Es knackt ein wenig, die Verbindung ruckelt, aber dann ist ein Weltmeister am Telefon. Johannes Thiemann, 29, fährt mit dem Zug zum nächsten Termin, so geht das seit einer Woche. Das Sportjahr 2023 rauscht dahin, die Begehrlichkeiten bleiben. Jahresrückblicker und Fernsehleute wollen noch mal wissen, wie die deutschen Basketballer das gemacht haben mit dem WM-Titel im September. "Schon anstrengend", sagt Thiemann, "zwischen all den Spielen und dem Training." Aber er nimmt die Aufmerksamkeit gerne an, sonst wäre er nicht neulich bei Markus Lanz in Hamburg gewesen.
Oder bei der "Sportler des Jahres"-Gala in Baden-Baden, wo das Basketball-Nationalteam zur Mannschaft des Jahres gekürt wurde. Thiemann stand im Zwirn auf der Bühne, reden durften aber nur die anderen, "nicht so dramatisch", findet er, Mannschaftssport eben. Dabei kann man mit dem gebürtigen Trierer Thiemann ausgezeichnet über Basketball reden. Und über seinen Verein Alba Berlin, der sich reingekämpft hat in diese Saison des Umbruchs. Das Basketballteam aus der Hauptstadt ist ein Fall für Tüftler, ein Talentschuppen mit coolen Assets, wie es heute heißt - aber auch mit Improvisationsbedarf.
Durch Berlin weht der Wind Of Change, nach den Weggängen langjähriger Protagonisten wie Luke Sikma, Maodo Lo oder Tamir Blatt heißt der Kapitän jetzt Johannes Thiemann - und mit dessen Zutun ist soeben das Kunststück gelungen, in der Euroleague den FC Barcelona zu besiegen. 74:70 hieß es diese Woche in einer vulkanartig brodelnden Halle am Ostbahnhof: über 10 500 Zuschauer, ein enges Duell bis zum Schluss und mittendrin Thiemann mit zwölf Punkten und sieben Rebounds. "Extrem wichtig fürs Gefühl", sei der erst dritte Euroleague-Erfolg dieser Spielzeit gewesen, sagt er, "daraus ziehen wir Selbstvertrauen."
Thiemanns Beinarbeit ist lehrbuchartig
Bei Alba ist es nämlich so: Verletzungen und Ausfälle plagen die Mannschaft, zuletzt zog sich Flügelspieler Louis Olinde eine Gehirnerschütterung zu, auch die Center Yanni Wetzell und Khalifa Koumadje fehlten zwischenzeitlich. So gingen dann sogar in der Bundesliga einige Partien verloren, aktuell ist Alba Dritter. Und wie so oft hagelte es in der Euroleague Niederlagen, für den Blick Richtung Playoffs braucht es als Tabellenvorletzter schon ein Gerät zum Scharfstellen. Das Niveau und die Belastungen mit Spielen im Dreitagesrhythmus stellten den verkleinerten Alba-Kader auf die Probe, bestätigt Thiemann: "Bisher hatten wir immer ein paar Stolpersteine im Weg", aber gerade der Sieg gegen Favorit Barcelona habe gezeigt: "Wenn alle hart und mit Energie spielen, haben wir eine Chance."
So befindet sich Alba in einem Dilemma: Punktuell mag der Klub mithalten können, manche Pleite fiel knapp aus. Aber um an der finanziell potenteren Konkurrenz im Unterbau der Euroleague dranzubleiben, ist eine Steigerung nötig. Bereits zwölf Saisonniederlagen deuten an, dass der Berliner Weg (Talente entwickeln, langsam wachsen) an Grenzen stößt. "Wir haben viel gutzumachen", bemerkte zuletzt auch Olinde, der nun zurückkommt. Gegen "Teams, die auf ganz hohem europäischem Level liegen" sei aber auch nicht zu viel zu erwarten, es gehe darum "den einen oder anderen Sieg zu klauen". Aber reicht es, nur hier und da mitzuspielen? Thiemann findet das Verlieren frustrierend, für ihn ist die Situation "ein Erfahrungsding". Und, klar: Der Etat muss langfristig steigen.
An ihm selbst liegt es ohnehin nicht. Er ist mittlerweile der Hauptverantwortliche im Gebilde von Trainer Israel Gonzalez. Thiemann macht sein Ding: Sowohl in der Bundesliga als auch in der Euroleague liegt sein Punkteschnitt bei etwa 15 Zählern, dazu klaubt er Rebounds, verteilt den Ball und hält die Offensive am Laufen. Wie schon bei der Weltmeisterschaft überzeugt er mit Cleverness in Korbnähe, seine Fehlerquote bleibt überschaubar. Wer etwas über Beinarbeit im Basketball lernen möchte, sollte Thiemans Sternschritte aufmerksam beobachten: Er tänzelt und täuscht weiterhin wie ein Weltmeister. Mit diesen Qualitäten ist er von den deutschen WM-Gewinnern derzeit vielleicht der formstärkste.
Zuletzt schaffte er hintereinander 31 Punkte gegen Istanbul, 29 in Ludwigsburg und 24 in Oldenburg - Werte, die sonst nur Franz Wagner in der NBA hin und wieder auflegt. Warum es bei ihm so gut läuft? "Es ist eine Mischung", erklärt Thiemann, "einerseits habe ich aus der WM viel Vertrauen gezogen, andererseits hat sich unser Team stark verändert." Er erhalte "viel mehr Spielanteile", da sei klar, dass er vorangehen müsse. Ob das auch in Zukunft gilt? Sein Vertrag bei Alba läuft im kommenden Sommer aus, er ist bald 30, die Welt da draußen ist verlockend. Aber "mir gefällt Berlin als Stadt sehr, ich habe viele Freunde und fühle mich wohl", sagt Thiemann. Dann knackt es wieder in der Leitung. Seine Reise geht weiter.