Sieg gegen Köln:Stuttgart verdrängt die Angst vorm Déjà-vu

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Gil Dias , Torschütze Borna Sosa und Genki Haraguchi (v. l.) spielen gegen Köln den Karnevalsschreck. (Foto: Julia Rahn/Baumann/Imago)

Der VfB nutzt den desolaten Auftritt der Kölner, um sich im Abstiegskampf Selbstvertrauen zu holen. Der 3:0-Sieg ist auch für Trainer Bruno Labbadia eine Befreiung.

Von Christoph Ruf, Stuttgart

Das Bild vom weinenden Clown ist in der Kunst aus gutem Grund verpönt: zu kitschig. Dennoch fühlte man sich nach dem klaren, eher zu niedrig ausgefallenen Stuttgarter 3:0-Sieg gegen den 1. FC Köln an ebenjenes Motiv aus dem Imperium der Billigdrucke erinnert. Hunderte Kölner Fans, von denen defensiv geschätzt 99 Prozent in Karnevalskostümierung ins Schwäbische gereist waren, guckten auf dem Heimweg mit tieftraurigem Blick aus quietschbunten Brillen heraus. Offenbar hatten auch sie von diesem Nachmittag etwas mehr erwartet als nichts. Zumal die Tabellenkonstellation zuvor exakt so war, wie sie Kölns Sport-Geschäftsführer Christian Keller nach dem Spiel beschrieb: "Das war tabellarisch ein wichtiges Spiel für uns. Wir hatten die Chance, uns noch weiter von den hinteren Plätzen abzusetzen und Fantasien Richtung Platz sieben entwickeln zu können."

Tatsächlich ereignete sich dann alles, was an diesem Nachmittag passierte, unter dem Eindruck, dass Köln als konkurrenzfähiger Gegner weitgehend ausfiel. Letztlich nicht zu beurteilen war deshalb beispielsweise auch die Leistung von Stuttgarts Torhüter Fabian Bredlow, der künftig Florian Müller ersetzen soll, was er nach eigener Aussage "am Donnerstag erfahren hat, weil mir ein Freund einen Text aus dem Kicker geschickt hat". Bredlow tat am Samstag, was zu tun war. Und das war nicht viel. Wenn überhaupt, versuchte es Köln mit hohen, weiten Bällen, die überall herunterkamen, selten allerdings im VfB-Strafraum. Die größte Bewährungsprobe hatte Bredlow nach über einer Stunde, als er einen Schuss von Jonas Hector über die Latte lenkte.

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Nun war es natürlich nicht so, dass das Stuttgarter 3:0 nichts mit Stuttgart zu tun gehabt hätte. Schon gegen Bremen (0:2) und vor allem beim 1:2 in Freiburg hatte der VfB zuletzt ordentlich gespielt, war aber unterlegen, weil wenige gegnerische Chancen zu Toren führten - eigene aber nicht. "Schön, dass wir gewonnen haben. Das ist das, was die Mannschaft gebraucht hat. Das war ein wichtiger Schritt - nicht mehr und nicht weniger. Wir müssen dranbleiben", sagte VfB-Trainer Bruno Labbadia nach dem Spiel. Die drei Punkte nehmen vor allem von ihm erst mal ein bisschen Druck - seine Verpflichtung sollte ja die Wende im Abstiegskampf bringen.

Nach einer druckvollen und überlegen geführten ersten Hälfte, in der Gil Dias Stuttgarts 1:0 schoss (9.), gab es nicht viel zu kritisieren, außer, dass danach zwei weitere gute Gelegenheiten ungenutzt blieben und die Zuschauer kollektiv ein Déjà-vu fürchteten. Der VfB hatte zuletzt ja eine gewisse Expertise darin, Führungen zu verspielen. Und auch an diesem rauschhaften Samstag, den Tanguy Coulibaly mit dem 3:0 abschloss (74.), war nicht zu übersehen, warum diese Mannschaft an den 20 Spieltagen zuvor so viele Chancen gebraucht hatte, um zu so wenigen Toren zu kommen.

Borna Sosa sagt, er trainiere keine Freistöße - und trifft per Freistoß

Die Art und Weise, wie Dias eine Nachschuss-Möglichkeit versemmelte (53.), dürfte Labbadia ebenso missfallen haben wie eine Aktion von Silas. Dem hatte man offenbar zuvor so oft gesagt, dass auch mal ein Stürmer treffen müsse, dass er es im genau falschen Moment probierte, anstatt nach rechts oder nach links zu passen, wo hoffnungsfrohe Kollegen bereitstanden (65.). Es war also kein Zufall, dass der Spieler, der qualitativ trotz längerer Verletzungspause mal wieder ziemlich deutlich herausstach, das wichtige 2:0 (59.) mit einem prächtigen direkten Freistoß schoss: Borna Sosa, der nach dem Spiel behauptete, er trainiere solche Freistöße nicht. Und wenn doch, dann "nach dem Training und nur aus Spaß. Im Fußball gibt es viele Situationen, in denen du improvisieren musst."

Im Übrigen sei das alles aber auch zweitrangig, sagte Sosa noch und schaute plötzlich sehr eindringlich in die Journalistenrunde: "Wir mussten dieses Spiel heute unbedingt gewinnen." Weil das gelang, wirkte auch Sosas Trainer, der zuvor nur zwei Remis aus fünf Spielen holen konnte, mindestens so erleichtert wie die Stuttgarter Fans. Die waren ganz unkarnevalesk in Fan-Arbeitskleidung zum Spiel gekommen, blickten aber unmittelbar nach dem Schlusspfiff reichlich euphorisch drein. Zumal zu diesem Zeitpunkt die zwei Abstiegskonkurrenten Bochum und Hoffenheim bereits verloren hatten.

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