Den Termin für das Videotelefonat verpennt Holger Rune erst mal, nach einer Whatsapp des Mediendirektors der ATP Tour meldet er sich sofort. Verschlafen sieht er aus, die Haare strubbelig. Es dauert ein paar Momente, dann ist Rune betriebsbereit und verströmt dieses Schelmisch-Freche, Selbstbewusste und Eigenwillige, für das er im Tennis bekannt ist. Wenn Rune spielt, ist oft was los, Emotionen sind dem jungen Dänen nicht fremd, zuletzt gab es beim Masters-Turnier in Monte-Carlo Wirbel um ihn. Auch darüber wird er in den folgenden Minuten reden.
An diesem Donnerstag steigt Rune beim Turnier in München ein (Alexander Zverev besiegte am Mittwoch nach zwei langen Regen-Unterbrechungen den Österreicher Jurij Rodionov 7:6 (3), 6:2), nach einem Freilos trifft er auf Daniel Elahi Galan aus Kolumbien. Rune ist einer, mit dem es selten langweilig wird. Als er vor zwei Jahren erstmals in Bayerns Landeshauptstadt auftauchte, kursierten bereits Geschichten über ihn. So hatte er etwa ein Challenger-Turnier in Sanremo gewonnen, sich ins Auto gesetzt, war nach Monte-Carlo geflitzt und hatte dort am selben Tag noch rasch sein erstes Qualifikationsmatch des dortigen Masters-Turniers erfolgreich bestritten. Von da an wusste die Branche: Dieser Athlet mit den muskelbepackten Beinen ist belastbar.
Gefühlt ist er schon lange dabei, doch das dürfte an den bunten Schlagzeilen liegen
Nun, zwei Jahre später, besitzt Rune zwei schnittige Sportautos, beide erhielt er für seine Titelsiege in München 2022 und 2023, er ist einer aus der aufsteigenden Generation - den Führerschein hat er aber immer noch nicht. Sein Vater hat einen Wagen bekommen, der andere steht in einer Garage, in Monte-Carlo, wo Rune lebt. "Ich kann es zwar nicht fahren, aber jeder, der mich damit herumfahren kann, ist herzlich eingeladen", sagt Rune und lacht. Das sind Momente, in denen man spürt, wie jung er ist, immer noch erst 20 Jahre alt.
Gefühlt wirkt er schon viel länger mit, aber das hat wohl damit zu tun, dass er oft genug in manchen Schlagzeilen steht, obwohl gar nicht gespielt wird. Er und seine omnipräsente Mutter Aneke, die vieles für ihn regelt, halten die mediale Öffentlichkeit - und vor allem die sozialen Medien - deutlich mehr auf Trab als etwa Runes Generationsgenossen Carlos Alcaraz und Jannik Sinner, deren Karrieren eher linear verlaufen. Eines der größten Tennistalente ist Rune aber nach wie vor.
"Es ging in manchen Phasen ein bisschen auf und ab", sagt Rune, damit meint er zunächst seine Ergebnisse. Im November 2022 hatte er bereits den Kreis der besten Zehn der Weltrangliste erreicht. Im Finale des Masters-Turniers in Paris-Bercy hatte er keinen Geringeren als Novak Djokovic besiegt. Das weckte Erwartungen auf mehr, zumal ihm der Spanier Alcaraz, ebenfalls Jahrgang 2003, mit seinem US-Open-Sieg 2022 vorlebte, dass die Jugend nun wirklich rocken kann. Bei Rune rockte aber vor allem dann das Trainerkarussell, ein schreckliches Wort, das in diesem Fall aber passt.
Rune entließ Trainer, stellte Trainer ein, auch mit Boris Becker hatte er ein Intermezzo, immerhin reichte es in dieser kurzen Zeit für ein Instagram-Foto, das beide beim Schachspielen zeigte. Die Suche spiegelte auch seine Ungeduld wider, aber wer strauchelt, lernt dazu, und so hat Rune jetzt den Franzosen Patrick Mouratoglou zurückgeholt, den früheren Trainer von Serena Williams, mit dem er schon mal gewinnbringend zusammengearbeitet hatte. Kenneth Carlsen, der ihn von Kindesbeinen an kennt, betreut ihn aber in München.
Für die Geste ans Publikum, den Mund zu halten, gab es eine Verwarnung
Alcaraz und Sinner haben schon bewiesen, dass sie Grand-Slam-Turniere gewinnen können, Rune, das macht er klar, will diesen Schritt zeitnah schaffen. "Um ehrlich zu sein, fühle ich mich recht nah dran", sagt er höflich. "Ich habe dreimal das Viertelfinale bei Grand Slams erreicht. Natürlich ist es dann noch mal ein Stückchen bis in ein Finale. Aber ich weiß schon mal, wie ich mit Matches, die über drei Gewinnsätze gehen, umgehen muss." Sicherlich steht seine Impulsivität ihm manchmal etwas im Weg, wenngleich ihn diese Leidenschaft ja erst so weit gebracht hat als Tennisspieler. Zuletzt etwa hatte er sich darüber echauffiert, dass er beim Turnier in Monte-Carlo eine Verwarnung kassiert hatte. Eine provokante Geste mit der Hand, die Zuschauern verdeutlichen sollte, sie mögen den Mund halten, wurde vom Schiedsrichter geahndet. "Ich fand diese Entscheidung seltsam", sagt Rune. Er hat dann im Netz Luft abgelassen und sich beklagt, natürlich kamen anonyme Angriffe zurück, die sein Urteil bestätigten: "Von den sozialen Medien kommt hauptsächlich dummes Zeug. In der echten Welt spüre ich viel Liebe."
So sieht es eben aus, das Tennisleben der Generation Z, sie beschäftigen andere Dinge, er legt keinen Wert auf einen Führerschein, er bevorzugt klare Haltung, "ich sage, was ich fühle", sagt Rune und betont: "Es ist mir wichtig, dass ich mir treu bleibe."