Mündige Sportler:Es bricht gerade ein Damm

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Dortmunds Jadon Sancho protestiert gegen Rassismus - und der DFB bleibt still. (Foto: REUTERS)

Die Athleten wollen selbst bestimmen, wie politisch ihr Sport ist. Die Verbände sollten ganz neue Spielregeln aufstellen.

Kommentar von Johannes Knuth

Sportverbände und ihre Sachwalter werden ja gerne mal als traditionsversessen charakterisiert, aber die vergangene Woche hat erst wieder gezeigt, welch gewaltige innovative Kräfte manchmal doch in dieser Branche stecken. Die Fußballprofis Achraf Hakimi, Jadon Sancho, Marcus Thuram und Weston McKennie hatten gerade für den Amerikaner George Floyd protestiert, der bei einem Polizeieinsatz getötet worden war. Nur: Der Deutsche Fußball-Bund untersagt persönliche und politische Mitteilungen auf dem Feld, egal in welcher Geschmacksrichtung. Und nun?

Ließ der DFB die Spieler gewähren - und hebelte dafür mal eben sein Regelwerk aus. Die Basketball-Bundesliga entschied sogar in vorauseilenden Botschaften ihrer Funktionäre, dass man Nachahmer beim Finalturnier um den Meistertitel nicht bestrafen werde. Man könne Spieler ja nicht sanktionieren, so der Tenor, wenn sie für Werte einstehen, die in den Verbandssatzungen festgezurrt sind. Und im Grunde seien ja gar keine Regeln verletzt worden, weil es sich nicht um politische Statements handele, sondern um freie Meinungsäußerungen. Ach ja?

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Viele Sportler setzen gerade politische Zeichen. Funktionäre sehen das nicht gerne - sie wollen kontrollieren, wer was wo zum Ausdruck bringen darf.

Kommentar von Johannes Knuth

Um zu begreifen, welcher Damm hier gerade bricht, muss man ein wenig zurückspulen. Die Politik sollte in den Sportarenen seit jeher Sendepause haben, es ist ein durchaus sinniges Anliegen - auch wenn der Sport dabei oft das unsinnige Argument heranzog, dass er politisch neutral oder gar apolitisch sei. Dass Athleten zu Aktivisten wurden, war jedenfalls nicht erwünscht. Sei es eine Hamburg-Flagge, die der Curler John Jahr 2014 im olympischen Dorf unerlaubterweise hisste, oder der Oromo-Gruß des Äthiopiers Feyisa Lilesa, der bei Olympia 2016 in Rio auf die Unterdrückung seines Stammes hinwies. Das Internationale Olympische Komitee verwarnte Lilesa - jenes IOC übrigens, das damals staatstragend ein Flüchtlingsteam ins Rennen geschickt und sich dafür hatte feiern lassen.

Eine offene Debatte auf Augenhöhe wäre die aufrichtige Lösung

Und jetzt: Streben immer mehr Athleten nicht nur nach Mitsprache, sie wollen auch selbst bestimmen, wie politisch ihr Sport sein soll. Der Footballer Colin Kaepernick ging gegen Rassismus und Polizeigewalt auf die Knie, die Geste wirkte tief in den Sport und in die Gesellschaft hinein. Die US-Turnerinnen prägten in ihrem Missbrauchsskandal die #MeToo-Bewegung. Der Fall von George Floyd rüttelte sogar die Fußballer aus der höchsten Verdienstklasse auf. Aber bei Letzterem handelte es sich, jenseits aller sportrechtlichen Fragen, um ein Anliegen, hinter dem sich sogar die Sportverbände versammeln. Was aber, wenn Athleten ihr gesellschaftspolitisches Selbstbewusstsein bald in diffusere Botschaften kleiden, wenn sie etwa für oder gegen ein unabhängiges Hongkong protestieren? Fällt das auch unter freie Meinungsäußerung?

So moralisch vertretbar die Freisprüche für die Fußballer zuletzt auch waren: Die Sportverbände, sagte der Kölner Sportrechtler Jan F. Orth jetzt der FAZ, hätten mit ihren rechtlichen Dehnübungen ihr eigenes Regelwerk entblößt, und damit auch ein altes Leitmotiv: Keine politischen Botschaften in der Arena, so wie es das IOC zuletzt erst wieder verfügte. Tatsächlich wäre es wohl lebensnäher, würde der Sport seine Spielregeln neu bestimmen: Politische Agitation könnte weiter unerwünscht sein, Grundwerte des freiheitlich-gesellschaftlichen Lebens dürften beworben werden. Das könnte politische Debatten wiederum beeinflussen, indirekt. Überwachen müsste das wohl eine Kontrollinstanz, es wäre ein immens komplizierter Auftrag: Viele politische Anliegen ("Free Hongkong!") erblühen ja erst auf dem Nährboden der Grundrechte, auf Gleichheit und Toleranz.

Aber eine derart komplizierte Debatte, offen und auf Augenhöhe, wäre noch immer die aufrichtigere Lösung. Auch das sind übrigens Merkmale jeder freiheitlich-demokratischen Ordnung.

© SZ vom 06.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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