Beim obligatorischen Treffen mit der Presse am Vorabend des Länderspiels zwischen Deutschland und Mexiko hat Julian Nagelsmann zwar keine konkreten Angaben zur Startelfbesetzung gemacht, doch dass Thomas Müller während der Partie im Lincoln Financial Field in Philadelphia sein Jubiläum feiern darf, ist mehr als nur wahrscheinlich. Sein 125. Einsatz für Deutschland steht an, nicht zuletzt deshalb saß er nun neben dem Trainer auf dem Podium.
Auch wenn Müller erklärte, er nehme "solche Zahlen und Bestmarken sehr beiläufig" zur Kenntnis, so konnte er seinen Stellenwert als historische Figur des deutschen Fußballs doch nicht verleugnen. Müller ist einer der letzten verbliebenen Aktiven aus dem jüngsten Spiel gegen Mexiko, 2018 bei der WM in Russland. Ein Erlebnis, über das er nun redete wie ein Geschichtslehrer: Dieses 0:1, sagte er, sei "der Auftakt der Periode" gewesen, "auf die wir seit Jahren negativ zurückschauen".
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Julian Nagelsmann hat sich eine feine Offensive gebastelt. Zwar sind die deutschen Tore allesamt aus Einzelaktionen entstanden. Aber genau diese Anarchie gehört zum Plan.
Eigentlich wollte Müller gar nicht mehr über die schmerzlichen Details dieser dunklen Epoche sprechen, die mit dem Engagement des neuen Bundestrainers ein Ende finden soll. Doch dann trug er doch noch zur historischen Aufklärung bei: Müller berichtete, wie es kürzlich zu seinem Rücktritt vom Rücktritt kam.
Denn im Grunde war Müller ja am 1. Dezember vorigen Jahres bereits aus dem Dienst geschieden. Nach dem Aus der deutschen Mannschaft bei der WM in Katar hatte er das Gefühl, dass seine Deutschland-Karriere am Ende angelangt wäre, weil man den alten Müller bestimmt nicht mehr berufen würde: "Ich wusste um die Mechanismen, die nach so einem Ausscheiden gelten." Und so hielt er - "frei von der Leber weg", wie er jetzt in Philadelphia sagte - im Fernsehinterview spontan und quasi präventiv seine Abschiedsrede, in deren Mittelpunkt er die perfekte Schlussformel platzierte: "Ich hab's mit Liebe getan." Ein Halbsatz von Eilmeldungsrang, der sich blitzartig herumsprach. Müller endgültig weg - das ließ das deutsche Scheitern in Katar noch größer erscheinen.
"Ich bin der Meinung, dass man als Spieler gar nicht zurücktreten kann, solange man nominiert wird"
Dass er im September Hansi Flicks Einladung zur Rückkehr annahm, stellte in Wahrheit aber keinen Widerspruch dar, erläuterte Müller nun: "Ich bin der Meinung, dass man als Spieler gar nicht zurücktreten kann, solange man nominiert wird. Wenn der Trainer auf mich zurückgreifen möchte, dann will ich auch nicht kneifen."
Julian Nagelsmann versicherte, er habe das Angebot "gern" angenommen, er möchte nicht nur von Müllers immer noch jederzeit möglichen Geistesblitzen, sondern auch von der Erfahrung des Münchners profitieren. Der Bundestrainer denkt pragmatisch statt perspektivisch. Deswegen plant er bei der Partie gegen Mexiko auch keine umfassende Rotation, um Spieler für das nächste Bundesligawochenende zu schonen oder für eine ausgeglichene Einsatzstatistik im Kader zu sorgen.
Er werde "eher Nuancen" an der Aufstellung ändern und "sicherlich keine fünf Spieler auf einmal" austauschen. Er wolle, dass die Mannschaft "einen Rhythmus kriegt", sagte Nagelsmann. Vor allem möchte er nach dem 2:1 gegen Frankreich und dem 3:1 gegen die USA die positive Bilanz ausbauen und die Stimmung in der Heimat heben. Beim Treffen mit Mexiko gibt es keinen besseren Tabellenplatz und keinen Pokal, aber die Nationalelf kann jede Menge Bonuspunkte im öffentlichen Ansehen sammeln.
Leon Goretzka könnte einer der Leidtragenden dieses Leitmotivs sein. Nagelsmann gab in seinen Ausführungen zu erkennen, dass er kein Interesse daran hat, das Mittelfeldzentrum mit Pascal Groß und Ilkay Gündogan aufzulösen. Für Goretzka wird es dann wohl wieder nur eine Teilzeitbeschäftigung geben, zu wenig für seine Ansprüche. Thomas Müller hingegen hat als wandelndes Denkmal den Punkt erreicht, dass ihm auch wenige Minuten Freude machen. Der 125. wird sicher nicht sein letzter Einsatz bleiben.