Deutschlands Fußballnachwuchs:Verteidigungsmonster in Sicht

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Jetzt gegen Argentinien: Christian Wück und die Spieler der deutschen U17-Nationalmannschaft. (Foto: Aleksandar Djorovic/Imago)

Bei der U17-Weltmeisterschaft in Indonesien zeigt die DFB-Auswahl die Attribute, die das A-Team zuletzt vermissen ließ. Im Halbfinale wartet Argentinien - und damit eine Mannschaft, die ebenfalls "deutsche Tugenden" verkörpert.

Von Javier Cáceres, Berlin

Am Dienstag trifft Argentinien bei der U17-Weltmeisterschaft in Indonesien im Halbfinale auf die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes. Und die Argentinier werden wissen, dass ihnen ein Gegner gegenüberstehen wird, der im Überfluss besitzt, was der deutschen A-Mannschaft in den letzten beiden Spielen gefehlt hat, zumindest in der Analyse der Sportzeitung Olé. Was gefehlt habe, gemäß der Populärwissenschaftler in Buenos Aires? "Hueven". Hueven, ehe das jemand im Lexikon nachschlägt, war als Verballhornung des Begriffs "huevos" gemeint, "Eier" also, und nahm Bezug darauf, dass in spanischsprachigen Ländern die Überzeugung herrscht, alle deutschen Wörter endeten auf "en".

Im Viertelfinale in Jakarta hatte das DFB-Team Spanien geschlagen, obwohl es deutlich schlechter war. Aber: Sie hatten hueven, und wenn da einer stolz darauf war, so war das U17-Trainer Christian Wück, der im Sommer mit dem gleichen Kader in Ungarn die Europameisterschaft gewonnen hatte. "Die Deutschen können verteidigen. Die Deutschen geben ihr Herz auf dem Platz. Die Deutschen geben alles, um Spiele zu gewinnen", hatte er unmittelbar nach der Partie gesagt, und es klang wie ein fernes Echo auf die Debatten, die nach den Niederlagen des A-Teams gegen die Türkei und Österreich in Deutschland eingesetzt hatten.

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Wücks Einlassungen aber hatten nichts mit der Konjunktur zu tun, sondern mit einem Paradigmenwechsel, der vor Jahren eingeleitet wurde. Am Telefon erinnert Wück an die Zeit, da man im Nachwuchsbereich auch bei Abwehrspielern "nur Wert auf spielerische Grundlagen" gelegt habe; sie liegt gar nicht so lange zurück. "Mit diesem Jahrgang sind wir vor drei Jahren zu dem Entschluss gekommen: Das ist jetzt erst einmal egal. Wir wollen Spieler finden, die verteidigen können, die Mentalität und Überzeugung haben!", berichtet Wück. Das mussten gar nicht mal ausgebildete Verteidiger sein. Sondern Spieler mit Monstermentalität, um Bundestrainer Julian Nagelsmann zu paraphrasieren, die dann umfunktioniert werden können.

"Ein absoluter Abwehrkampf, der von der ersten Minute bis zur letzten Sekunde der Nachspielzeit dauerte."

Was das Umdenken ausgelöst habe? "Niederlagen", sagt Wück. Und wer im Viertelfinale Finn Jeltsch aus der zweiten Mannschaft des 1. FC Nürnberg gegen die Spanier verteidigen sah, der musste zu dem Schluss kommen: Wücks Ansatz funktioniert. "Tugenden und Werte sind in jedem Lehrgang ein relevanter Baustein bei der Ausbildung der Jungs, und wir merken, dass die Zeit, die wir mit den Jungs verbracht haben, wirklich etwas bewirkt hat. Sie setzen diese Dinge um - weil sie es von uns vermittelt und vor allem vorgelebt bekommen", sagt Wück, 50.

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Was ja, andererseits, heißen würde, dass Siege über lediglich eine Schiene zustande kommen. Im ersten Spiel gegen Mexiko? "Waren wir die spielbestimmende Mannschaft mit mehr Ballbesitz", sagt Wück und beginnt, die entscheidenden Faktoren der folgenden Spiele aufzuzählen: "Gegen Neuseeland haben wir gegen eine Mannschaft gespielt, die sich hinten reingestellt hat und haben Lösungen gefunden." Im dritten Spiel gegen Venezuela? Konnte man sich auf die "Stärke bei Standardsituationen" verlassen. Im Achtelfinale gegen die USA sei man eigentlich unterlegen gewesen, "dieses Spiel haben wir nur durch individuelle Klasse gewonnen". Und gegen Spanien folgte "ein absoluter Abwehrkampf, der von der ersten Minute bis zur letzten Sekunde der Nachspielzeit dauerte", sagt Wück. Die Schlussfolgerung war trotz der barock anmutenden Vielfältigkeit der deutschen Erfolgswege immer dieselbe: "Es ist nicht so einfach, uns zu schlagen - beziehungsweise: eine deutsche Mannschaft zu schlagen."

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Zumal sie auch eine erstaunliche Widerstandsfähigkeit gezeigt hat. Gegen Spanien musste der Dortmunder Charles Herrmann - der Held aus dem USA-Spiel - muskelverletzt vom Platz; das Turnier ist für den Schalker Assan Ouédraogo schon seit der Vorrunde vorbei (wobei er von seinem Klub wohl ohnehin vor Beginn der K.-o.-Runde zurückbeordert worden wäre). "Die Spiele finden bei 30 bis 40 Grad statt und bei einer Luftfeuchtigkeit, die echt zu schaffen macht", erzählt Wück. Auch da merke man eine Entwicklung: Seine Mannschaft habe im Vergleich zur EM "definitiv an Körperlichkeit" gewonnen. "Und der Wille und das Selbstvertrauen, es zu schaffen, ist immer da."

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Was keine schlechten Voraussetzungen sind für die beiden ausbleibenden Spiele. Die Frage ist nur, ob auf das Halbfinale gegen Argentinien das "große" (um Platz 1) oder das "kleine" Finale (um Platz 3) folgt. "Wir sind mit einer Gegentorquote von 0,8 Treffern pro Partie Europameister geworden - und sind jetzt wieder bei unter 1,0", sagt Wück. Zudem hat sein Team - außer gegen die starken Spanier - in jedem Spiel drei Tore erzielt. "Die Argentinier sind auf einem ähnlichen Niveau wie die Spanier - und sie haben mit ihrem Zehner, Carlos Echeverri, einen außergewöhnlichen Stürmer, der trickreich und schnell ist und große Spielintelligenz besitzt." Sie wirken mitunter allerdings etwas fahrig in der Defensive. Aber Wück betont auch, dass sie "typische Argentinier" und deshalb "bissig" seien, "unheimlichen Willen" zeigten, schwer zu bezwingen seien - und beim 3:0 gegen Brasilien soeben einen Prestige-Erfolg erzielten. Woraus man unter anderem lernen kann, dass deutsche Tugenden auch universal sein können.

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