Skispringer Stefan Kraft:Seine Welt war schon immer die Luft

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Perfekte Balance: Bei Stefan Kraft sieht auch das Skifliegen wie zuletzt in Planica entspannt aus. (Foto: Jure Makovec/AFP)

13 Einzelsiege, eine Gaudi an jedem Sprungtag, die Ahnenreihe abgehängt und Verantwortung übernommen: Der Österreicher Stefan Kraft ist zum überragenden Skispringer gereift - mit der Kraft der Entspannung.

Von Volker Kreisl

Die wahren Probleme des Lebens kommen nachts im Schlaf daher. Im Wachzustand erobern die Menschen die Welt, streben nach Rekorden, Siegen und Überlegenheit. Auch Skispringer tun dies, sie hüpfen, fliegen und siegen, und träumen oft wild vom Erlebten.

Stefan Kraft erzählte jedenfalls einmal der Kleinen Zeitung aus Österreich, dass er nachts seinen Zimmernachbarn oft um den Schlaf brachte, und er gestand offen: "Ich bin ein Zähneknirscher." Und weil Kraft alles gründlich anging, bekam Zimmernachbar und Skisprungkollege Michael Hayböck, der im Bett auf der anderen Seite des Raumes zu schlafen versuchte, irgendwann ein Problem.

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Kommentar von Johannes Knuth

Das war noch in den Anfängen seiner Karriere, der geduldige Nachbar Hayböck arrangierte sich, Kraft gelang es, sich zu entspannen und nahm tagsüber Fahrt auf in seiner Karriere. Heute ist er der überragende Sportler der Schanzen. Er hat eine ideale Statur für diesen Sport. Er ist dünn, windschlüpfrig und zugleich kräftig, zudem verfügt er über eine Sprungtechnik, die ihn von der Schanzenkante hoch und weit hinauswirft. Und schließlich konnte er schon immer auf Skiern weit segeln und elegant landen.

Mit 18 Jahren gewann Kraft die Silbermedaille bei der Junioren-WM

Nun ist er 30 Jahre alt, der Skispringer aus Schwarzach im Pongau hat seine zwölfte Weltcupsaison hinter sich und ist wohl selbst von diesem Winter verblüfft. Von den 18 möglichen Einzelsiegen gingen 13 an ihn, was bislang noch niemand geschafft hat. Insgesamt stand er während seiner Karriere nun 118 Mal auf dem Podest, womit er die Ahnenreihe dieses Sports auch längst abgehängt hat: Janne Ahonen, Adam Malysz, Gregor Schlierenzauer und die anderen. Dieser Sport hat viele Kategorien, um Überlegenheit zu beziffern, zugleich nimmt man Stefan Kraft es ab, dass er sich um Zahlen nicht so sehr kümmert. Seine Welt war schon immer die Luft.

Stefan Kraft hängte mit 24 die gesamte Elite ab, mit seinem Flug auf 253,5 Meter in Vikersund. (Foto: Borut Zivulovic/Reuters)

Mit zehn Jahren begann Kraft mit dem Sport, also mit ersten Trockenübungen, mit Techniktraining und dann den ersten Sprüngen; solange, bis die ersten Flüge gelingen und der Schüler oder die Schülerin vom Fliegen infiziert ist. Mit 18 Jahren gewann Kraft die Silbermedaille bei den Junioren-Weltmeisterschaften. Als Zwanzigjähriger gelang ihm bereits ein Bestweite auf einer Großschanze, als 24-Jähriger hängte er dann die gesamte Elite ab, mit seinem Flug auf 253,5 Meter in Vikersund - ein Weite, die bis heute kein Springer gestanden hat.

Vermutlich war es in dieser Zeit, als Kraft zu knirschen begann und Hayböck weckte, und eine Lösung hermusste. Diese brachte schließlich eine Zahnschiene. Überhaupt, in solch einem kleinen Hotelzimmer kann man viel lernen. Man fasst Vertrauen, redet nachts, der eine ist der Mentaltrainer des anderen. Hayböck und Kraft waren zwar unterschiedliche Typen, aber beide auch große Talente auf der Schanze, jedoch nur Hayböck hatte auch abends ein Talent zum Zimmeraufräumen.

Immer mehr übernahm er die Verantwortung - nicht nur fürs Team, sondern auch für den Teamgeist

Das kann eine Zweierseilschaft schon auseinanderreißen. Andererseits, der Alltag schweißt ja zusammen und die beiden waren die meiste Zeit im Training, beim Springen, im Wettkampf, im Bus oder Flugzeug. Es ging nun durch die Welt, etwa zu den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang in Südkorea, wo das Team von der deutschen Auswahl besiegt wurde. Bald war Stefan Kraft der Anführer von Team Austria, nicht nur, weil er der beste Skispringer war, sondern auch weil er eine überzeugende Art hatte.

Immer mehr übernahm Kraft die Verantwortung nicht nur fürs Team sondern auch für den Teamgeist. "Irgendwann ärgert man sich über die Dinge, die man nicht ausspricht", sagte er einmal vor Jahren kurz vor der Tournee. Also forderte Kraft, die "Dinge, die einem nicht passen, anzusprechen". Es dauerte natürlich ein bisschen, dann aber entwickelte sich der österreichische Teamgeist, wie Kraft beschrieb: "Jeder hat a Gaudi, jeder freut sich, wenn wir wegfahren, jeder fragt sich: Wann ist wieder Donnerstag?" Das ist der erste Sprungtag des nächsten Weltcups.

Womöglich hatte Krafts erste Erfahrung als Teamleader durch die Berge mit den Schanzen auch mit dem Minikosmos im gemeinsamen Zimmer zu tun. Denn natürlich floss nicht alles harmonisch zusammen. Als Hayböck zugegeben hatte, dass ihn herumliegende Klamotten stören, verteidigte sich Kraft: "Ich bin halt ein bisschen spontaner, intuitiver". Doch mit den Jahren ließ auch er sich auf die Methode Hayböck ein und erkannte schließlich: "Die Geduld, die Ruhe, und die Ordentlichkeit sind alles Stärken, da hab' ich viel von ihm gelernt."

Auch damit ist er also weiter und weiter geklettert und in dieser Saison angekommen, mit den Erfolgen, etwa mit dem nächsten WM-Sieg auf der Skiflugschanze in Bad Mitterndorf, knapp vor dem Ruhpoldinger Andreas Wellinger. Und Kraft hat ja noch ein paar weitere Herausforderungen. Die Vierschanzentournee zum Beispiel, die er erst einmal im Jahr 2015 gewann. Oder weitere Siege bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen.

Die Marotte, die Kollege Hayböck immer in der Nacht nervte, hat er indes schon besiegt. Seine Spannungen verarbeitet er ja nun per Zahnschiene. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es längst auch auf den Schanzen und überhaupt nicht mehr quietscht und knirscht.

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