Zverev und Kerber vor US Open:Gefangen in der Abwärtsspirale

Kerber zverev Kombi

Alexander Zverev und Angelique Kerber sind beide in einer Krise.

(Foto: Martin Rose / Getty, Alex Grimm / Getty)
  • Angelique Kerber und Alexander Zverev sind vor den US Open in der Krise.
  • Ihre inneren Kämpfe fechten sie auf ganz unterschiedliche Weise aus.

Von Gerald Kleffmann

Kürzlich gab es eine positive Nachricht über Angelique Kerber. Es ging um ihre Finanzen. In den Monaten von Juli 2018 bis Juni 2019 hatte sie 10,53 Millionen Euro verdient; Preisgeld sowie Werbeeinnahmen wurden addiert. Damit lag sie in der Rangliste der Sportlerinnen mit den höchsten Verdiensten weltweit auf Platz drei, hinter der US-Amerikanerin Serena Williams (26,07 Mio.) und Naomi Osaka aus Japan (21,69.). Dazu passte eine Meldung aus den Tagen zuvor: In München wurde Kerber als Markenbotschafterin eines neuen Sponsors präsentiert, Bereich Körperpflege. An Manager Aljoscha Thron, 32, hatte es wegen seines Alters, als er im Oktober 2016 die Verantwortung für ihre Geschäfte übernahm, manchen Zweifel gegeben, zum Geld aber weiß er sie zu führen, das steht fest. Ihre sportlichen Erfolge hat er gut vermarktet.

Allerdings hatte Thron in dieser Zeit keine Phase als Arbeitsgrundlage wie momentan. Aus seiner Siegspielerin, mit drei Grand-Slam-Titeln geschmückt und über Wochen Nummer eins der Tenniswelt, ist eine Athletin geworden, die auf dem Platz verwundbarer denn je wirkt. Auch beim Turnier diese Woche in Cincinnati ist Kerber in ihrem ersten Match ausgeschieden, sie verlor 6:7, 2:6 gegen die Estin Anett Kontaveit, auf dem abgelegenen Court Nummer 10. In der Woche zuvor war sie gleich an der Russin Darja Kassatkina gescheitert. In Wimbledon, im Juli, verlor sie als Titelverteidigerin in der zweiten Runde gegen die Amerikanerin Lauren Davis. So manifestiert sich in den Tagen, ehe mit den US Open in New York das letzte der vier Grand-Slam-Turniere ansteht, ein Bild, das Kerber phasenweise zwar kannte, das in der Ballung der Enttäuschungen indes ungewohnt ist für sie, seit sie mit ihrem Triumph bei den Australian Open 2016 in neue Dimensionen aufstieg. Sie hat tatsächlich eine Krise zu bewältigen.

Aber wenigstens ist sie nicht allein.

Auch der beste männliche deutsche Tennisprofi befindet sich in dieser Abwärtsspirale: Aufgrund von Niederlagen sinkt das Selbstvertrauen, Gegner spüren die Verwundbarkeit, zwischendurch folgen eigene Mutmacherparolen, doch die nächste Niederlage kommt unweigerlich. So bleibt wieder nur die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Bei Kerber klang das jüngst so: "Auf und Ab gehören zu mir, zu meiner Geschichte, zu meiner Karriere. Ich komme immer stärker zurück." Alexander Zverev erklärte: "Ich habe immer gesagt, dass die US Open in diesem Jahr das Turnier sind, bei dem ich meinen Durchbruch schaffen will." Auffallend im Sport generell ist: Je unsicherer Athleten wirken, desto höhere Ziele werden aufgetürmt.

Zweifel können auch Antrieb sein

Natürlich ist die Parallelität der inneren Kämpfe von Kerber wie Zverev Zufall, und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Der Gegner beider ist der Zweifel, den selbst die Besten zur Genüge kennen. Der Schweizer Roger Federer, der in Wimbledon in diesem Jahr in einem dramatischen Finale zwei Matchbälle gegen den Rivalen Novak Djokovic vergeben hatte, hat in Cincinnati daran erinnert, wie unverhältnismäßig lange solche Pleiten an einem Spieler nagen können - verglichen mit der Kurzzeitigkeit von Glücksgefühlen, die Siege auslösen. Nicht ohne Grund hat wiederum der spanische Weltklassespieler Rafael Nadal betont, sein Antrieb seien Zweifel: Bin ich so gut wie beim letzten Mal? Djokovic sagte einmal, er wolle die beste Version seiner selbst sein. Als er 2016 nach vier Siegen bei den Grand-Slam-Turnieren in Serie auf der Suche nach neuen Zielen mit sich zu ringen begann, wirkte es, als habe er den Panzer der Unbesiegbarkeit abgelegt. Mit dem Motto "amor y paz", das ihm sein damaliger Coach Pepe Imaz einbläute, punktete Djokovic in der Empathiewertung. Aber nicht als Profi mit Schläger.

Tennissportler sind als Einzelsportler anfälliger für Schwankungen von Selbstbewusstsein. Ein Fußballer, der fünf Elfmeter verschossen hat, geht beim sechsten Mal auch mit mulmigen Gefühlen zum Kreidepunkt. "Mein Selbstvertrauen ist gerade unter Null", bekannte Zverev in Wimbledon, als er dort in der ersten Runde gegen den Tschechen Jiri Vesely verloren hatte. Sichtbar wird das in seinem Spiel, das sich "nicht weiterentwickelt hat", wie sein Mentor Boris Becker, heute als Head of Men's Tennis beim deutschen Verband DTB für den Männerbereich verantwortlich, während der French Open meinte. Er erinnerte: "Man muss sich ständig weiterentwickeln. Roger Federer spielt heute auch anders als vor fünf Jahren."

Zverev muss freier schwimmen

Becker ist nicht der einzige, der registriert hat, wie sehr sich Zverev auf dem Platz in seine "Komfortzone" zurückzieht - er steht zu weit hinter der Grundlinie und wartet zu oft ab, was der Gegner macht. Neuerdings kommt bei dem 22-Jährigen eine fast groteske Aufschlagschwäche hinzu: Zwanzig Doppelfehler fabrizierte er beim frühen Aus in Cincinnati gegen den Serben Miomir Kecmanovic. In den vergangenen 18 Matches unterliefen ihm sogar 153 Doppelfehler. Dabei war der Aufschlag des 1,98 Meter großen Athleten stets eine seiner Waffen. An diesem Schlag lässt sich wie bei einem Barometer ablesen, wie es um die innere Verfassung steht: Es ist der einzige Schlag im Tennis, der nicht vom Gegner beeinflusst wird.

Wie es bei Zverev, der im Eiltempo aufgestiegen war und sich im Herbst 2018 zum ATP-Weltmeister krönte, zur spielerischen Stagnation kam, hat er offen kommentiert. So oft gar, dass Becker ihm riet, er solle nicht alles öffentlich machen. Mit seinem früheren Manager Patricio Apey befindet er sich im Rechtsstreit, in der Liebe gab es Turbulenzen, der Vater war gesundheitlich angeschlagen, sein Bruder Mischa, zehn Jahre älter und lange eine Stütze, nun aber selbst Familienvater, nabelt sich ab. Zverev muss freier schwimmen. Überdies war seine Trainersituation mit Ivan Lendl als zweitem Coach ein dauerhaftes Rätsel, bis es zum Bruch kam. Lendl, ein früherer Weltranglistenerster im Tennis, würde sich mehr um seine Hunde als um ihn kümmern, sagte Zverev; wenn sich ein Sportler mit solchen Gedanken beschäftigt, ist das kein gutes Zeichen.

Trotzspielerin Kerber akzeptiert die Auf und Abs

Angelique Kerbers Lage dagegen wirkt diffuser, sie öffnet sich generell weniger, wenngleich sie jüngst zugab: "Diese Zeit im Jahr fühlt sich anders an als in den vergangenen Jahren." Sie hat registriert, dass sie nicht die Kerber der Jahre 2016 bis 2018 ist. Nur sagte sie auch: "Aber es ist immer noch dieselbe Reise." Sie habe den Wechsel von Höhen und Tiefen "als Teil meiner Geschichte als Athletin akzeptiert", eine Aussage, die einerseits von Reife zeugt. Andererseits: Kerber, 31 Jahre alt, war stets dann am besten, wenn sie etwas nicht akzeptierte. Sie war immer eine Trotzspielerin. Vor ihrem Sieg bei den Australian Open 2016 hatte sie bekannt: Sie wolle kein braves Mädchen mehr in den Top Ten sein! Warum solle nicht sie ein Major-Turnier gewinnen? So ging es damals los.

Nun also ist August 2019 - und Angelique Kerber ist natürlich schon auch noch die Kerber der Jahre 2016 bis 2018. Sie hadert immer noch so schnell wie früher mit sich, wenn es nicht läuft. Sie hat noch diesen bemerkenswerten Schlag, diesen Rückhandblock, im Repertoire. Vielleicht ist es wie bei Zverev, vielleicht wäre eine Weiterentwicklung nötig. Denn auch im Frauentennis rückt eine neue, furchtlosere Generation auf; mehr Spielerinnen trauen sich mehr zu. Dass Kerber seit Jahren im Grunde ein Hin und Her mit ihren Trainern erlebt, dass sie sich nach Wimbledon auch von Rainer Schüttler trennte und nun sogar ohne Coach um die Welt reist, hat sicher auch damit zu tun, dass sie sehr konkrete Vorstellungen hat: Der neue Trainer müsse "viel Erfahrung mitbringen, er muss die richtige Ansprache mitbringen, die Leidenschaft, das Commitment, die gleiche Sprache sprechen wie ich", sagte sie. Allzu sehr wird sie sich nicht umstellen, ist zu vermuten. Ihr Trainingsmittelpunkt und ihre private Basis wird in Polen bleiben, in Puszczykowo, wo ihre Großeltern eine Tennisakademie besitzen.

Eine interessante Andeutung ließ Kerber zuletzt indes fallen, als das Thema die Endlichkeit ihrer Karriere streifte. Im Kern ging es auch um das Wort Motivation. "Ich glaube, dass das Gefühl irgendwann kommt und dass ich irgendwann merken werde, es ist jetzt genug, oder es ist nicht mehr das Feuer da. Vielleicht in fünf Jahren, vielleicht in vier Jahren", sagte sie und schloss den Satz ab mit den Worten: "Vielleicht früher." Anders als Alexander Zverev kann sie sich ja Wimbledon-Champion auf Lebenszeit nennen. Diese Perspektive macht gelassener.

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