Tennisspielerin Korpatsch:Die Einzelkämpferin setzt ein Zeichen

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Mein Pokal! Die Transylvania Open in Cluj-Napoca vermarkten sich durchaus unterhaltsam - Graf Dracula entwendet Tamara Korpatsch kurz den Pokal. (Foto: Anca Tepei/Imago)

Tamara Korpatsch wurde mal "die vergessene Aufsteigerin" genannt, mit 28 Jahren zeigt es die stille Hamburgerin ihren Kritikern und gewinnt erstmals ein WTA-Turnier - in der Weltrangliste ist sie nun sogar zweitbeste Deutsche.

Von Gerald Kleffmann

Tamara Korpatsch stand am Mikrofon, und noch ehe sie das erste Wort sagte, war ihr anzusehen: Sie war aufgeregt. Sie wippte mit dem Oberkörper hin und her, lächelte, wurde ernster, lächelte. "Hallo", sagte sie schüchtern und gab gleich zu, dass ihr größtes Talent nicht die freie Rede sei. "Ich versuche, so gut es geht, was zu sagen." Sie bedankte sich sogleich bei ihren Eltern, "mein Vater war immer mein Coach, er hat mich immer trainiert", erzählte sie. Sie stockte, schluckte, die Kamera fing jede ihrer emotionalen Regungen ein. "Auch meine Mutter hat mich immer unterstützt, sie hat meine Schläger bespannt."

Die Kamera schwenkte hinüber, zu Thomas und Birgit Korpatsch, sie sahen ergriffen aus. "Ich wüsste nicht, was ich ohne sie machen würde", fuhr Tamara Korpatsch fort. Sie wusste nur eines: "Ich könnte nicht mein bestes Tennis spielen", und das war, auch wenn Siegerehrungen generell gerne solche Sätze hervorbringen, die Wahrheit.

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"Die vergessene Aufsteigerin", so hatte einmal das Tennis Magazin die deutsche Spielerin durchaus treffend umschrieben, denn ihre Geschichte handelte lange genug von einem deutschen Talent, das sich ohne große Unterstützung des Deutschen Tennis-Bundes oder sonstiger Mentoren den Weg in den Profisport erkämpfte. Ihr Vater konnte sie oft genug nicht physisch unterstützen, da er als LKW-Fahrer Geld verdiente. Beträge, die sie in Ligaspielen erhielt, wurden in Reisen und Übernachtungen und somit in die Zukunft investiert, stets in der Hoffnung, es nach oben zu schaffen.

Ihre beiden Brüder dienten als Sparringspartner. Die Nummer eins der Welt wollte sie werden, das hat Korpatsch tatsächlich oft gesagt, natürlich ist sie doch ein Stück von diesem Ziel entfernt, genau genommen müsste sie nun 70 Kontrahentinnen überholen. So wenige waren es, das muss man aber auch hervorheben, nie zuvor in ihrer Karriere.

2019 erkrankte Korpatsch schwer - ihre Lungenfunktion nahm um die Hälfte ab

Man tritt ihr sicher nicht zu nahe, wenn man prognostiziert, dass sie wahrscheinlich nicht die vorderste Ranglistenposition erreichen wird, sie bräuchte dafür einen besseren Aufschlag, mehr Konstanz und Kraft in den Schlägen. Und doch gelang ihr nun ein spezieller Erfolg. Mit 28 Jahren gewann Korpatsch erstmals ein Turnier auf der WTA Tour, nach vier Siegen bezwang sie im Finale der Transylvania Open in Cluj-Napoca auch noch ihre Gegnerin Elena Ruse 6:3, 6:4.

Im Detail war dieses Match wie ihre Karriere, sie hatte nicht unerhebliche Widerstände zu überwinden, lag 0:3 zurück, die rumänischen Zuschauer unterstützten ihre Landsfrau teils an der Grenze zum Unsportlichen. Wie so oft blickte Korpatsch immer wieder zu ihren Eltern, sie gaben ihr Halt, und deshalb war es verständlich, dass der Moment des Erfolges ein Moment war, den die Familie Korpatsch genoss, auch wenn das Turnier in Cluj-Napoca ein kleineres der WTA Tour ist. Die Umarmungen nahmen kein Ende.

Wuchtige Vorhand: Tamara Korpatsch bei ihrem Sieg im Finale von Cluj-Napoca. (Foto: Anca Tepei/Imago)

Korpatsch begann bereits mit fünf Jahren das Tennisspielen, Vater Thomas warf ihr die ersten Bälle zu. Sie zeigte Talent, ähnlich wie Carina Witthöft, die auch Jahrgang 1995 ist und eine Zeit lang als deutsche Tennishoffnung galt. Witthöft entschied sich aber irgendwann, nicht mehr die Mühen des Profilebens auf sich zu nehmen. Mehr Zähigkeit bewies Korpatsch, die einmal in einem Interview versicherte, das Wichtigste sei für sie immer wieder der Glaube an sich selbst. Dieser war vor allem Ende 2019 vonnöten, Korpatsch war schwer erkrankt, ob es eine Grippe war oder bereits Corona, darüber spekulierte sie später selbst.

Jedenfalls war ihre Lungenfunktion um die Hälfte eingeschränkt. Eine höchst kritische Phase. Eine Corona-Infektion, eventuell beim Wimbledonturnier 2022 eingefangen, überstand sie nur etwas besser, sie hatte starke Symptome. Aber diese Tamara Korpatsch, so freundlich, leise und bescheiden sie auftritt, ist eine Beißerin, nur im übertragenen Sinne freilich. Vier Weisheitszähne waren ihr vor Jahren entfernt worden, sie hatte daraufhin die Australian Open auslassen müssen. Und in der Anfangszeit der Pandemie erhielt sie, keine Großverdienerin, Soforthilfe für Selbstständige sowie Unterstützung von der WTA. Die Einzelkämpferin machte schon einiges mit.

Bis zu dieser Saison hielt sie sich tapfer auf der Tour, doch sie schaffte es nicht, aus ihrem Weltranglistenbereich, der sich meist zwischen den Plätzen 110 und 170 bewegte, auszubrechen. Dass ihr nun ein Sprung um mehr als 30 Ränge nach oben gelang, ist daher als umso beeindruckendere Leistung zu bewerten. Ihr Formanstieg hatte sich in Nuancen aber bereits seit Januar angedeutet.

Bei den Australian Open in Melbourne zog sie als Qualifikantin erstmals ins Hauptfeld ein. In Wimbledon erreichte sie als Lucky Loser die zweite Runde, bei den US Open stand sie erstmals direkt im Hauptfeld und gewann eine Runde (gegen die Rumänin Irina-Camelia Begu). Es passte jedoch irgendwie zu ihrem Weg, dass sie einmal sogar in die internationalen Schlagzeilen geriet, aber nicht aus sportlichen Gründen. 2022 hatte ihre für Wimbledon eigentlich vorgesehene Doppelpartnerin Harmony Tan eine Stunde vor dem gemeinsamen Match abgesagt, die Französin hatte am Abend zuvor die Legende Serena Williams in einem Duell über drei Stunden besiegt. Korpatsch war so sauer, dass sie Tan in den sozialen Medien heftig kritisierte. Später löschte sie ihren Beitrag.

Mitte November finden die Billie-Jean-King-Cup-Finals in Sevilla statt, der deutsche Teamchef Rainer Schüttler gab bereits die Nominierung bekannt, Tatjana Maria, Anna-Lena Friedsam, Laura Siegemund, Eva Lys und Jule Niemeier treten an. Schüttler sagte dem Sportinformationsdienst, diese fünf hätten sich die Endrunde verdient. Korpatsch hat eben, das ist nicht neu, weniger Lobby hinter sich. Lange wird das nicht mehr gehen. Korpatsch ist nun, hinter Maria (58.), die zweitbeste Deutsche in der Weltrangliste.

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