TV-Ereignis Olympia (10):"Pass auf deine Bronchien auf, Junge"

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Fernsehabend eines Olympia-Laien: Die Skispringer machen keine gute Figur, die Bobfahrer schon und das ZDF verkündet, dass der Biber Vancy heißt.

C. Nohn

Erst mal eine tolle Nachricht: Das ZDF-Maskottchen hat einen Namen! Die Nächte der Ratte sind abgelaufen, auch Franck Bibéry, Mainzelfäller und der von ZDF-Sport-Frontfrau Katrin Müller-Hohenstein favorisierte Biber Butzemann sind aus dem Rennen. Das, ähem, kesse Bibermännchen heißt Vancy.

Doch später mehr vom Biber und der Namensfindung, vorerst gilt die volle Konzentration an diesem Abend dem Skispringen, die deutschen Männer haben angeblich gute Chancen auf Edelmetall. Aber was soll das heißen - Männer. Die Figuren, die sich da die Rampe runterstürzen, sehen in Montur zwar mindestens 15 Jahre älter aus, als sie es eigentlich sind. Aber in diesen unförmigen Anzügen stecken bis auf wenige Ausnahmen Jünglinge, Schlierenzauers und Morgensterns, einer dünner als der andere.

Eine Linse hält fest, wie die Kandidaten auf der Absprungbank auf grünes Licht warten, sich abstoßen und die Schanze hinabrasen: Zusammengekauert, begleitet von einer Kamera, die erbarmungslos den ernsten Gesichtsausdruck, die hundertprozentige Konzentration und schließlich den alles entscheidenden Moment des Absprungs festhält. Die Kameras verfolgen die Springer auch im Flug, es gibt hochscharfe Nahaufnahmen. Und so sehr ich versuche, die Begeisterung der ZDF-Kommentatoren um Skispringer a. D. Jens Weißflog zu teilen: Weder die bewundernswerte Körperhaltung noch die Muskelspannung, die diese fliegenden, langgestreckten Körper ja bestimmt aufweisen, ziehen mich in den Bann.

Ich nehme alleine die flatternden Arme wahr, die versuchen, die Flugbahn zu korrigieren, die von Anspannung und Wind verzerrten Gesichter. Der Pole Lukasz Rutkowski reißt im Flug den Mund so weit auf, dass ich unweigerlich denke: Pass auf deine Bronchien auf, Junge!

Im Auslauf zeigen die Kameras dem Laien, ob der Sprung gut war. Dann recken die Gelandeten mindestens einen Arm in die Luft - ein seltenes Zeichen von Ausgelassenheit in dieser Sportart, zumindest, was die deutschen Männer betrifft. Michael Neumayer, Andreas Wank, Martin Schmitt und Michael Uhrmann scheinen bei diesen Spielen nicht gerade die Garanten für eine hemmungslose Olympiaparty zu sein.

Der Wettbewerb läuft insgesamt so, wie es die ZDF-Experten prophezeit haben: Dass die Ösis Gold wuppen müssen, war klar, aber oho, die Deutschen sind nach dem ersten Durchgang tatsächlich auf Silberkurs! Obwohl Martin Schmitt geschwächelt hat, oder wie Moderator Stefan Bier sagt: "Na, das war einmal ein guter Sprung, würde ich sagen, aber eigentlich - nicht so gut weggekommen vom Schanzentisch, dann auch noch leicht aufgerichtet, hm ..." Also eigentlich überhaupt nicht gut, 128 Meter, das sagt doch alles, da brauche ich keine fünf verschiedenen Kameraperspektiven.

In der Halbzeit springt das ZDF ins Studio zu Michael Steinbrecher. Der hat es sich gerade gemütlich gemacht, auf seiner Couch sitzen die Bobfahrer André Lange, Kevin Kuske, Thomas Florschütz und Richard Adjei, die am Vortag Gold respektive Silber im Zweier-Bob gewonnen haben. Was für ein Schwenk! Was für Schränke! Im Skispringen hätten die alle keine Chance, aber weil sie ja schon erheblich zum guten Platz im Medaillenspiegel beigetragen haben und sogar noch im Vierer-Bob gewinnen können, sitzen sie nun hier und kriegen alle - ein Bibermännchen.

Die Mission ist erfüllt

Ganz nebenbei, als er die zotteligen Maskottchen verteilt, murmelt Steinbrecher, "der hat übrigens jetzt einen Namen, Vancy". Aha - bisher hat das ZDF ja noch nicht viel zur Taufe verkündet, und am Vortag war die ARD dran, die haben mit Bibern nix am Hut. Irgendwie scheint Vancy - kurz für Vancouver, ergibt die Internet-Recherche, wo auch alles zum Biber-Streit und zur Namensgenese nachzulesen ist - dem Steinbrecher peinlich zu sein. Thomas Florschütz jedenfalls will den Olympia-Biber seinem Nachwuchs in die Wiege legen.

Zurück zum Skispringen: Martin Schmitt macht es tatsächlich noch mal spannend - weil er seinen zweiten Sprung versemmelt. Da heult auch Kommentator Stefan Bier den Zuschauern aus der Seele ins Mikro: "Oh Mann, was macht der denn?"

Zum Vergleich: Der 20 Jahre alte und sehr dünne Österreicher Gregor Schlierenzauer riskiert zum Schluss noch mal was, fast stürzt er, doch er steht den Satz von 146,5 Metern - neuer Olympia-Rekord! Und das, obwohl die Österreicher den Titel doch schon sicher haben! Aber Michael Uhrmann, von manchen Fans zärtlich Uri genannt, hat zuvor Schmitts Schlappe mit einem 140-Meter-Sprung noch mal ausgebügelt, die Deutschen räumen Silber vor Norwegen ab. "Die Mission ist erfüllt", findet Weißflog.

Na denn!

Im Video: Einmal Gold und zweimal Silber - Evi Sachenbacher-Stehle und Claudia Nystad bescherten den deutschen Langläuferinnen in Whistler mit Gold im Teamsprint das erste Edelmetall der Vancouver-Spiele.

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