Drama um Alexander Zverev in Paris:Abschied auf Krücken

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Alexander Zverev humpelt im Paris vom Platz. (Foto: Adam Pretty/Getty)

Alexander Zverev verletzt sich so schwer im Halbfinale der French Open, dass er das Match vorzeitig beenden muss. Sein Traum vom ersten Grand-Slam-Sieg im Tennis ist erneut vertagt.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Ein letztes Mal rief Marc Maury, die Stadionsprecherlegende in Roland Garros: "Alexaaaander Zverev", wobei das bei Maury, einem früheren Zehnkämpfer, wie "Ssssswrewww" klingt. Die Menschen standen alle, sie riefen "Sascha, Sascha" und klatschten. Normalerweise wären diese Töne und Klänge ein gutes Zeichen gewesen. Wer auf diesem berühmten Platz im Court Philippe Chatrier so gefeiert wird, hat etwas Größeres erreicht.

Nicht an diesem Freitagabend.

Alexander Zverev ging an Krücken. Er humpelte Richtung Ausgang. Er drehte sich noch einmal um, winkte ins Publikum, mit einer Hand, so gut es eben ging. Sein rechter Fuß war nackt. Momente zuvor hatte Zverev seinen Gegner umarmt. Der 25 Jahre alte deutsche Tennisprofi, der so sehr davon träumt, endlich einmal einen Grand-Slam-Sieg zu erringen, der bei diesen French Open wie im Vorjahr wieder im Halbfinale stand, musste in genau dieser Partie aufgeben. Zum Verhängnis wurde ihm ein Sturz beim Stand von 6:7 (8), 6:5, 30:40. Natürlich verlor er diesen Punkt. Bei 6:7, 6:6 wurde die Partie für beendet erklärt.

Für Rafael Nadal, seinen nicht ganz unbekannten Kontrahenten, ist mit diesem Sieg, den er selbstverständlich niemals auf diese Art wollte, klar: Er kämpft am Sonntag tatsächlich um seinen 14. Triumph bei den French Open. Zverev wäre der zweite Deutsche gewesen, der das Finale in Paris erreicht, nach Michael Stich 1996.

"Ich bin mir sicher, er wird nicht nur eines, sondern mehrere gewinnen", sagte der Spanier später beim Interview auf dem Platz über Zverev. "Wieder im Finale von Paris zu sein, ist ein Traum. Aber im Moment ist es schwer, Worte zu finden."

Bis zum Augenblick des Unglücks hatte zwischen dem Weltranglisten-Dritten aus Hamburg, der im Falle eines Turniersiegs sogar zur Nummer eins der Weltrangliste aufgestiegen wäre, und der früheren Nummer eins eine absolut intensive, teils auch verwunderliche Partie stattgefunden. Gespielt wurde bei geschlossenem Dach, kurz vor Beginn um 15 Uhr hatte es zu regnen begonnen. Der Court Philippe Chatrier erhielt nun einen Hallencharakter, was immer Auswirkungen auf das Tennis hat. Die Bälle springen in der Regel dann nicht ganz so hoch ab. Fraglich war, welcher der beiden Akteure diesmal daraus Nutzen ziehen konnte.

Nadal wirkte dieser Tage in guter Form, jedoch auch irgendwie schon körperlich angeschlagen. Mehrmals hatte er gesagt, jedes Match hier könnte ja sein letztes sein. 13 unglaubliche Titel hat er in Paris errungen, doch die Uhr des Lebens tickt auch für ihn. Just an diesem Freitag wurde Nadal wieder ein Jahr älter, wie so oft ist er zum Geburtstag dann hier, in Paris, um bei dem für ihn wichtigsten Turnier aufzuschlagen. 36 ist er nun.

Der erste Satz dauerte unglaubliche 1:33 Stunden, selten besaß ein erster Satz bei einem Grand Slam eine derartige Intensität. Sie kloppten und sie verkeilten sich, wobei es Zverev verpasste, nach einem grandiosen Start mit frühem Break solide einfach den Satz einzufahren. Die Stimmung war großartig, wie immer, wenn Nadal aufläuft, war es ein Heimspiel für den Mallorquiner. Aber auch Zverev erhielt freundlichen Applaus, vereinzelt wurden deutsche Flaggen ausgerollt.

Erste Hilfe-Maßnahme: Im Rollstuhl wird Alexander Zverev zunächst vom Platz im Court Philippe Chatrier gefahren. (Foto: Anne-Christine Poujoulat/AFP)

Bei 4:5 und Aufschlag Zverev hatte Nadal drei Satzbälle. Dann Zverev vier in Serie bei 6:2 im Tie-Break. Dann wieder Nadal zwei bei 7:6 und 8:7, ehe er seinen sechsten Satzball zum 10:8 verwandelte. Bei einem Passierball tobte die Menge, nach dem Satz tat der Lärm in den Ohren erst richtig weh. Hatte man anfangs noch den Regen auf dem Dach plätschern hören, hörte man nun nichts mehr, so laut war es.

Der zweite Satz war von der Dramaturgie her wild, ein Festival der Aufschlagverluste sozusagen. Es gab herrliche Punkte auf beiden Seiten zu bestaunen, aber auch Fehler, die würdig waren, ins Lehrbuch der schönsten Fehlschläge Eingang zu finden. Bei 5:3 stand Zverev kurz davor, den Satzausgleich zu erkämpfen, Nadal war wirklich zu knacken. Aber dann: Drei Doppelfehler in einem Aufschlagspiel gegen Nadal, wer solche Spiele dann noch gewinnt, muss zaubern können. Kann aber selbst Zverev nicht.

"Wenn du so verletzt bist wie Sascha jetzt, wird dir ein Stück deines Lebens genommen", sagt Bruder Mischa Zverev

Das Duell steuerte somit auf den nächsten Tie-Break zu, als Zverev strauchelte. Ein paar Mal flog der Ball hin und her, ein Topspin-Schlag Nadals in Zverevs Vorhandecke, der rannte hin, blieb hängen, knickte um und flog auf die Asche. Er schrie auf. Er wälzte sich. Sofort packte er sich am rechten Sprunggelenk, das Gesicht schmerzverzerrt, die Augen zusammengepresst. Sein ganzer Rücken, seine Short, alles feuerrot von der Terre Battue. Nadal ging hinüber zu ihm, versuchte zu helfen, aber Zverev konnte nichts anderes machen, als sich zu krümmen. Der Ernst der Lage wurde rasch erkannt, ein Rollstuhl wurde herbeigerollt. Offizielle des Turniers halfen Zverev, darin Platz zu nehmen. Er wurde hinausgeschoben, unter dröhnendem, aufmunterndem Applaus und Chören.

Noch wurde nicht der Sieg Nadals verkündet - die Minuten verstrichen. Als Zverev auf Krücken wieder auftauchte, war ersichtlich: Jetzt ist dieses Turnier für ihn vorbei. Er gab dem Schiedsrichter die Hand, umarmte Nadal, der konsterniert wirkte. Zverev rang um Fassung, die Augen rot. Einen solchen Schreckmoment hatte er noch nie in seiner so erfolgreichen Karriere erlebt und schon gar nicht in einem solchen Rahmen. Mischa Zverev, sein älterer Bruder, sagte als Eurosport-Kommentator: "Wenn du so verletzt bist wie Sascha jetzt, wird dir ein Stück deines Lebens genommen."

Auch Nadal war erschüttert. "Ich war bei ihm kurz in dem kleinen Raum", sagte er beim Interview auf dem Platz mit dem früheren dreimaligen French-Open-Sieger Mats Wilander, "ihn weinen zu sehen, ist wirklich ein schwerer Moment." Sein ganzes Mitgefühl galt Zverev. "Er hat ein tolles Turnier gespielt", sagte Nadal und verwies zu Recht auf die völlig offene Partie der beiden, "wir haben mehr als drei Stunden gespielt, und der zweite Satz war nicht mal beendet." Weiter sagte er: "Ich weiß, wie sehr er um seinen ersten Grand-Slam-Sieg kämpft." Der letzte Deutsche, der bei den Männern einen Titel der im Tennis höchsten Kategorie errang, bleibt also vorerst weiterhin Boris Becker, der 1996 in Melbourne die Australian Open gewonnen hatte, damals zum zweiten Mal nach 1991.

Nadal hat erneut seinen Ruf als einer der größten Kämpfer untermauert

Nadal selbst wird sich nun wieder neu fokussieren müssen, denn er steht nun in seinem 30. Grand-Slam-Endspiel am Sonntag gegen Casper Ruud aus Norwegen, der den Kroaten Marin Cilic 3:6, 6:4, 6:2, 6:2 bezwang. Nur Novak Djokovic und Roger Federer standen in mehr Finals (je 31).

Was Nadal in dieser Saison bislang erreicht hat, kann man nur als große Überraschung bezeichnen, was bei einem, der 21 Grand-Slam-Siege errungen hat, verwegen klingt. Jedoch macht ihm mehr und mehr sein ohnehin chronisches Fußleiden, das Müller-Weiss-Syndrom, zu schaffen. Vergangenes Jahr fehlte er lange. So unrund, wie Nadal manchmal hier über die Anlage läuft, ist es erstaunlich, dass er im Januar in Melbourne wie aus dem Nichts nach monatelanger Pause triumphieren konnte. Nun steht er auch beim zweiten Major der Saison im Finale. Seinen Ruf, einer der größten Kämpfer des globalen Sports zu sein, hat er erneut eindrucksvoll untermauert.

Aber zu einem hohen Preis. "Ich würde es vorziehen, am Sonntag das Finale zu verlieren und einen neuen Fuß dafür zu bekommen", sagte Nadal später. "Ein Sieg ist schön, aber das Leben ist viel wichtiger als jeder Titel. Vor allem nach der Karriere, die ich hatte."

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