Fußballtaktik wurde ursprünglich erfunden, um Ordnung in das Chaos zu bringen. Thomas Tuchel und Pep Guardiola wollten wieder Chaos, das Chaos des Anderen. Das war die Taktik und der Grund, warum dieses 0:0 in den ersten 30 Minuten das beste Bundesliga-Spiel dieses Jahres wurde. Das Ergebnis dieser gewollten Anarchie war ein irres Tempo, das beide Mannschaften aber nicht länger als eine halbe Stunde durchhielten.
Man verwendet ja gerne Zahlenkombinationen, um das System einer Mannschaft auf einen Text zu übertragen. 4-4-2, 4-4-3, 4-1-4-1, solche Dinger. An diesem Samstagabend war das völlig sinnlos, irgendwann um das Jahr 2005 hat man vielleicht so statisch gespielt. Aber nicht Guardiola und Tuchel, bei denen man ja annehmen muss, dass sie zu Hause auch die Formation ihrer Topfpflanzen je nach Sonnenstand in die optimale Position rotieren.
Das System beider Mannschaften war fast gleich
Taktisch muss man dieses Spiel teilen. Einmal in die ersten 30 Minuten und einmal in den Rest. Die erste halbe Stunde war avantgardistisches Heavy Metal. Die restliche Zeit war ein solider Coldplay-Song.
Das System beider Mannschaften war am Anfang jeweils fast gleich. Und weil es sich je nach Spielsituation änderte, erklärt man es am besten an einer solchen: Zum Beispiel bekommt Philipp Lahm auf Rechtsaußen den Ball von David Alaba. Weil Alaba den Ball schon kontrolliert hatte, wird die Abwehr von Borussia Dortmund von einer Dreier- zu einer Fünfer-Kette. Die übrigen fünf "freien" Dortmunder Feldspieler rennen die Bayern an, Marco Reus und Marcel Schmelzer auf Philipp Lahm, der Rest läuft Anspielstationen zu.
Bayern und Dortmund verteidigen 40 Meter vor dem eigenen Tor
Lahm verliert den Ball wegen des Pressings in der gegnerischen Hälfte. Bayern zieht sich nicht zurück, sondern rückt weiter auf, läuft seinerseits Reus an (in dem Fall kommt Vidal Lahm zu Hilfe) und die Anspielstationen von Reus zu. Hätte Reus den Ball gesichert, etwa durch einen Pass nach hinten, wäre Bayerns Abwehr auch zu einer Fünferkette mit Alonso als zusätzlichem Abwehr-Spieler geworden und die restlichen Fünf hätten Dortmund unter Druck gesetzt.
Das führte zu einem Wahnsinns-Tempo in der ersten halben Stunde. Anlaufen. Ball gewinnen. Ball verlieren. Wieder anlaufen. Je nach Situation neu formieren. Immer mit dem Ziel, in dem Chaos aus Hin-und-Her die Lücke beim Gegner zu finden. Beide Abwehrreihen agierten im Schnitt 40 Meter vom eigenen Tor weg. Und beide Mannschaften mussten je nach Spielsituation entscheiden, ob sie nun mit der ganzen Mannschaft ins Pressing gehen oder nur mit den "Freien Fünf".