U17-Fußball-WM:Mit deutschen Tugenden in Indonesien

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Jetzt gegen Argentinien: Christian Wück und die Spieler der deutschen U17-Nationalmannschaft. (Foto: Aleksandar Djorovic/Imago)

Im deutschen Fußball muss sich vieles ändern, dabei gibt es auch positive Ansätze bei den Junioren: Nach dem Europameister-Titel geht Deutschlands U17 auch bei der WM mit gehobenen Ambitionen an den Start - Bundestrainer Wück hat einen Wunsch.

Von Javier Cáceres, Hamburg

Es war doch nicht alles schlecht in den vergangenen zwölf Monaten beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), man mag es kaum glauben. Die A-Nationalmannschaft, das Frauenteam, die U21 - alle schieden bei großen Turnieren zuletzt jeweils in der Vorrunde aus. Und das Wehklagen im Land war so groß, dass beinahe untergegangen wäre, welchen Erfolg es Anfang Juni 2023 in Ungarn gab: den ersten Europameisterschaftstriumph einer U17 des DFB seit 14 Jahren - damals noch mit späteren Weltmeistern wie Mario Götze oder Shkodran Mustafi.

Es gab eine Ehrung am Rande des DFB-Pokalendspiels in Berlin, aber das war es fast schon. "Ich hätte mir schon ein bisschen mehr Aufmerksamkeit gewünscht. Nicht fürs Trainerteam oder für mich, sondern für die Jungs", sagt Bundestrainer Christian Wück der Süddeutschen Zeitung per Videocall, "denn in dieser Mannschaft steckt unheimlich viel drin, sowohl individuell als auch als Teamgedanke." Nun bietet sich Wücks Junioren die Chance, den Fokus noch stärker auf sich zu ziehen. Seit ein paar Tagen weilt das Team in Indonesien, dem Austragungsort der U17-Weltmeisterschaft, im Auftaktspiel ist am Sonntag in Bandung der Nordamerika-Meister Mexiko der Gegner (Livestream auf Fifa.com/13 Uhr). Die weiteren Gruppenspiele bestreitet Deutschland gegen Ozeanienmeister Neuseeland (15.11.) und gegen Venezuela (18.11.). "Ich glaube schon, dass wir reelle Chancen haben, um den Titel mitzuspielen. Aber Turnierfavorit? So weit würde ich nicht gehen", sagt Wück.

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Seine Vorsicht hat vor allem damit zu tun, dass es die äußeren Bedingungen in sich haben. "Es ist eine unheimliche Luftfeuchtigkeit, jetzt im November fängt dort die Regenzeit an. Ich glaube, dass die afrikanischen und amerikanischen Mannschaften einen kleinen Vorteil haben", erklärt Wück. Entgegenzusetzen hat sein Team vor allem althergebrachte deutsche Fußballtugenden, die ja - im Erfolgsfall - stets auch Qualität beinhalteten.

Wück baut auf Darvich vom FC Barcelona, Brunner vom BVB - und Ouédraogo vom FC Schalke 04

Qualität gebe es im DFB-Kader genug, versichert der Coach: "Ich glaube, es ist ein typisch deutsches Phänomen, dass wir zuerst darauf schauen, was wir nicht zu hundert Prozent perfekt können, und nicht auf das, was die Jungs gut machen. Man muss sich nur vor Augen führen, dass in der Mannschaft des EM-Turniers ein paar Engländer und Franzosen, zwei Spanier - und sechs Deutsche waren!" Das Problem laut Wück: Das vorhandene Potenzial schlug sich bisher kaum in Profieinsätzen für die U17-Europameister nieder - im Gegensatz zu den Spaniern, wo Marc Guiu und Lamine Yamal vom FC Barcelona mittlerweile schon in der Champions League gespielt haben. "Wir tun uns schwer damit, Mut zu zeigen, jungen Spielern Vertrauen zu schenken, einfach erste Liga zu spielen", klagt Wück, "dabei machen es die Spanier vor!"

Die Folgen der Zurückhaltung könne man an den Resultaten bei Turnieren der höheren Altersklassen ablesen, argumentiert Wück. U21-Coach Antonio di Salvo habe gerade intern eine Statistik vorgelegt, die besage, dass die englischen und französischen Spieler in der Altersklasse der U21 im Schnitt 25 Erstligaspiele mehr aufweisen als die Deutschen. "Wir haben mit Abstand die geringsten Spielminuten in den nationalen Ligen", kritisiert Wück. Und das in Zeiten, da der Altersschnitt der Profimannschaften europaweit immer niedriger werde.

Zwar erkennt Wück an, dass die deutschen Vereine stolz auf ihre U17-Europameister waren und "die Entwicklung, die wir durch den EM-Sieg forciert haben, fortsetzen". Grundsätzlich aber bleibe das Problem, dass die Entwicklungsmöglichkeiten für Talente in Deutschland limitiert seien. Es komme nur selten zu Leihgeschäften, etliche U23-Teams wurden von Klubs abgemeldet, den Talenten fehlen damit Bühnen. "Wenn wir den Jungs keine Spielpraxis garantieren können, dürfen wir uns auch nicht wundern, wenn wir in der Vorrunde ausscheiden", betont Wück.

Noah Darvich spielt mittlerweile in der Jugend des FC Barcelona - beim DFB soll er sich weiter als Junioren-Nationalspieler entwickeln. (Foto: Ralf Poller/Avanti/Imago)

Zu diesen Erkenntnissen passt, dass sich U17-Kapitän Noah Darvich entschloss, sich lieber beim FC Barcelona weiterzuentwickeln. Darvich verließ im Sommer den SC Freiburg und bringe in der drittklassig spielenden zweiten Mannschaft von Barcelona "gute Leistungen", weiß Wück: "Er ist bei den Profis mit angedockt, hat Supererfahrungen gemacht, wie er selbst erzählt." Umso glücklicher ist Wück darüber, dass sich Darvich beim Wechsel zusichern ließ, die WM spielen zu dürfen: "Da sieht man, dass ihm das sehr wichtig ist."

Mindestens ebenso froh ist Wück über die WM-Teilnahme von BVB-Stürmer Paris Brunner, der in Ungarn zum besten Spieler der EM gekürt worden war. Brunner hatte es vor einigen Wochen in die Schlagzeilen geschafft, wegen eines nicht näher benannten Disziplinarvergehens, das ihm in Dortmund eine klubinterne Suspendierung einbrachte. Zum 1. November wurde Brunner begnadigt - wäre dies nicht geschehen, hätte Wück auf den Spieler verzichtet. Zwar hüllt sich auch Wück in Schweigen, wenn man ihn zur öffentlich nie konkretisierten Verfehlung Brunners befragt. Er lässt aber erkennen, dass er nach Prüfung des Sachverhalts jedes Verständnis für die Bestrafung hatte. Brunner selbst hat wohl eingesehen, einen Fehler gemacht zu haben. "Er ist aus sportlicher Sicht ein immenser Faktor für unser Spiel, und ich freue mich, dass er jetzt die Möglichkeit hat, nach vorne zu schauen und sich auf dem Rasen zu rehabilitieren."

Das gilt auch für Assan Ouédraogo, der bei Schalke 04 in dieser Saison bisher elf Einsätze hatte. Allerdings genehmigte der Bundesliga-Absteiger den WM-Trip nur für die Dauer der offiziellen Fifa-Abstellungsperiode für Nationalspieler. Das bedeutet, dass Ouédraogo nur in der Gruppenphase in Indonesien mitspielen kann. Insgeheim hofft Wück darauf, dass auf Schalke die Prioritäten neu bewertet werden. "Wir wissen, wie wichtig es ist, dass sich Junioren-Nationalspieler durch solche Turniere entwickeln und was das mit einer Persönlichkeit macht, wenn sie solche Turniere mit einem Titel beenden", sagt Wück.

Der Traum vom WM-Titel besteht also, bei Wück, seinem Team - und beim gesamten DFB, der nur zu gern dieses Jahr der Umstrukturierungen, das bislang ein annus horribilis war, positiv abschließen würde. "Ein Erfolg", weiß Wück, "würde uns allen weiterhelfen."

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