allen Belangen außergewöhnlichen Situation. Es sind nach den Maßstäben des Fußballs - nach dessen ganz speziellen Maßstäben - ja zwei epochale Ereignisse, diese nimmer endende Krönungsmesse des FC Bayern und der Existenzkampf des Königsmachers Uli Hoeneß. In der Gleichzeitigkeit liegt etwas Symbolhaftes, als würde der Abstieg des einen den anderen erst nach oben ziehen können, wie die langsam absinkenden Gewichte einer Standuhr das Räderwerk am Laufen halten. Die besondere Tragik ist, dass es sein Lebenswerk ist, dessen möglicher Vollendung Uli Hoeneß zuschauen muss wie ein Fremder.

So kommt er einem tatsächlich vor, aus der Distanz betrachtet, wie ein Fremder. Die Kameras zoomen ihn aus der Ferne heran, man merkt das an den manchmal wackeligen Bildern. Nah kommt ihm keine Linse. Menschen müssen aufpassen, mit ihm aufs Bild zu geraten, niemand weiß ja, wie die andere Sache ausgehen wird. Und auch er selbst wird aufpassen müssen, seine Gesten zu kontrollieren. Uli Hoeneß ist immer ein unkontrollierter Jubler gewesen und ein maßloser Ärgerer, ein emotionaler Vulkan, ein offenes Buch im Moment von Triumph und Niederlage. Aber jetzt ist er ein Mann in Fesseln.

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Er ist zwar überall dabei, bei den Siegen auf der Tribüne, im Autokorso, bei Banketten, aber er ist nicht mehr mittendrin. Er wirkt wie ein Zuschauer in seinem eigenen Stück, ein entmachteter Regisseur. Was für eine Qual.

Ist also Mitleid mit Uli Hoeneß erlaubt?

Tragödien definieren sich so, dass es einen schuldlos Schuldigen geben muss, einen Protagonisten in auswegloser Situation. Auf eine Weise ist Hoeneß das nicht, denn er hat seine Fallhöhe selbst bestimmt. Er hat stets zum Maßstab erhoben, was er für Recht und Ordnung hielt, und er hat jene angeprangert, die seiner Wertewelt nicht folgten. Selbst schuld.

Und auf andere Weise ist er es doch. Er ist der Erfinder des FC Bayern. Andere Vereine sind die Summe ihrer Einzelteile, sie bleiben stets größer als jeder einzelne. Der FC Bayern der Neuzeit aber ist die Vision eines einzelnen. Seit er 27 Jahre alt ist und Manager des Vereins wurde, im Prinzip schon früher, als Spieler, hat er das Leitbild eines perfekten Vereins entworfen und den FC Bayern danach entwickelt. Er hat sich nie dafür geschämt, den FC Bayern als Nonplusultra zu benennen und den anderen ihren Platz in der Peripherie zuzuweisen, und sei es durch Gratulation für vorübergehenden Erfolg. Er war das böse und das liebe Gesicht des FC Bayern.

Und obwohl jeder eine Meinung über ihn hatte, sagte er einmal, am Ufer des Tegernsees stehend und aufs Wasser schauend: Den privaten Uli Hoeneß, wie er wirklich ist, den kenne niemand da draußen.

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Und jetzt gerät das alles durcheinander, der private und der öffentliche Hoeneß, seine Wertewelt im Sport und seine eigene, bisher verborgene. Egal, wie die Steuer-Geschichte ausgeht, sein Lebenswerk FC Bayern wird immer mit einem Sternchen versehen sein, das auf eine Fußnote verweist. In dieser Fußnote wird "Ja, aber" stehen.

Er kennt das schon, einige Endspiele seines Lebens haben solche Sternchen: Das EM-Finale 1976, bei dem er einen Elfmeter verschossen hat, nein: den Elfmeter. Das Champions-League-Finale 1999, bei dem Manchester United gewann, als das Spiel schon zu Ende war. Und 2012, das "Finale dahoam", geschlagen von einem unterlegenen FC Chelsea. Immer wieder aber hat Hoeneß vom Schicksal ein noch größeres Endspiel bekommen.

Doch jetzt, in London, in dieser Rekordsaison, scheint das Ende aller Superlative erreicht zu sein. Auch das macht die Situation für Hoeneß so besonders schmerzhaft. Er sieht, wie alles zu Ende geht mit diesem Showdown von Wembley, sieht, wie sein Freund Jupp Heynckes abtreten darf, dessen Untadeligkeit nicht vor der Zeit aufgebraucht war. Gefeiert von Freund und Gegnern im Moment der größten Triumphe.

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© SZ vom 25.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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