Spanien im EM-Viertelfinale:Xavi, der Tänzer und Choreograph

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Wie ein Tänzer wirbelt Xavi Hernandéz über den Platz, seine Pässe bestimmen das Spiel der spanischen Nationalmannschaft. So ziemlich alles, was Spanien fabriziert, kreist um die wandelnde Billardbande aus Barcelona. Doch irgendwie scheint der Mittelfeldspieler bei dieser EM noch nicht ganz glücklich - sein Ziel bleibt trotzdem gleich.

Javier Cáceres

Durch die Augen eines Tänzers sieht die Welt anders aus. Selbst die Welt des Fußballs. Dann lösen sich Bewegungen schon mal in Begriffen aus dem klassischen Ballett auf, wird die Psychomotorik von Fußballern in eine Reihe gestellt mit den besten Tänzern der Geschichte.

Wie ein Tänzer: Xavi Hernandéz ist Choreograph und Meister der Pässe im spanischen Nationalteam. (Foto: Getty Images)

Zum Beispiel? Wenn die Rede von Xavi Hernández vom FC Barcelona ist, einem der weltbesten Mittelfeldspieler, am Samstagabend trifft er im Viertelfinale in Donezk mit Spanien auf Frankreich. Xavis berühmteste Bewegung ist das, was katalanische Sportjournalisten eine volteta màgica getauft haben, eine Art magische Pirouette, bei der er sich um 360 Grad dreht.

Cesc Gelabert, Tänzer und Choreogaph am Teatre Lliure von Barcelona, sieht in dieser Bewegung Elemente, die ihn an den Pas-de-Bourrée-Schritt erinnern - das Ballettglossar hält dafür den Terminus Verbindungsschritt mit Standbeinwechsel bereit. Doch Xavi ertrippelt nicht nur einen Kreis, sondern schützt dabei gleichzeitig den Ball und sucht nach Anspielstationen. Wobei Gelabert die Einordnung Xavis als Tänzer relativiert: "Er ist ein Tänzer mit choreographischer Perspektive", sagt er. Denn Xavi, 32, wisse immer, in welchem Bereich der Bühne er sich aufhalte. Und was um ihn herum geschieht.

Das Bild vom Choreographen trifft diesen Xavi ganz gut. Alles, was Spanien fabriziert, kreist um Xavi. Wie beim FC Barcelona ist er auch in der Nationalelf der Spieler mit den meisten Ballkontakten. Statistiker haben wenig überraschend ermittelt, dass kein Spieler in der EM-Vorrunde mehr Pässe geschlagen hat als Xavi Hernández aus dem katalanischen Tarragona. "Ich fühle mich als Sozius aller", sagt Xavi selbst.

Einzig gegen die zähen Kroaten blieb Xavi mit 81 Pässen unter einem dreistelligen Wert. Dafür war er beim Spiel gegen Irland derjenige mit der höchsten Passzahl, die je bei einer EM erhoben wurde: 136. In den drei Gruppenspielen gegen Italien (1:1), Irland (4:0) und Kroatien (1:0) schlug er eine Gesamtzahl von 324 Pässen, von denen 282 bei einem Mitspieler landeten: 87 Prozent.

Nur der Russe Igor Denisow (316/84 Prozent) kam auch auf mehr als 300 Pässe, Xavis Teamkollege Sergi Busquets kam mit (269/85 Prozent) auf den dritten Platz. Nur zwei Spieler der ersten 25 bringen eine höhere Quote an Pässen zum Kameraden als Xavi: die Spanier Sergio Ramos und Jordi Alba, die aber als Verteidiger weit weniger Risiko gehen als Xavi im Mittelfeld.

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Selten ging ein deutscher Bundestrainer so sehr mit wie Joachim Löw im Spiel gegen die Griechen. Er wuselte an der Seitenlinie herum, ärgerte sich, grübelte und jubelte - und als alles vorbei war, nahm er seine Spieler in den Arm.

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Überhaupt, die Spanier: Wie sehr der Pass ihr Spiel definiert, lässt sich am Ranking der Pässe ablesen. Unter den zehn Spielern, die die meisten Pässe geschlagen haben, fanden sich nach der Vorrunde sechs Spanier - und nur ein Deutscher: Bastian Schweinsteiger stand mit 219 Pässen auf Platz zehn.

Wie ein Tänzer: Xavi Hernandéz ist Choreograph und Meister der Pässe im spanischen Nationalteam. (Foto: AFP)

Aus heutiger Sicht mutet es fast unvorstellbar an, wie lange Xavi um Akzeptanz kämpfen musste. Seinen Durchbruch in der Nationalelf verdankt er Luis Aragonés, dem Vorgänger des aktuellen Nationaltrainers Vicente del Bosque; beim FC Barcelona beendete Frank Rijkaard endgültig das Missverständnis, Xavi als defensiven Mittelfeldspieler aufzubieten. Selbst danach war er noch oft ätzender Kritik ausgesetzt, wenn von sterilen Querpass-Exzessen die Rede war.

Er selbst interpretiert sein Spiel anders: als den Versuch, den Gegner durch eine hohe Passfrequenz zu zermürben und so durcheinander zu wirbeln, dass die eigenen Mitspieler in aussichtsreiche Situationen kommen. "Gegen Spanien zu spielen, ist wie Schatten zu verfolgen. Du bist nie rechtzeitig da", sagte der Ire Keith Andrews nach dem Erlebnis.

Trotz grandioser Statistiken scheint Xavi bei dieser EM noch nach dem richtigen Ort für sein Spiel zu suchen. Gegen Kroatien wirkte er fast eingepfercht, wie ein Leidtragender des Systems, das Del Bosque der Mannschaft verpasst hat. Denn anders als beim FC Barcelona hat Xavi mit Sergi Busquets und Xabi Alonso nicht einen, sondern zwei defensive Mittelfeldspieler im Rücken. Und diese drängen Xavi fast in die Sturmreihe.

Weiterer Unterschied: Anders als in Barcelona hat Xavi keine Flügelstürmer vor sich, mit denen er sich assoziieren kann, um Räume zu öffnen. Sondern eine Reihe von Mittelfeldspielern wie Silva und Iniesta, mitunter auch Cesc Fábregas, die ebenfalls von hoher Passfrequenz leben. "Ich fühle mich in dieser Mannschaft wohl", sagt Xavi dennoch. Sein EM-Ziel hat sich eh nicht geändert: Er wolle nicht nur als Teil einer Mannschaft in Erinnerung bleiben, die Siege erzielte. "Sondern einer Mannschaft, die eine Epoche in der Geschichte des Fußballs markiert hat."

© SZ vom 23.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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