DFB-Affäre um WM 2006:Stimmenkauf? - "Sicher"

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Sepp Blatter und Franz Beckenbauer (re.): Immer neue Hinweise auf eine verkaufte WM 2006 (Foto: dpa)
  • Es gibt neue Indizien, dass die WM 2006 in Deutschland gekauft war.
  • Nach SZ-Recherchen wurde eine nun aufgetauchte Notiz in den Anfangstagen der Affäre im Herbst 2015 angefertigt. Strafermittler sollen es auf dem Laptop des früheren WM- und DFB-Chefstrategen Horst R. Schmidt sichergestellt haben. Wer der Verfasser war, ist unklar; ebenso, wer es noch kannte.
  • Im vergangenen November wurde nach SZ-Informationen jedoch mindestens ein Beschuldigter in dem Strafverfahren, das die Frankfurter Staatsanwaltschaft in der WM-Affäre führt, mit Inhalten der Notiz konfrontiert.

Von Johannes Aumüller und Thomas Kistner, München

Eine knappe DIN-A4-Seite ist sie lang: die Notiz, die nun wieder Erschütterungen in der Sommermärchen-Affäre auslöst, der ewigen Geschichte um die Fußball-WM 2006 in Deutschland. Schon die Überschrift des Dokuments, extra gefettet, zentriert und unterstrichen, lautet unmissverständlich: "Agenda der schwarzen WM-Kasse". Und ganz am Ende steht dann der entscheidende Satz: "Sicher ist nur", schreibt der Verfasser, "dass damit 2 Jahre nach der Vergabe der WM Geld für das Abstimmungsverhalten geflossen ist."

"Damit"? Gemeint sind jene inzwischen berühmten 6,7 Millionen Euro, die der einstige Adidas-Eigner Robert Louis-Dreyfus im Jahr 2002 den Deutschen vorgestreckt hatte und die 2005 vom WM-Organisationskomitee (OK) via Weltverband Fifa an Louis-Dreyfus zurück flossen. Wofür war das Geld? Für gekaufte Stimmen bei der Vergabe der WM 2006 - zumindest für den Verfasser der brisanten Notiz schien das eine Gewissheit zu sein.

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Dabei gibt es in der Affäre keinen Satz, den die deutschen WM-Macher entschlossener vortrugen als diesen: Stimmen wurden nie gekauft! Auch die aktuellen Bosse des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) um Präsident Reinhard Grindel haben, trotz anrüchigster Fakten, stets erklärt, es gebe keine Beweise für einen Stimmenkauf.

Nun erschüttert die Notiz diese Haltung zusätzlich. Nach SZ-Recherchen wurde das Dokument in den Anfangstagen der Affäre im Herbst 2015 angefertigt. Strafermittler sollen es auf dem Laptop des früheren WM- und DFB-Chefstrategen Horst R. Schmidt sichergestellt haben. Wer der Verfasser war, ist unklar; ebenso, wer es noch kannte. Im vergangenen November wurde nach SZ-Informationen jedoch mindestens ein Beschuldigter in dem Strafverfahren, das die Frankfurter Staatsanwaltschaft in der WM-Affäre führt, mit Inhalten der Notiz konfrontiert.

In jedem Fall hat das Dokument eine neue Qualität: eine interne Notiz, augenscheinlich von einer damals beteiligten Person, die über Stimmkäufe keineswegs nur spekuliert - sondern die mit fast beiläufiger Gewissheit festhält, dass "sicher" WM-Voten gekauft worden seien. Schmiergeldempfänger wären dann logischerweise Funktionäre des Weltverbandes Fifa gewesen; allein dessen 24-köpfiger Vorstand hatte ja damals, im Jahr 2000, über den WM-Gastgeber abgestimmt.

Um den Vermerk einordnen zu können, hilft ein Blick zurück in jenen Herbst 2015

Auf eine Anfrage bei Horst R. Schmidt zu der gefundenen Notiz teilten dessen Anwälte mit: "Herr Schmidt ist nicht Verfasser der von Ihnen benannten Notiz. Weitere Erklärungen hierzu gegenüber der Presse wird weder Herr Schmidt noch seine Verteidigung abgeben." Die Frankfurter Staatsanwaltschaft, die im WM-Kontext wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung ermittelt, erklärt auf konkrete Fragen zur Notiz: "Hierzu können aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angaben gemacht werden." Allerdings sind die Hessen wegen ihrer Konzentration aufs Steuerthema gar nicht erste Ermittlungsadresse für etwaigen Stimmkauf. Zuständig hierfür ist vor allem die Schweizer Bundesanwaltschaft (BA), die sich generell mit verschobenen WM-Vergaben befasst - auch mit dem 2006-Verdacht. Auch die BA gibt sich auf Anfrage bedeckt: Sie stehe "im rechtshilfeweisen Kontakt mit den zuständigen deutschen Behörden, was den Gesamtkomplex Sommermärchen betrifft".

Um den Vermerk einordnen zu können, hilft ein Blick zurück in jenen Herbst 2015, als er offenkundig entstand. Mitte Oktober hatte der Spiegel mit einer Titelgeschichte die Sommermärchen-Affäre ausgelöst. Es ging um besagte zehn Millionen Franken, umgerechnet 6,7 Millionen Euro, die Louis-Dreyfus im Jahr 2002 vorgestreckt hatte - und für die er einen Schuldschein von Beckenbauer erhalten hatte. Im April 2005 floss das Darlehen zurück. Aber nicht von Beckenbauer. Das deutsche WM-OK überwies die 6,7 Millionen an die Fifa, als Beitrag zur damals geplanten, später aber stornierten WM-Eröffnungsgala. Die Fifa wiederum reichte den Betrag noch am selben Tag an Louis-Dreyfus weiter. Naheliegende These schon damals, und vom Spiegel auch entsprechend intoniert: ein diskretes Millionen-Karussell für den Kauf von WM-Stimmen.

Kurz darauf legten die deutschen Verantwortlichen folgende Erklärung vor: Fifa-Vertreter hätten 2002 angeboten, den Organisationszuschuss für die WM auf 250 Millionen Franken festzulegen. Zunächst sollten die Deutschen aber zehn Millionen Franken zahlen. Was schon damals absurd klang, ist heute widerlegt.

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Allerdings war, das ist auch wichtig für die Einordnung der Notiz, in den Herbsttagen 2015 vieles noch nicht bekannt, was Strafermittler, Medien oder die vom DFB beauftragte Kanzlei Freshfields später herausfanden. Etwa, dass bei den Schiebereien im Jahr 2002, an deren Ende zehn Millionen Franken bei dem sinistren Fifa-Funktionär Mohammed bin Hammam in Katar gelandet waren, ein auf Franz Beckenbauer lautendes Konto eine zentrale Rolle spielte. Es war auch noch nicht jenes Dokument von Louis-Dreyfus' Bank bekannt, in dem es hieß, dass hinter dem Darlehen des Franzosen an Beckenbauer der Zweck stecke, Fernsehrechte aus dem Nachlass der im Frühjahr 2002 insolvent gegangen Kirch-Gruppe zu erwerben.

Bekannt war 2015 auch nur einem engen Kreis, dass Beckenbauer und dessen langjähriger Geheimrat Fedor Radmann nach jener mysteriösen Transaktion just aus Katar, aber auch von Louis-Dreyfus, wiederum Geld erhielten, insgesamt 7,1 Millionen Franken. Radmann begründete dies gegenüber den Berner BA-Ermittlern mit seiner Beratungstätigkeit für die TV-Rechte-Firma Infront. Also für jene Agentur, die von Louis-Dreyfus und weiteren Privatinvestoren gegründet wurde, unterstützt durch die Fifa und ihren Patron Sepp Blatter - und die am Ende von Kirchs Pleite profitierte. Infront ergatterte das Filetstück aus den Kirch-Trümmern: die TV-Rechte an den WM-Turnieren 2002/06.

Das sind jedenfalls viele Gründe, warum die Staatsanwaltschaft Frankfurt nach SZ-Informationen das Darlehen von Louis-Dreyfus an Beckenbauer inzwischen als Privatdarlehen einstuft - und den Hintergrund dieser Zahlung offenkundig im Rechte-Handel sucht. Beckenbauer und Radmann äußerten sich auf frühere Anfragen nicht zu diesen Themen.

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Und damit zurück zu der Notiz vom Herbst 2015: Wie passt sie zu den späteren Erkenntnissen um die 6,7-Millionen-Zahlung? Der Tenor der Niederschrift spricht dafür, dass der Verfasser auf intern schon bekannte Korruptionszwecke des Geldes verweist: "Sicher" sei, dass Voten gekauft wurden. Eine so brisante Behauptung lässt sich eigentlich nur dann wie selbstverständlich aufstellen, wenn sie unter den Eingeweihten schon als unbestritten gilt. Stand für den Verfasser also schon damals fest, dass Stimmen gekauft worden waren? Oder: Hat der Verfasser versucht, die wahren Spuren des 6,7-Millionen-Darlehens an Beckenbauer zu verschleiern?

Hätten die WM-Macher im April 2005 tatsächlich, wie die Behörden vermuten, Millionen in die Hand genommen, um einen früheren Privat-Deal Beckenbauers zu finanzieren, dürften sie das kaum wissentlich getan haben. Und auch der Öffentlichkeit wäre diese Geschichte wohl noch schwerer zu vermitteln als die fast schon übliche Fifa-Korruption: dass der Fußballkaiser, der jahrelang angeblich ehrenamtlich als OK-Chef tätig war, in Wahrheit einen diskreten Mega-Deal gemacht haben soll - und diesen durch ahnungslose OK-Kollegen finanzieren ließ. Denen dafür heute massive Konsequenzen drohen: Ermittelt wird gegen die früheren DFB-Chefs Theo Zwanziger und Wolfgang Niersbach sowie Horst R. Schmidt wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung.

Die Beteiligten geben kaum Antworten

Die Frage wird noch zu klären sein. Gesichert ist indes nach Aktenlage: Der Stimmkauf-Verdacht wäre keineswegs vom Tisch, sollte die 6,7-Millionen-Zahlung tatsächlich im Kontext eines Rechtegeschäftes gestanden haben. Dafür gibt es zu viele Fragwürdigkeiten. Während Schmidt und damalige Mitstreiter beteuern, die WM sei sauber ins Land gelangt, hatte bereits die Kanzlei Freshfields im Verbandsarchiv einen Vertrag mit Jack Warner gefunden, der sich wie die Schreibvorlage eines Korruptionsprojektes liest. Darin wurden dem größten Skandalfunktionärs der Fifa Leistungen im Gesamtwert von zehn Millionen D-Mark zugesichert. Und dies ist nur eine von vielen Ungereimtheiten.

Auf Anfragen zur nun aufgetauchten Notiz geben die Beteiligten von damals kaum Antworten. Niersbach wollte sich gar nicht äußern, ebenso wenig Radmann. Und Theo Zwanziger, der schon im Herbst 2015 von schwarzen Kassen sprach, teilte mit: "Dieser Vermerk kann nicht von mir sein, weil dies die Phase der aus meiner Sicht sehr chaotischen Aufklärung Ende Oktober betrifft. In dieser Zeit gab es zu mir überhaupt keinen Kontakt, was ich immer kritisiert habe." Der wichtige letzte Satz, sagt Zwanziger, könne "in dieser Deutlichkeit eigentlich nur von einem Insider stammen. Wer das genau sein könnte, entzieht sich meiner Kenntnis."

Und der DFB? Der reagiert merkwürdig. Am Donnerstagmittag fragte die SZ, ob und seit wann die Notiz der DFB-Spitze bekannt sei - und wie man damit verfahren werde. Die Pressestelle erwiderte nur beschwingt, man wolle sich nicht beteiligen an den "unterschiedlichen Theorien". Erst Freitagnachmittag gab es eine längere Stellungnahme. Nun hieß es, die neue Führung habe keine Kenntnis von dem Dokument gehabt. Nach Darlegung des DFB-Rechtsvertreters sei das "dubiose Dokument" ohne Datum, Urheber oder Absender versehen - und "ohne Relevanz, weil es keinerlei Tatsachenfeststellungen enthält". Deshalb habe der DFB-Anwalt auch keine Veranlassung gesehen, die DFB-Führung zu informieren. "Vor dem fragwürdigen Hintergrund des zweifelhaften Schriftstückes und mit Blick auf laufende Verfahren wird sich der DFB dazu aktuell nicht einlassen, sondern die weitere Arbeit der Ermittlungsbehörden abwarten."

© SZ vom 24.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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