Turn-WM:Spaziergang über die Holme

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Sehen sich am Sonntag im Finale wieder: Lukas Dauser und sein Lieblingsgerät, der Barren. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Barrenspezialist Lukas Dauser hat bislang vergeblich um einen großen Titel an seinem Lieblingsgerät geturnt. Nun, bei der WM in Antwerpen, hat er die große Chance auf Gold.

Von Volker Kreisl, Antwerpen

Die Frage, wie man ein erfolgreicher Turner wird, beantworten viele anders. Manche Cracks weisen darauf hin, dass sie einfach nur ein Naturtalent haben, und der Rest läuft wie von selbst. Andere sehen sich eher als Arbeiter, die so lange in der Halle stehen, bis nicht nur der Intellekt, sondern auch der Körper den Doppel-Doppel-Salto vom Reck kapiert hat. Lukas Dauser hat auch viel trainiert in seinem Turnerleben, aber da ist noch mehr: der Unterhosen-Trick.

Lukas Dauser ist als Hochleistungssportler gewiss ein reinlicher Mensch, aber auch ein bisschen abergläubisch. Und weil er irgendwann merkte, dass er Erfolg hat, wenn er eine bestimmte Unterhose in den Tagen vor den großen Herausforderungen nicht wechselt, war ihm das wichtiger, "sie ist mein Glücksbringer", sagt er. Und es hat gewirkt: Olympiasilber 2021, WM-Silber 2022 und nun steht er vielleicht vor seinem größten Triumph: Er ist am Sonntag bei der WM in Antwerpen ähnlich wie Teamkollegin Pauline Schäfer-Betz Mitfavorit auf Gold, Schäfer-Betz am Schwebebalken, Dauser - noch deutlicher - an seinem Spezialgerät, dem Barren.

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Verschiedene Faktoren - neben der Glückshose - deuten darauf hin. Dauser hatte sich seit Jahren mit dem chinesischen Barren-Spezialisten Zou Jingyuan um die Krone der großen Welt-Finals gestritten, sein Kontrahent war immer etwas besser. Nun aber turnt der Kontrahent bei den Asienspielen, weil Chinas Planer diese gerade wichtiger als die WM einordnen. Zudem ist Dauser auf dem Höhepunkt seines Schaffens, wenn alles plangemäß läuft, dann könnte Olympia nächsten Juli in Paris der Abschluss seiner Karriere werden. Und überhaupt: Dauser hat ja schon in dieser Woche drei Mal am Barren vor Publikum geturnt, in der Qualifikation, im Teamwettkampf und zuletzt im Mehrkampf. Immer war er den anderen deutlich voraus: Erst gelang ihm eine 15,300, im Team dann eine 15,366 und zuletzt eine 15,400. Das sind die Gipfel mit dünner Luft in dieser Disziplin, weshalb dieser Sport auch große mentale Stärke erfordert.

Dauser ist nicht der Typ eines spektakulären Turners

Pauline Schäfer-Betz' mentale Herausforderung ist womöglich noch etwas größer als die von Dauser. Denn der Balken hat mit seinen ruhigeren Zwischenphasen, in denen Tanz und Grazie beigemischt werden, die unangenehme Eigenschaft, dass der Kopf sich wieder zuschalten kann. Auch ein Barrenturner braucht Mentalarbeit, Dauser meditiert täglich zweimal zehn Minuten und kann sich dadurch von querschießenden Gedanken distanzieren. Wichtig ist Dauser aber auch die äußere Ordnung, weil sie zur inneren Ordnung, also zur Ruhe beiträgt.

Für Schlüsselvergesser, Geldbeutelsucher und andere Alltags-Chaoten wäre dieser Sport tatsächlich nichts. Dausers Alltag ist im Detail geregelt. Er steht morgens immer mit beiden Füßen auf dem Boden auf, um nicht den falschen zu erwischen, hat er einmal der Mitteldeutschen Zeitung erzählt. Seine Badeschlappen stehen deshalb beim Turnen immer parallel neben dem Gerät, auch Pünktlichkeit verlangt er. All dies ist für ihn weniger Schikane als ein Zustand, der ihm ein Gefühl von Ruhe und Sicherheit gibt. Sicherheit, auch in der Luft.

Dauser ist nicht der Typ eines spektakulären Turners. Keiner von jenen, die am Barren mit großen Flügen glänzen. Die individuelle Art zu turnen eignen sich diese Sportler schon früh an, die einen sind eher Flieger, die etwa am Barren nach einem Doppelsalto auf die Unterarme lauten Applaus ernten. Dausers Übung ist eher leise. Er fliegt nicht durch die Luft, er spaziert eher - kopfüber - die Holme entlang, rauf und runter, mit Drehungen und Wendungen, seine Schwierigkeiten liegen im Detail.

Die Arme brennen - doch der Tsolakidis macht den Unterschied

Deshalb hört man vom Publikum auch kaum einen Ton, wenn er turnt. Der Höhepunkt seines Vortrags ist nur eine kleine Umdrehung mehr in den Bosheiten dieses Kraftgeräts. Wenn er schon einige Felgen, eine Oberarm-Stützkehre, eine Schwungstemme vorwärts und einen Rückschwung in den Handstand hinter sich hat, dann folgt, ganz unscheinbar, der Höhepunkt, genannt "Tsolakidis", nach einem griechischen Kollegen. Ein Handstand aus einem vollen Armschwung, das ist relativ leicht. Jedoch wenn die Oberarme auf dem Holm liegen müssen, dann ist der Weg weit nach oben, und man kann einknicken, womit alles vorbei wäre. Wenn es wie zuletzt aber klappt, dann macht der Tsolakidis den Unterschied zwischen Medaille oder nicht, vielleicht auch zwischen Silber und Gold.

Aber da unten stehen dann ja die Badeschlappen, parallel und unverrückbar. Sie sind ein Synonym für die innere Ruhe des Lukas Dauser, der sich mit 30 Jahren eigentlich schon mit der weiteren Zukunft befassen muss, oder der sich vielleicht noch ein zweites nach ihm genanntes Element überlegen könnte, oder auch über Plänen für nach der Karriere grübeln könnte, den Bachelor machen, oder der erst mal zum Arzt gehen müsste, um durch seine leicht lädierte Nase wieder besser atmen... - Schluss!

Dauser wird an diesem Wochenende nur seine Ordnung zelebrieren, er wird die unangebrachten Gedanken enttarnen, hinter sich lassen und sich nur auf das einzige konzentrieren, was zählt, nämlich das, was am Sonntagabend beginnt, exakt um 15.40 Uhr.

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