Tour de France:Pogacar gewinnt die Sekundenschlacht am Vulkan

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Tadej Pogacar fährt Jonas Vingegaard weg - und gewinnt ein paar Sekunden. (Foto: Bernard Papon/AP)

Der Anstieg zum mythischen Puy de Dôme liefert das nächste ungewöhnliche Kapitel im Kampf um den Sieg bei der Tour: Tadej Pogacar versetzt seinem Rivalen Jonas Vingegaard einen Stich - doch der verteidigt das Gelbe Trikot knapp.

Von Johannes Aumüller, Clermont-Ferrand

Unten in Clermont-Ferrand, bei der offiziellen Einfahrt in den Mythos, herrschte noch die gewohnte Stimmung. Links und rechts der Straße hatten sich da schon Stunden vor der Ankunft des Pelotons die Zuschauermassen postiert, überall Fahnen, Feste und Tänze. Und als am späten Nachmittag der Tross kam, da überschlug sich in diesem Bereich die Stimmung natürlich. Aber je näher das Fahrerfeld dem Gipfel kam, desto stiller wurde es, und irgendwann war das Peloton allein mit sich, den Begleitmotorrädern und den Gleisen der Panoramabahn, die auf den Vulkan hinaufführt.

Die Organisatoren hatten den Gipfel des Puy de Dôme weiträumig abgesperrt, diese mythische Erhebung in der Auvergne, die schon so manche Tour-Schlacht erlebt hat - und jetzt zum ersten Mal seit 1988 wieder im Programm stand. Zu viele Zuschauer am Gipfel wären zu gefährlich geworden, allein ein paar Fotografen und Ehrengäste warteten oben, und so trug auch das Nichts am Straßenrand zu jenem eigenartigen Ambiente bei, in dem sich zum wiederholten Mal bei der 110. Frankreich-Schleife eine erstaunliche Etappe vollzog.

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Acht Sekunden ist Pogacar nähergekommen - das reicht für etwas Siegergefühl

Denn während sich vorne der Kanadier Michael Woods als letzter Verbliebener einer Ausreißergruppe den Tagessieg sicherte, lieferten sich die beiden großen Anwärter auf den Gesamtsieg hinten mal wieder ein packendes Duell. Etwas mehr als einen Kilometer vor dem Gipfel attackierte der Slowene Tadej Pogacar (UAE Emirates), und immerhin acht Sekunden fuhr er bis zum Zielstrich auf den Dänen Jonas Vingegaard (Jumbo-Visma) noch hinaus. Das reichte zwar nicht, um den Vorjahressieger aus dem Gelben Trikot zu fahren, aber immerhin hat Pogacar den Abstand in der Gesamtwertung nun auf 17 Sekunden reduziert - und kann mit dem Gefühl eines kleinen Sieges in den ersten Ruhetag gehen.

Der Kanadier Michael Woods hängt den letzten Konkurrenten Matteo Jorgenson ab und gewinnt am Puy de Dôme. (Foto: Vincent Kalut/AFP)

Es gibt Bergetappen, da schicken die Tour-Macher das Peloton nacheinander drei, vier oder gar fünf schwere Anstiege hoch. Und es gibt diese Bergetappen, da wählen sie einen langen Anlauf über flaches oder nur leicht bergiges Terrain, um den großen Scharfrichter des Tages am Ende besonders grausam wirken zu lassen. Der Mont Ventoux kommt öfter in diesen Genuss, und an diesem Sonntag eben auch: der Puy de Dôme. Knapp 170 Kilometer dauerte der Vorlauf zum Vulkan, und bei ihm ist die Konstellation dann immer besonders fies. Bei der Anfahrt aufs Etappenziel steht der Berg immer schon bedrohlich am Horizont, aber in den ersten Kilometern des Anstiegs, in Clermont-Ferrand, da ist er nicht zu sehen. Es geht erst noch durch die Stadt und einen geschlängelten Weg entlang, und erst wenn das Örtchen Orcines erreicht ist, baut sich der Gipfel mit seiner ganzen, nun ja, Pracht vor dem Auge der Fahrer auf. Als throne dort oben ein König über die Landschaft, wirkt es, aber für das Peloton ist das auch das Signal: Jetzt geht's erst richtig los, jetzt kommt das steilste Stück.

Durchschnittlich zwölf Prozent beträgt die Steigung auf den letzten fünf Kilometern, und Pogacar wartete diesmal lange, bis er zum Stich ansetzte. Dass er und Vingegaard in ihrer finalen Sekundenschlacht am Vulkan dann in einer eigenen Welt fuhren, verstand sich fast schon von selbst. Keiner konnte ihnen folgen, auch nicht der Australier Jai Hindley, der Kapitän der deutschen Bora-Mannschaft, der mehr als eine Minute auf das dominierende Duo verlor, aber immerhin seinen dritten Platz verteidigte - mit leicht reduziertem Vorsprung auf den Vierten Carlos Rodriguez (Ineos/+1:42 Minute).

Die Tour könnte länger spannend bleiben -die beiden Top-Fahrer wirken gleich stark

Seit 2020 läuft bei der Tour de France nun das Duell zwischen Pogacar und dem Team Jumbo um den Platz ganz oben im Gesamtklassement, und in zwei von drei Fällen gab es einen Tag, der quasi alles entschied. Im Vorjahr war das bei der Etappe auf den Col du Granon, als Jumbo mit wechselnden Attacken Pogacar entnervte und Vingegaard den Rivalen um drei Minuten distanzierte. Vor zwei Jahren war das andersherum Pogacar gewesen, der an einem regnerischen Alpen-Tag mit einer 30-Kilometer-Attacke den Konkurrenten dreieinhalb Minuten Abstand aufbrummte, die er nie mehr hergab. Nur im ersten Jahr dieses Dauerduells, 2020, waren Pogacar und der damalige Jumbo-Frontmann Primoz Roglic fast die komplette Tour über nahezu ebenbürtig gewesen, bis Pogacar seinen Landsmann in einem denkwürdigen Einzelzeitfahren mal eben zwei Minuten abnahm.

Bedient: Jonas Vingegaard auf dem Gipfel. (Foto: Thomas Samson/AFP)

Und 2023? Vieles deutet darauf hin, dass die beiden großen Dominatoren nahezu gleich stark sind. Am Anfang der Tour hat Pogacar durch die baskischen Hügel ein paar Sekunden gut gemacht, dann Vingegaard am ersten Pyrenäen-Tag rund eine Minute herausgeholt. Anderntags folgte Pogacars Konter, und nun also die nächste Sekundenschlacht. Die Rahmenbedingungen sind klar: Jumbo hat die bessere Mannschaft (wenngleich die bisher zwar stark, aber nicht so dominant rüberkommt wie im Vorjahr), und zudem ist Pogacar in der Vorbereitung aufs Handgelenk gestürzt, was man bei manchen seiner Bewegungen noch sehen kann. Dafür ist der Slowene der explosivere Typ.

Die Bühne für ein großes Duell ist jedenfalls bereitet. Die Tour-Macher haben sich in diesem Jahr ein besonders schweres Streckendesign einfallen lassen. Zeitfahr-Kilometer spielen kaum eine Rolle (nur 22,4), dafür warten in den Alpen noch vier schwere Etappen - und am finalen Wochenende die Vogesen-Fahrt nach Markstein. Und dort herrscht auch keine Stille auf den letzten Kilometern der Anstiege.

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