Schwimm-WM: 800 Meter Freistil:Das Wunderkind von der goldenen Küste

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Ein ganzes Land hatte darauf gewartet: Chinas neuer 800-Meter-Weltmeister Sun Yang gilt seit Jahren als schwimmendes Versprechen für große Erfolge. Den ersten bedeutenden Titel gewinnt der junge Riese ausgerechnet bei der Heim-WM in Shanghai. Dabei trainiert er in Australien - das ist Teil einer Strategie.

Claudio Catuogno, Shanghai

"Sun Yang", sagt der aufgeregte chinesische Reporter, "du weißt, wir haben alle Gold von dir erwartet. Und jetzt meine Frage: Wusstest du, dass deine Eltern heute hier in der Halle waren?" Sun Yang, 19, Chinas erster Schwimm-Weltmeister bei diesen Titelkämpfen in Shanghai, lächelt freundlich. "Ja", antwortet er, "ich wusste, dass meine Eltern heute hier waren."

Er ist erst 19 Jahre alt, doch die Erwartungen waren riesig: Sun Yang gewann in Shanghai sein erstes WM-Gold. (Foto: dpa)

Seine Eltern sind immer dabei, wenn Sun Yang einen Wettkampf schwimmt. Sie haben für den kommenden Sommer schon einen Flug nach London gebucht, zu den Olympischen Spielen. Und natürlich haben auch sie von ihrem Sohn Gold erwartet in diesem WM-Finale am Mittwochabend über 800 Meter Freistil. Wie die chinesischen Reporter. Wie die Zuschauer. Wie ganz China. Genau genommen sind sie sogar alle ein bisschen verärgert, dass es so lange gedauert hat.

Spurt nach 750 Metern

Sun Yang ist ein 1,98-Meter-Junge aus Hangzhou in der Provinz Zehjiang, den die internationale Schwimm-Elite bisher nur von Fotos kannte. Wenn Paul Biedermann aus Halle (Saale) oder der Europameister Yannick Agnel aus Frankreich vor der WM über Sun Yang sprachen, war er für sie nur "der Chinese". Sie sprachen häufig vom Chinesen. Bei der Qualifikation für seine Heim-WM, im Frühjahr in Wuhan, hatte Sun Yang Weltjahresbestzeiten über 200, 400, 800 und 1500 Meter Freistil aufgestellt. Man kann sagen, dass einige ziemlich neugierig waren auf den Chinesen. Und dass sich in diese Neugier auch Misstrauen mischte.

Es kommt im Schwimmen immer wieder vor, dass chinesische Talente aus dem Nichts in der Weltspitze auftauchen - und dann wieder im Nichts verschwinden. Zhang Lin gewann vor zwei Jahren den WM-Titel über 800 Meter in Rom, als erster chinesische Schwimm-Weltmeister überhaupt bei den Männern. Jetzt ist er nicht mehr in Form, ausgelaugt, vielleicht übertrainiert. Genauer wollen es die chinesischen Reporter nicht wissen von Yao Zhengjie, dem Cheftrainer.

Sun Yang wird man wohl noch eine Weile bestaunen dürfen. Und die Gelegenheit, sich dieses neue Gesicht des Schwimmsports schon mal genauer anzusehen, hätte es durchaus gegeben für Biedermann und Co. Schon 2008 war Sun Yang in Peking im Olympiafinale über 1500 Meter dabei. 2009 gewann er WM-Bronze über 800 Meter. Aber da hat man ihn noch übersehen.

Und nun stand er da also, groß, sehr groß, aber man sah vor allem: einen großen Stilisten. Die Kraultechnik, mit der er sich auch nach 750 von 800 Metern noch durchs Wasser zieht bis zu einer Ausnahme-Zeit von 7:38,57 Minuten, hebt ihn ab von den meisten Rivalen. Dafür braucht es wohl vor allem Talent und viel Training. Aber auch Kraft. Und Ausdauer.

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Beides hat sich Sun Yang nicht nur in China geholt, sondern auch in Australien. Im Trainingscamp von Denis Cotterell, der bereits Australiens Ausnahme-Langstreckler Grant Hackett vorbereitete. In Drei-Monats-Zyklen schwimmt nun auch Sun Yang bei Cotterell an der Gold Coast. Er hat seinen eigenen Koch dabei - und trainiert, trainiert, trainiert.

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So wissen es chinesische Medien zu berichten. Etwas anderes bleibt ihm auch nicht übrig. Cotterell gilt als einer der größten Schleifer weltweit. Am Sonntag, im Finale über 400 Meter, hatte sich Sun Yang noch mit Silber zufriedengeben müssen hinter dem Südkoreaner Park Tae Hwan und vor Biedermann. Er entschuldigte sich höflich für dieses Versagen. Nun, mit seinem ersten WM-Gold um den Hals, sprach er vor allem über die Arbeit, die vor ihm liegt.

Sun Yangs Erfolg ist auch die Folge einer kontrollierten Öffnung des chinesischen Schwimmsports für ausländisches Knowhow. Einer Öffnung, die aber Grenzen hat, sobald man nach relevanteren Dingen fragt als Eltern in der Halle. Für das erste Quartal 2011 listet der Weltverband Fina 199 Trainingskontrollen bei europäischen Schwimmern auf. In China waren es drei.

Man muss sich schon auf die grenzenlose Ehrlichkeit dieses Staatssports verlassen - um die es allerdings gerade im Schwimmen nie gut bestellt war. Seit Ende der 1990er Jahre sind mehr als 40 chinesische Schwimmer positiv getestet worden. Vor allem bei Provinzwettkämpfen, wo es offenbar immer noch um hohe Erfolgsprämien für Trainer geht. Aber auch bei großen Wettkämpfen: Der Dopingskandal, für den sieben chinesische Schwimmer bei der WM 1998 in Perth sorgten, wirkt bis heute nach.

So müssen nun auch die zwei chinesischen Weltmeisterinnen dieser WM - Jing Zhao über 100 Meter Rücken und die erst 15-jährige Shiwen Ye über 200 Meter Lagen - damit leben, dass man sie kritisch beäugt. Einfach, weil die Welt auch über sie so wenig weiß.

© SZ vom 28.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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