Temperaturen bei der Tour de France:40 Grad? Bitte weiterrollen!

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Tropfen auf den heißen Helm: Der Belgier Tiesj Benoot (rechts) spendiert einem Teamkollegen bei Jumbo-Visma ein wenig Abkühlung. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Das Tour-Peloton ächzt unter der extremen Hitze. Doch das Rennen geht weiter wie gehabt. Das Reglement für solche Bedingungen ist schwammig - und der Einfluss der Fahrer überschaubar.

Von Johannes Aumüller, Carcassonne

Eine kleine Gruppe hatte sich am Sonntagmorgen zu einem wichtigen Gespräch zusammengefunden. Zwei Repräsentanten des Tour-Ausrichters Aso waren dabei, ein Mediziner, dazu ein Vertreter der Organisation, in der sich die Teams zusammengeschlossen haben, und einer aus der sogenannten Fahrer-Gewerkschaft CPA. Und als das Treffen beendet war, teilte die Tour-Direktion mit, dass sie angesichts des Wetters und zum Schutz der Sportler die Regeln für die Etappe nach Carcassonne ändern werde.

Ganz konkret sah das so aus: Die Radprofis durften sich bis zehn Kilometer vor dem Ziel mit Trinkflaschen versorgen und die leeren Bidons nicht nur in bestimmten Zonen wegwerfen, sondern überall. Zudem wurde die Karenzzeit, also der maximale Abstand auf die Siegerzeit, um nicht aus der Tour zu fliegen, auf 20 Prozent verlängert. Aber ansonsten galt: Bitte weiterrollen wie gehabt, liebes Peloton.

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Radprofi Lennard Kämna hat den ersehnten Tagessieg bei der Tour de France erneut verpasst - und war nach der Hitzeschlacht im Zentralmassiv sichtlich bedient. Die Etappe gewann der Australier Michael Matthews.

Auf dem Asphalt beträgt die Temperatur mehr als 60 Grad

Das waren eher überschaubare Eingriffe angesichts der äußeren Umstände, unter denen die Radprofis gerade die Straßen Südfrankreichs durchqueren. Das ganze Wochenende ächzte das Feld unter der großen Hitze, nach dem für Montag angesetzten Ruhetag dürfte es zunächst noch so bleiben. In diversen Departements ist die Wetterstufe Orange ausgerufen, die zweithöchste in der maßgeblichen Warnskala. Für die 200 Kilometer lange Etappe nach Carcassonne an diesem Sonntag meldeten die Meteorologen Rekordwerte: mehr als 40 Grad Lufttemperatur, mehr als 60 Grad Straßentemperatur.

So kämpfen die Fahrer und die Teams nun also seit Tagen gegen diese erschwerten Rahmenbedingungen. Die Profis nehmen bis zu eineinhalb Dutzend Flaschen Wasser zu sich und stopfen sich Socken mit Eis unters Trikot. Sie tragen vor dem Start Kühlwesten oder machen es gleich so wie der UAE-Fahrer Marc Soler, den die Kameras am Samstag dabei filmten, wie er sich während der Etappe ein richtiges Speiseeis genehmigte, Geschmacksrichtung offenkundig Cola. Hauptsache Kühlung, das ist das Motto.

Was ganz offenkundig nicht infrage kommt: bei solchen Temperaturen mal eine Etappe abzusetzen, zu verkürzen oder zumindest im Spaziermodus zu absolvieren.

Schnee in den Pyrenäen, Gluthitze im Süden: Der Tour-Mythos nährt sich vom Durchhaltevermögen der Fahrer

Der Radsport nährt seinen Mythos auch aus dem Umstand, dass er quasi bei allen Wetterbedingungen stattfindet; bei einer Fahrt über verschneite Pyrenäen-Gipfel ebenso wie durch die Glutöfen Südfrankreichs. Diverse denkwürdige Hitzeschlachten sind im großen Geschichtsbuch der Tour de France notiert. Und die Teams versuchen auch, die Sportler im Training auf solche Situationen vorzubereiten.

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Manch einer im Peloton mag solche Bedingungen, aber es sind auch durchaus kritische Stimmen zu vernehmen. "Niemand fährt gerne fünf Stunden lang bei 40 Grad Hitze. Ich glaube auch nicht, dass das gesund ist", sagte am Samstag kein geringerer als der zweimalige Tour-Sieger Tadej Pogacar. Andere Fahrer äußern sich ähnlich. Doch insgesamt zeigt sich in der großen Hitze, wie ungenau der Umgang mit solchen extremen Wetterbedingungen geregelt ist - und wie wenig die Fahrer mitzureden haben.

Das letzte Wort haben der Veranstalter und der Rad-Weltverband

Zwar führte der Rad-Weltverband (UCI) vor einigen Jahren ein sogenanntes "Extremwetter-Protokoll" ein. Aber das ist kein präzises Regelwerk, das wie zum Beispiel im Skilanglauf Grenzwerte definiert. Da sind Rennen verboten, wenn es kälter ist als minus 20 Grad. Das UCI-Protokoll hingegen beschreibt nur generell, welche Möglichkeiten grundsätzlich bei extremem Wetter existieren, von "keiner Reaktion" bis Rennabsage. Aber im Kern sagt es: Wenn es stark schneit oder sehr heiß ist, sollen sich die Vertreter des Ausrichters sowie der Teams und der CPA mal zusammensetzen und beratschlagen, was sinnvoll ist.

Nun mag eine etwas flexiblere Handhabung zu den Umständen des Radsports besser passen als starre Grad-Zahlen. Doch zwei Aspekte bleiben auffällig bei dieser Konstruktion. Zum einen haben der Veranstalter und der Rad-Weltverband das letzte Wort bei der Entscheidung. Und zum anderen fühlen sich viele Fahrer von der CPA nicht richtig vertreten. Diese Gruppierung ist ihnen insgesamt zu nah den Verbänden; schon länger laufen Versuche, eine alternative und wirklich unabhängige Interessensvertretung zu organisieren.

Was die Fahrer selbst erreichen können, zeigte sich zum Beispiel bei der Tour im Vorjahr, als das Peloton ein Zeichen gegen die gefährliche Streckenführung setzen wollte: Da legte es zu Beginn einer Etappe einen kurzen Streik ein - orchestriert unter anderem vom deutschen Sprint-Routinier André Greipel, der seine Karriere inzwischen beendet hat. Manchem im Peloton fiel es damals erkennbar schwer, sich das zu trauen. "Es braucht einfach Fahrer, die Eier in der Hose haben", sagte Greipel damals im SZ-Interview.

Am Sonntag war das Peloton von so einem Streik weit entfernt. Kaum schwenkte der Tour-Chef Christian Prudhomme die Fahne, um das Rennen nach der obligatorischen Einrollphase offiziell zu eröffnen, setzte es die ersten Attacken. Trotz 40 Grad und 200 Kilometern.

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