Oberliga-Kicker Ratifo beim Afrika Cup:Aus Pforzheim in die weite Welt

Lesezeit: 3 min

Stanley Ratifo (rechts) ärgert in Abidjan mit Mosambik Ägyptens Nationalteam - erst spät erzielte Mo Salah das 2:2. (Foto: Sia Kambou/AFP)

In Halle geboren, beim 1. FC Köln gescheitert, nun Nationalspieler Mosambiks: Stanley Ratifos erstaunliche Geschichte erzählt von den Umwegen eines Fußballers, den jetzt auch der große Mo Salah kennen dürfte.

Von Paul Munzinger, Kapstadt

Es gab Zeiten, da war der 1. FC Pforzheim eine große Nummer im deutschen Fußball. Da wurde der Verein aus Nordbaden Meisterschaftszweiter und stellte in Arthur Hiller, genannt "Ille", den Kapitän der Nationalmannschaft. Doch das ist schon eine Weile her, was man unter anderem daran merkt, dass Hiller nicht irgendein Kapitän der Nationalmannschaft war, sondern im Jahr 1908 ihr allererster. Heute steht der Klub - inzwischen als 1. CfR Pforzheim - auf Rang sieben der Oberliga Baden-Württemberg, einen Punkt vor Nöttingen und dem ATSV Mutschelbach 1904.

Doch die große Fußballwelt ist nicht ganz verschwunden aus Pforzheim. Und das liegt an Stanley Ratifo.

Der Fünftligastürmer, 29 Jahre alt, ist der Grund, warum sich der 1. CfR Pforzheim gerade ein bisschen wie Eintracht Frankfurt oder Bayer Leverkusen fühlen darf. Wie die anderen deutschen Vereine also, die zurzeit auf einen Teil ihrer Belegschaft verzichten müssen, weil dieser für den Afrika Cup an die Elfenbeinküste geflogen ist. Beim 1. CfR Pforzheim besteht dieser Teil zwar nur aus einem Spieler. Aber das ist immerhin einer mehr als bei allen anderen deutsche Oberligisten zusammengenommen.

Newsletter abonnieren
:Morgen im Stadion

Der besondere Blick der SZ-Sportredaktion auf den Bundesligaspieltag, jeden Freitag als Newsletter. Kostenlos anmelden.

Ratifo ist in Deutschland geboren, spielt aber für Mosambik, das Land, aus dem sein Vater kommt. Fußballerisch geht es Mosambik ein wenig wie Pforzheim: Vor langer Zeit hat es einen der größten Spieler der Geschichte hervorgebracht, Eusébio, der allerdings für die Kolonialmacht Portugal auflief. In der Gegenwart belegt Mosambik Platz 111 der Fifa-Weltrangliste, die Qualifikation zum Afrika-Cup - die erste seit 2010 - war ein Riesenerfolg. Doch ihrer Außenseiterrolle werden die "Mambas" bislang nicht gerecht: Im ersten Gruppenspiel am Sonntag hätte Mosambik beinahe Ägypten besiegt. Mohammed Salah vom FC Liverpool - laut transfermarkt.de fast 1000 Mal so viel wert wie Ratifo - rettete dem Mitfavoriten durch einen Elfmeter in der 97. Minute ein 2:2. "Extrem bitter", findet Ratifo das.

Getroffen hat er gegen Ägypten nicht, aber er hat ja noch mindestens zwei Spiele Zeit. Und wenn nicht, war das Turnier trotzdem die Krönung seiner ungewöhnlichen Karriere, in deren Verlauf er sich ein auffallend entspanntes Verhältnis zum Fußball zugelegt hat. Bevor er zum Afrika-Cup geflogen ist, erzählt Ratifo am Telefon aus Abidjan, haben sie ihn in Pforzheim alle nach Mo Salah gefragt. Ob er sich auf ihn am meisten freue? Ob er mit ihm das Trikot tauschen wolle? Ach, hat Ratifo geantwortet, das interessiert mich alles nicht so. Ich bin ja gar kein Fußballfan. Ich bin hier, um den Moment zu genießen.

Ratifo kam 1994 in Halle an der Saale zur Welt - jetzt spielt er gegen Mo Salah

Ratifo kam 1994 in Halle an der Saale zur Welt. Sein Vater war Ende der Achtzigerjahre als Vertragsarbeiter in die DDR gekommen und nach der Wende geblieben. Die DDR-Anwerbungspolitik hat dazu geführt, dass Mosambik aktuell mehr in Ostdeutschland geborene Nationalspieler hat als Deutschland - nämlich drei: Neben Ratifo sind das Jonathan Muiomo, der in Leipzig geboren wurde und für Carl Zeiss Jena spielt. Und David Malembana aus Freital, den es zum FC Noah nach Armenien verschlagen hat. Beim Afrika Cup ist Muiomo nicht dabei, dafür Alfons Amade aus Heidelberg, ein weiteres Mitglied der "deutschen Kolonie" im Team.

Ratifo wuchs in Halles Südstadt auf, kein ganz leichtes Viertel in keiner ganz leichten Stadt für einen Jungen mit dunkler Haut, sagt er. Als Jugendlicher wurde er auf der Tribüne des Halleschen FC einmal mit dem Satz "Neger, wenn ich dich im Stadion sehe, dann verbrenne ich dich" begrüßt. Er habe am ganzen Körper gezittert, sagt Ratifo. "Ich war doch ein Junge von dort." Ein paar Jahre später gab er für den Halleschen FC sein Profidebüt. Als Fan, sagt er, hatte er das Gefühl, nicht gewollt zu sein. Als Spieler habe die Kurve ihn akzeptiert.

Über Pommern Greifswald und den VfB Auerbach kam Ratifo zur zweiten Mannschaft des 1. FC Köln, wo er beinahe den Sprung in die erste Mannschaft geschafft hätte, in die Bundesliga. Beim Abschlusstraining war er dabei, sein Trikot war schon beflockt, Nummer 40. Doch dann meldete sich einer der Etablierten wieder fit und Ratifo flog aus dem Kader. So nah kam er der Bundesliga nie wieder. "Ich war fertig", sagt er, "ich wollte nicht mehr Fußball spielen."

Also unterschrieb er seinen nächsten Vertrag nicht bei Kaiserslautern oder Fortuna Köln, sondern bei einem Plattenlabel in Pforzheim. Denn das ist seine zweite Karriere, seine Leidenschaft: Musik. Ratifo singt, Trap Soul heißt der Stil, bei Spotify hat sein erfolgreichstes Lied "PradaShades" 225 000 Klicks. Leben kann er davon nicht. Aber den Urlaub bezahlen, das schon. Und irgendwann, als es ihn doch wieder juckte in den Beinen, googelte er, welche Vereine es in Pforzheim gibt, und klingelte beim 1. CfR. Das war 2018.

Für Mosambik hatte er ein Jahr zuvor schon sein Debüt gegeben. Sein Management war auf den Verband zugegangen, es sei immer sein Traum gewesen, sagt Ratifo. Gleich im zweiten Länderspiel, im Juni 2017, schoss er in der Nachspielzeit den Siegtreffer gegen das Nachbarland Sambia, gegen das Mosambik zuvor Jahrzehnte nicht hatte gewinnen können. Seither ist er eine Berühmtheit im Land. Sollte er beim Afrika Cup treffen, als erster Oberligaspieler, dann wird er in Deutschland vielleicht auch eine.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungTabellenführer Leverkusen
:Bayer-Dusel statt Bayern-Dusel

Leverkusen gewinnt inzwischen Spiele, wie sie sonst nur der FC Bayern gewinnt. Aber reicht das, um am Saisonende beim Deutschen Marken- und Patentamt vorzusprechen?

Kommentar von Philipp Selldorf

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: