Zverev bei den US Open:Kurz vor dem Kollaps

Lesezeit: 3 min

Ein Schrei zum Ausdruck seiner Freude: Alexander Zverev steht im Viertelfinale der US Open. (Foto: Danielle Parhizkaran/USA Today/Imago)

Alexander Zverev ist "völlig fertig", doch er gewinnt in fünf Sätzen im Achtelfinale gegen Jannik Sinner. Zwischendurch lässt er einen Zuschauer aus dem Stadion werfen - nun wartet die härteste Aufgabe gegen Alcaraz.

Von Jürgen Schmieder, New York

Sie kennen wirklich keine Gnade bei den US Open. Da kann einer vier Stunden und 41 Minuten lang gespielt haben; bis halb zwei Uhr morgens, als das Thermometer noch immer 27 Grad anzeigte; bei schlechter Luft wegen eines Großbrands in der Nähe der Tennisanlage. Da kann einer kurz vor dem Kollaps gestanden und danach noch mehr als zwei Stunden lang weitergespielt und irgendwie gewonnen haben. Alles egal: Wenn einer auf dem Platz gewesen ist, wird er danach zu Reportern geführt und soll erklären, was gerade passiert ist - und vielleicht ist die größte Leistung von Alexander Zverev an diesem Abend nicht der Erfolg gegen Jannik Sinner, sondern dass er danach tatsächlich noch ein paar gerade Sätze sagen konnte.

Da stand er vor der Umkleidekabine, Hände und Lippen zitterten vor Erschöpfung. "Ich war völlig fertig im vierten Satz", sagte er, aber was hätte er denn machen sollen? Der andere war doch auch kaputt! Seit Mitte des dritten Satzes plagten Sinner Krämpfe und Kniebeschwerden, zwischen den Ballwechseln humpelte er bedenklich. Er hielt durch, so wie auch Zverev durchhielt, und natürlich mussten ältere Beobachter an den Thrilla in Manila, denken, jenen legendären Boxkampf zwischen Ali und Frazier von 1975.

MeinungDebatten im Tennis
:Am besten nur ein Aufschlag

Einzelne Ballwechsel dauern nicht lange genug, Partien dafür zu lang - Spieler beschweren sich über Strapazen und Verletzungen. Es muss sich manches ändern, damit Tennis zukunftstauglich ist.

Kommentar von Jürgen Schmieder

Sinner und Zverev machten weiter, sie lieferten sich ein spielerisch durchwachsenes, jedoch dramatisches Duell - das im vierten Satz von einem Zuschauer gestört wurde, der es für eine gute Idee hielt, vor einem Aufschlag von Zverev "Deutschland über alles" zu brüllen, den Titel der ersten Strophe der deutschen Nationalhymne, die von den Nazis missbraucht wurde und seitdem nicht mehr verwendet wird. Der Mann wurde aus dem Stadion geleitet, Zverev sagte danach: "Ich mag es, wenn Fans mitgehen, die Stimmung war ja grandios - aber so was geht gar nicht."

Zverev verhindert das Duell Alcaraz vs. Sinner

Er sagte etwas zum Schiedsrichter, der Störenfried musste gehen, es wurde weitergespielt. So schnell kann das gehen, ohne großes Gedöns. Tennis war interessant genug, und das, was mit Zverev passierte. "Das ist einer der besten Momente meiner Karriere", sagte er danach: "Dafür lebe ich, genau das liebe ich: halb eins, volles Arthur Ashe Stadium. Besser geht es nicht. Ich darf wohl sagen: Ich bin zurück."

Es war ein Hinweis auf die schwere Bänderverletzung bei den French Open 2022 im Halbfinale gegen Rafael Nadal, die ihn zur monatelangen Pause gezwungen hatte. Aber vielleicht musste man den Sieg gegen Sinner in einem noch größeren Zusammenhang betrachten.

Zverev, 26, hat in seiner Karriere viel von dem gewonnen, was es in dieser Sportart zu gewinnen gibt - solange es über zwei Gewinnsätze ging: Olympia, zwei Mal die ATP-WM, fünf Masters-Wettbewerbe und zwölf weitere Turniere. Was fehlt: ein Grand-Slam-Titel und ein Sieg über einen Spieler, der zum Zeitpunkt des Grand Slams zu den besten fünf der Weltrangliste gehört. 0:11 war seine Bilanz gegen solche Top-Ten-Spieler, ehe er vor seiner Verletzung bei den French Open 2022 Carlos Alcaraz besiegte, damals die Nummer sechs der Welt. Seit seinem Comeback unterlag er Caspar Ruud bei den French Open im Frühjahr, wegen der verletzungsbedingten Aufgabe gegen Nadal lautete die Grand-Slam-Bilanz gegen Top-Ten-Spieler 1:13.

Doch nun der Erfolg gegen Sinner, Nummer sechs der Welt, der sogar als Kandidat auf den Turniersieg gehandelt wurde. "Ich glaube, die Leute haben vor dem Turnier über zwei Duelle geredet: Alcaraz gegen Djokovic im Finale, und Alcaraz gegen Sinner davor im Viertelfinale", sagte Zverev. Die Lippen zitterten, als er das sagte, die Mundwinkel bewegten sich aber leicht nach oben. Es war ihm anzumerken, wie viel ihm das bedeutete, nicht nur spielerisch besser gewesen zu sein als Sinner, 22, sondern auch das getan zu haben, was sie hier in New York "outlast", etwa "überdauern", nennen. Der Thrilla in Manila ist das beste Beispiel: Ali wollte aufgeben, stand aber auf für die letzte Runde - und sah, dass Frazier aufgab.

Grand Slam
:Spielplan zu den US Open 2023: Alle Ergebnisse im Überblick

In Flushing Meadows spielten die Tennis-Stars um den letzten Grand Slam des Jahres. Alle Ergebnisse im Überblick

Von Michael Schnippert

Ob er gegen Alcaraz gewinnen kann? Zverev glaubt daran

Zverev war, obwohl er zu Beginn des vierten Satzes völlig platt war, am Ende der fittere und nervenstärkere Spieler. 15:30 hatte es geheißen beim letzten Aufschlagspiel: Es hatte vor ein paar Jahren mal eine Version von Zverev gegeben, die in diesem Moment zwei Doppelfehler serviert hätte. Die Version im Sommer 2023: Ass, fein herausgespielter Volley-Punkt, noch ein krachender Aufschlag. Er ist mit allem umgegangen, was dieser Abend für ihn bereithielt.

Zverev darf nun, das ist das Hundsgemeine an den US Open, auch nicht feiern, sondern muss sich vorbereiten auf die nächste Partie in weniger als 48 Stunden. Zverev hat das Alcaraz-Sinner-Duell im Viertelfinale verhindert, das bedeutet freilich: Er muss selbst ran gegen Carlos Alcaraz, den Titelverteidiger, Weltranglistenersten und aufgrund der Leistungen bislang der eindeutige Favoriten in dieser Partie.

Gut für Zverev: Er glaubt daran, dass ihm der erste Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier gegen einen Top-Five-Spieler gelingen kann. Auf die entsprechende Frage sagte er nur: "Ja!" Nicht so gut für ihn: Alcaraz ist bekannt dafür, dass er mit Gegnern in etwa so gnädig umgeht wie die Organisatoren der US Open mit den Akteuren um zwei Uhr nachts nach einem Marathon-Match.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

US Open
:Der Punk-Schlag stirbt aus

Warum spielt keiner der 16 Achtelfinal-Teilnehmer im Männerfeld der US Open mehr die einhändige Rückhand? Laver, Navratilova, Sampras und Federer machten sie berühmt, der Schlag ist eine Kunstform - aber vielen heute zu riskant.

Von Jürgen Schmieder

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: