Sommermärchen 2006:"Agenda der schwarzen WM-Kasse"

Public Viewing

Public Viewing auf der Fanmeile in Berlin: War die WM 2006 am Ende doch bloß gekauft?

(Foto: Marcel Mettelsiefen/dpa)
  • Schon 2015 fanden die Ermittler ein Schreiben, in dem der Stimmkauf für die WM 2006 als Fakt dargestellt wird.
  • Die Notiz bleibt lange geheim, sorgt nun aber für Aufregung.
  • Der angebliche Verfasser, Karl Rothmund, streitet alles ab.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner

Als im November 2015 die Staatsanwaltschaft Frankfurt ihre Ermittlungen zur Affäre um die Fußball-WM 2006 begann, fand sie in den Räumlichkeiten des langjährigen DFB-Funktionärs Horst R. Schmidt etwas sehr interessantes. An gleich zwei Stellen trieb sie ein Dokument mit dem Titel "Agenda der schwarzen WM-Kasse" auf: einmal unter den gelöschten Elementen auf dem Laptop, einmal abgeheftet in einem Ordner. Lange Zeit blieb es unbekannt. Als sich vor einigen Wochen seine Existenz herausstellte (SZ vom 24. März), schuf es dann große Aufregung. Denn den Text beendet ein Satz, der im Widerspruch steht zu den damaligen öffentlichen Beteuerungen, die WM sei sauber nach Deutschland gekommen. Er lautet: "Sicher ist nur, dass damit 2 Jahre nach der Vergabe der WM Geld für das Abstimmungsverhalten geflossen ist."

Die Aufregung hält an, denn eine zentrale Frage ist, von wem die undatierte und nicht gezeichnete Notiz eigentlich stammt. Nach SZ-Recherchen ist klar, wen die Strafbehörde für den Verfasser hält: Karl Rothmund, 74, viele Jahre Spitzenfunktionär des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und als Chef des niedersächsischen Verbandes ein mächtiger Landesfürst - sowie ein enger Weggefährte des heutigen DFB-Bosses Reinhard Grindel. Das geht aus einem internen Vermerk hervor. Rothmund selbst bestreitet die Urheberschaft jedoch. Auf einen Fragenkatalog der SZ teilt er nur mit: "Die Ihren Fragestellungen zugrunde liegende Notiz ,Agenda der schwarzen WM-Kasse' habe ich nicht verfasst. Ich stelle ferner klar, dass die Diktion nicht ansatzweise meinem Schreibstil entspricht."

Ordentlich gelayoutet, die Überschrift extra gefettet und zentriert

Diese Antwort ist so ungewöhnlich wie die Notiz. Letztere stammt offenkundig vom 26. Oktober, also elf Tage nach Beginn der vom Spiegel ausgelösten Affäre. Seither wird ja ermittelt, warum 2002 zehn Millionen Franken nach Katar flossen und knapp drei Jahre später 6,7 Millionen Euro über den Weltverband Fifa an den Kreditgeber Robert Louis-Dreyfus gingen. Bis heute ist der Verwendungszweck ungeklärt. Die Behörden gehen inzwischen dem Verdacht nach, dass das Geld als Privatdarlehen an Franz Beckenbauer, ehemals Chef des WM-Organisationskomitees (OK), zu werten sei. Im Oktober 2015 aber lag noch sehr viel Nebel um das Thema - und alle drangen auf Aufklärung des Sachverhalts um die früheren OK-Spitzenleute wie Beckenbauer oder Schmidt.

Umso stärker fällt die Bestimmtheit auf, mit der in der Notiz von Stimmkauf die Rede ist. Wobei die Form keineswegs einer flott runtergeschriebenen Botschaft unter Bekannten entspricht, die sich in der chaotischen Anfangsphase der WM-Affäre austauschen wollen. Sondern sie ist gut durchdacht und konzipiert. Auch ist sie ordentlich gelayoutet, die Überschrift extra gefettet und zentriert.

Nach SZ-Informationen gibt es bei der Staatsanwaltschaft viele Anhaltspunkte, die zu Rothmund führen. Eine Assistentin des NFV soll die Notiz am 26. Oktober 2015 als Anhang einer Mail an Schmidt gesandt haben. Im Text habe sie darauf verwiesen, dass - mit herzlichen Grüßen von Rothmund - dessen Schreiben in der Anlage komme. Schmidt antwortete angeblich auch schnell: Mit einer direkten Anrede an den "lieben Karl" und einem Dank für dessen Einschätzungen. Er soll auch erwidert haben, dass die Schlussfolgerung, die WM sei sicher gekauft worden, nicht zwangsläufig richtig sei. Überdies soll er einen Ausdruck mit handschriftlichen Bemerkungen versehen und abgeheftet haben.

Diese Befunde sind bemerkenswert. Der Niedersachse Rothmund mag in der Öffentlichkeit wenig bekannt sein, im deutschen Fußball jedoch zählte er über viele Jahre zu den einflussreichsten Figuren. Von 2005 bis 2017 stand er an der Spitze des NFV, zwischendurch war er sechs Jahre lang Vize-Präsident des DFB; im Dezember wurde er DFB-Ehrenmitglied. Kritiker werfen ihm vor, seinen Landesverband nach Gutsherrenart geführt zu haben. Auch machtpolitisch spielte Rothmund eine wichtige Rolle. Er erwies sich als Förderer des heutigen DFB-Präsidenten Grindel. Im Kampf um die Nachfolge des zurückgetretenen Wolfgang Niersbach im Herbst 2015 war es nicht zuletzt eine öffentliche Äußerung Rothmunds, die Grindel den Weg ins Chefamt ebnete. Da preschte er mit dem Satz hervor, dass der ebenfalls gehandelte Rainer Koch nicht als Präsident zur Verfügung stehe, sondern Grindel unterstütze.

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