US Open:Der Punk-Schlag stirbt aus

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Was leicht in Vergessenheit gerät: Die einhändige Rückhand war Stan Wawrinkas wichtigste Waffe, um drei der vier Grand-Slam-Turniere zu gewinnen - und das während der gut 20-jährigen Dominanz des Trios Federer, Nadal und Djokovic. (Foto: Elsa/Getty via AFP)

Warum spielt keiner der 16 Achtelfinal-Teilnehmer im Männerfeld der US Open mehr die einhändige Rückhand? Laver, Navratilova, Sampras und Federer machten sie berühmt, der Schlag ist eine Kunstform - aber vielen heute zu riskant.

Von Jürgen Schmieder, New York

Und schon wieder: Krrräng! Dieses schreckliche Geräusch, bei dem man gar nicht mehr hinschauen muss, um zu wissen: Die Rückhand ist verrissen, der Ball wurde bei einer einhändigen Variante sowohl mit den Saiten des Tennisschlägers rasiert als auch mit dem Rahmen malträtiert; je nach Länge des "rrr" segelt er knapp ins Aus oder zu den Zuschauern in den ersten drei Reihen. Das Geräusch ist bitte nicht zu verwechseln mit dem Plllopp der Rückhand; dann fliegt der Ball ins Netz, bei kurzem "l" springt er davor sogar auf.

Es gibt dann aber freilich auch noch Fffapp, eines der schönsten Geräusche im Tennis; zu hören bei einer voll durchgezogenen und perfekt getroffenen einhändigen Rückhand - eine der schönsten Bewegungen, über alle Sportarten hinweg; allerdings vom Aussterben bedroht: Keiner der 16 Achtelfinal-Teilnehmer bei den Männern hat sie als festes taktisches Mittel im Kernrepertoire. Zu hören ist nur noch das Zzappp der beidhändigen Schüsse.

Wer wissen will, warum der Ein-Hand-Virtuose Stefanos Tsitsipas in der zweiten Runde der US Open gescheitert ist, wo er im vierten Satz zum Matchgewinn aufgeschlagen hatte: Es machte drei Mal Krrräng und ein Mal Plllopp, nicht ein einziges Mal Fffapp in diesen fünf Minuten; gerade in den wichtigen Momenten verriss Tsitsipas die Rückhand immer wieder - genauso wie Stan Wawrinka, dessen Rückhand-Bewegung nach dem Karriereende als Statue verewigt werde möge, am Samstag gegen Jannik Sinner zu häufig Krrräng erlebte und der nach dem 3:6, 6:2, 4:6, 2:6 sagte: "Ich treffe sie nicht mehr so gut wie zu Grand-Slam-Sieg-Zeiten." Denn was man gerne vergisst: einhändige Rückhand war Wawrinkas wichtigste Waffe, um drei der vier Grand-Slam-Turniere zu gewinnen - und das während der gut 20-jährigen Dominanz von Federer, Nadal und Djokovic. Wawrinkas Rückhand longline war ein Gedicht.

Die Momente wie im zweiten Satz gegen Sinner, als er seine Rückhand die Linie runter auf die Reise schickte und damit eine brenzlige Situation entschärfte oder selbst in die Offensive ging, sie sind seltener geworden: "Ich versuche es, das Niveau ist gut, ich bin zufrieden; aber es klappt nicht mehr so oft."

"Ich musste oft Slice spielen, weil Zverev bewusst hoch und mit viel Topspin auf meine Rückhand gespielt hat", sagte Grigor Dimitrov nach seiner Niederlage: "Es ist schwierig, dann Druck auszuüben." (Foto: Matthew Stockman/Getty)

Ein anderes Beispiel von den US Open: Grigor Dimitrov leistete sich bei der Drittrunden-Niederlage gegen Alexander Zverev (7:6, 6:7, 1:6, 1:6) viel zu viele leichte Fehler mit der einhändigen Rückhand; vor allem, als ihm von Satz drei an die Luft ausging und er oft falsch zum Ball stand. "Ich musste oft Slice spielen, weil Zverev bewusst hoch und mit viel Topspin auf die Rückhand gespielt hat", sagte Dimitrov danach: "Es ist schwierig, dann Druck auszuüben - gerade cross. Man kann hin und wieder mal einen Stopp einstreuen, um den Rhythmus zu stören. Durchziehen ist in diesen Momenten aber überaus riskant." Deshalb ist das Achtelfinal-Duell am Montag: Sinner gegen Zverev.

Es gibt drei Gründe, warum Leute Sport gucken: weil sie nicht wissen, wie es ausgehen wird. Weil jemand etwas leistet, das man nicht glaubte, sähe man es nicht mit eigenen Augen. Und wegen des unvergessenen Satzes von Oscar Wilde aus seinem Roman "Das Bildnis des Dorian Gray": "Für mich ist Schönheit das Wunder aller Wunder." Die einhändige Rückhand ist im Tennis das, was in Geräteturnen, Eiskunstlauf und Turmspringen Bewegungen sind, bei denen die Gesetze der Schwerkraft infrage gestellt werden; Aufwärtshaken im Boxen; Seitfallzieher im Fußball. Was aber bei den US Open deutlich zu sehen ist: Sie ist vom Aussterben bedroht.

Jugendtrainer raten: Lernt lieber die beidhängige Rückhand! Die ist sicherer und einfacher

Das liegt vor allem an der Begründung von Dimitrov für die Probleme gegen Zverev; im Australian-Open-Finale wählte Novak Djokovic gegen Tsitsipas genau die gleiche Strategie: hoch und mit viel Topspin auf diese einhändige Rückhand. Klingt einfach; ist es auch. Und genau deshalb hat der mit der schönsten einhändigen Rückhand der jüngeren Geschichte ausgestattete Spieler nach seinem 30. Geburtstag noch einmal gefeilt: Roger Federer hatte bemerkt, dass er nur dann eine Chance gegen die Topspin-Attacken von Rafael Nadal haben würde, wenn er sich einen aggressiveren Slice antrainiert oder den Topspin früher nimmt und nur blockt. Das heißt: Die Einhand-Virtuosen brauchen eine Antwort auf diese simple Attacke der Gegner.

Aufgrund der Evolution von Schlägern und Saiten hat die einhändige Rückhand von Wawrinka, Tsitsipas, Dimitrov und Dominic Thiem mit dem, was John McEnroe und Martina Navratilova einst übers Netz gezaubert haben, einzig den Begriff dafür gemein. Auf den Holzpfannen musste man, um Kräng und Plopp zu vermeiden, den Ball genau in der Mitte des Saiten-Gespanns treffen, selbst bei perfekter Ausführung hörte man nur ein Bonk. An heftigen Spin war nicht zu denken - sowohl mit der Rückhand als auch als Strategie gegen die einhändige Version.

Die einhändige Rückhand hat was von Punk; beidhändig ist Mainstream

Schläge heutzutage sind härter, angeschnittener; also raten Jugendtrainer: Die Schönheit der Rückhand von Federer, Pete Sampras, Navratilova, Boris Becker und Rod Laver (vielleicht die schönste der Geschichte) in allen Ehren - lernt lieber die viel einfacher zu beherrschende Variante, die zudem kürzere Ausholbewegung erfordert! Es ist ganz einfach der sicherere Schlag, einfacher zu kontrollieren. Sie hat was von Punk, diese einhändige Rückhand; beidhändig ist Mainstream: erfolgreicher, klar, aber eben niemals cool. Die einhändige Rückhand ist ein Kunstwerk des Timing: Sie muss perfekt sein, dann ist sie wunderschön. Wenn sie nicht perfekt ist, dann ist sie, und man hört es sofort: fürchterlich.

Kaum jemand schwingt die Rückhand so schön wie Stefanos Tsitsipas. Doch zuletzt ist sein Aufstieg ins Stocken geraten. (Foto: Sarah Stier/Getty)

Kinder ahmen seit jeher die Stars der Szene nach. "Die einhändige Rückhand von Federer war so unglaublich schön", sagt zum Beispiel Chris Eubanks, einer der wenigen verbliebenen Einhand-Spieler; aber selbst er sagt: "Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, würde ich wahrscheinlich beidhändig spielen." In den Top Ten ist Tsitsipas derzeit der einzige mit einhändiger Rückhand, er sagt: "Es ist meine Signatur, mein Schlag, der mich definiert. Es ist eine Herzensangelegenheit, weil ich so sein will wie Federer und Sampras. Ich will diese Tradition nicht aussterben lassen."

Damit das nicht passiert, braucht es Spieler, die zeigen: Geht doch - man kann cool und erfolgreich sein, wie die Foo Fighters in der Rockmusik. Der 21 Jahre alte Italiener Lorenzo Musetti könnte so einer sein, derzeit auf Platz 18 der Weltrangliste. Und natürlich Tsitsipas, der in seiner Karriere bereits zwei Grand-Slam-Endspiele erreicht hat (neben den Australian Open im vergangenen Februar auch 2021 bei den French Open - wo er jeweils Djokovic unterlag). Bei diesen Erfolgen hatte es aber deutlich häufiger Fffapp gemacht als Krrräng und Pllopp.

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