Spaniens Rodri:Spiellenker mit dem Rücken eines Schwimmers

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"Unser Coach mag vielseitige Spieler": Rodri (r.) mit Trainer Luis Enrique. (Foto: Javier Soriano/AFP)

Wenn es nach Rodri geht, ist Deutschlands Gruppengegner Spanien "die beste Nationalmannschaft hier". Ein Treffen auf dem Trainingsgelände, mit Ball am Fuß.

Von Javier Cáceres, Doha

Als Rodri zum Gespräch auf dem Trainingsgelände der Spanier erscheint, kommt auch von irgendwo ein Ball daher. Das spanische Camp ist auf dem gigantischen, acht Quadratkilometer großen Areal der University of Qatar untergebracht, eine ganze Reihe von WM-Mannschaften sind dort beherbergt; es ist eine Stadt in der Stadt. Die Schweizer trainieren hier, die Niederländer, die Argentinier. "Wir haben einander noch nicht gesehen", versichert Rodri, als er einen Stuhl in den Schatten gestellt hat. Verabredungen zum Grillen oder einem Spaß-Kick habe es nicht gegeben. "Eigentlich könnten wir ein Wasserball-Turnier aufsetzen", scherzt er. Denn einen Pool, der das hergäbe, den gibt es hier auch. Doch der Fokus liegt auf anderen Dingen - auf dem Gewinn des Titels. "Meiner Meinung nach sind wir die beste Nationalmannschaft hier", sagt Rodri, "nicht auf die Einzelspieler bezogen. Aber für mich ist das Kollektiv immer stärker als die Individuen - und diese Gruppe ist stark."

Stärker als jeder andere bekam das Deutschland, der zweite Gruppengegner der Spanier, zu spüren. Beim vielleicht besten Länderspiel, das Rodri, mit vollem Namen Rodrigo Hernández Cascante, in seiner Karriere spielte: beim 6:0 von Sevilla, vor fast exakt zwei Jahren. Der 26 Jahre alte defensive Mittelfeldspieler erzielte seinerzeit das Tor zum zwischenzeitlichen 3:0. "Mein Gefühl sagt mir: Egal, welche Spieler sie haben, sind sie immer in der Lage, die Endphasen der Turniere zu erreichen. Sie müssen dafür nicht mal sonderlich gut spielen, weil sie diesen Wettbewerbscharakter haben. Und jetzt sind sie wieder auf einem großen Niveau. Man muss sich nur mal die Namen der Spieler anschauen, die sie hier dabeihaben."

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Darunter ist ein Mannschaftskamerad Rodris, der damals in Sevilla auf der anderen Seite stand: Ilkay Gündogan, der wie Rodri bei Manchester City angestellt ist und damals in der andalusischen Hauptstadt Schiffbruch als Teil der Doppelsechs im zentralen DFB-Mittelfeld erlitt. Das Spiel unterstrich damals einen Eindruck, der immer mal wiederkehrt: dass Gündogans Stärken bei City besser zur Geltung kommen als im DFB-Team. Vielleicht liege es daran, dass man bei einer Nationalmannschaft weniger Zeit hat, taktisch zu arbeiten, als in einer Klubmannschaft, sagt Rodri. Vielleicht liegt es aber auch an der Verwendung: "Bei uns bei City spielt er weiter vorgezogen, in einer völlig anderen Rolle denn als Doppelsechs bei Deutschland."

Und von dieser Rolle kann Rodri selbst einiges erzählen.

70 Millionen Euro Ablöse bezahlte Manchester City für Rodri

Der Madrilene ist ein defensiver Mittelfeldspieler, wie ihn die Spanier lieben, weil er das Spiel so vorzüglich lesen und lenken kann wie außer ihm wohl nur Kapitän Sergio Busquets, der vielleicht beste Sechser in der Geschichte Spaniens. Im Gegensatz zum letzten Weltmeister von 2010, der im aktuellen Kader der Spanier steht, ist Rodri aber vielseitiger verwendbar. Bei Manchester City, wo er seit 2019 spielt, hat Rodri auch ein halbes Dutzend Mal als Innenverteidiger gespielt. So es wie vor ihm schon der mittlerweile abgewanderte Fernandinho bei City tat oder früher noch, beim FC Barcelona, der Argentinier Javier Mascherano.

"Unser Coach mag vielseitige Spieler", sagt Rodri, wenn man ihn fragt, ob es eine Option sei, die im spanischen Lager gerade einstudiert wird. Zuletzt, gegen Portugal, spielte Rodri an der Seite von Aymeric Laporte, im Zentrum der Verteidigung. Laporte sagt über Rodri: "Er ist ein natürlicher Sechser, aber auch als Innenverteidiger hat er Qualität und Frechheit, wenn er den Ball am Fuß hat."

Am Ende seien die Unterschiede zwischen den beiden Positionen gar nicht so groß, wie man denken könne, argumentiert Rodri: "Wenn du eine Mannschaft angreifst, die tief steht, wirst du als Verteidiger die meisten Ballkontakte auf Höhe der Mittellinie haben - im Grunde in der Zone des defensiven Mittelfeldspielers", erklärt er. Der Unterschied ergebe sich im Spiel ohne Ball: "Du kannst nicht hingehen, wohin du willst. Du musst verstehen, wann du dich nach vorne einschalten kannst. Und am Ende geht es hinten auch um Durchsetzungskraft." Die hat Rodri mit einer Körpergröße von 1,90 Meter und dem Rücken eines Schwimmers zur Genüge.

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Das war auch einer der Gründe dafür, dass Pep Guardiola, der Trainer bei Manchester City, darauf drängte, Rodri 2019 bei dessen Jugendklub Atlético Madrid loszueisen - für eine festgeschriebene Ablösesumme von 70 Millionen Euro. In Guardiola und Spanien-Coach Luis Enrique erkennt Rodri Wesensverwandte: "Sie ähneln einander, zum Glück! Es sind zwei Trainer, die einen ähnlichen Stil verfolgen, Persönlichkeit haben, immer die Initiative übernehmen, hoch pressen wollen, sich nur in Nuancen des Pressings unterscheiden. Für einen Spieler wie mich ist das ein Glück", berichtet er. Und vor allem: Guardiola und Luis Enrique seien Siegertypen - was auch für den ganzen spanischen Kader gelte.

Es gibt nur drei Spieler, die nicht für Spanien in einem Jugendteam aufgelaufen sind

"Im Grunde haben wir alle Levels der Nationalmannschaften durchlaufen, und deswegen haben wir alle auch etwas gewonnen", sagt Rodri, der mit Spaniens U19 Europameister wurde - und mit der U21 im Finale gegen Deutschland unterlag. Die Biografien der aktuellen Kadermitglieder Spaniens liefern erstaunliche Zahlen: Zwölf Spieler weisen U19- oder U21-Titel auf. Unter den Spielern, die solche Erfolge nicht gefeiert haben, sind in Katar Spieler wie Nico Williams, Yeremi Pino oder Ansu Fati dabei, die gerade 20 Jahre alt sind. Pedri und Balde sind 19, Gavi ist erst 18. Sie alle wurden mithin so früh in die A-Mannschaft berufen, dass sie für Teenager-Titel nicht infrage kamen. Es gibt nur drei Spieler, die nicht für Spanien in einem Jugendteam aufgelaufen sind: Zwei Torhüter - und Laporte, weil der noch für Frankreich spielte. "Wir haben den Erfolg aufgesogen", sagt Rodri.

Vor allem seien die fußballerischen Konzepte in allen Jahrgangsstufen bei den Spaniern vergleichbar. "Wenn du die Konzepte erst einmal verstanden hast, geht vieles von allein, fast schon mechanisch, wenn du ins A-Team kommt", sagt Rodri.

Was das für die WM heißt, bei der Spanien - wie Deutschland - in der Gruppe E Gegnern aus drei unterschiedlichen Kontinenten und Fußball-Kulturen begegnen wird? Mal sehen, sagt Rodri, "im Grunde ist es unerheblich, gegen wen wir spielen. Wir nähern uns unseren Spielen auf die immer gleiche Weise: Proaktiv. Mit Initiative." Sagt's und zieht wieder von dannen, heraus aus dem Schatten in die sengende Sonne, so wie er gekommen ist: mit dem Ball am Fuß.

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