Wer bei einer Schwimm-Weltmeisterschaft Silber gewinnt, zumal wenn sie oder er aus Deutschland kommt, einer mit Podestplätzen in diesem Sport eher weniger gesegneten Nation, darf sich eigentlich freuen. Doch Isabel Gose freute sich ganz und gar nicht nach ihrem 800-Meter-Freistil-Rennen in Doha, sie vergoss vielmehr bittere Tränen. "Ich bin so sauer, es war so knapp", sagte die erst 21-Jährige: "Ich kriege so eine Chance nie wieder, es ist einfach traurig." Danach stockte sie, von Weinkrämpfen geschüttelt.
Die Europameisterin, die in Magdeburg in der Trainingsgruppe um Olympiasieger Florian Wellbrock schwimmt, hatte sich am Samstagabend ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der Olympiadritten Simona Quadarella aus Italien geliefert. Sie zogen quasi die gesamten 800 Meter über direkt nebeneinander ihre Bahnen, mal hatte die eine die Nasenspitze vorn, mal die andere.
Es war ein enorm spannender Zweikampf, an der letzten Wende war Gose noch mit acht Hundertstel Sekunden Vorsprung auf die abschließenden 50 Meter eingebogen. Doch am Ende war Quadarella einen Wimpernschlag vorn, sie erreichte in 8:17,44 Minuten das Ziel, Gose nach 8:17,53 Minuten mit neuer persönlicher Bestzeit. Die Neuseeländerin Erika Fairweather hatte fast fünf Sekunden Rückstand auf das Duo.
Warum aber ärgerte sich Gose so über ihren zweiten Platz bei einer Weltmeisterschaft? Es war doch ihr bestes Karriereergebnis, das über den beiden Bronzemedaillen steht, die sie in Doha vor wenigen Tagen über 400 und 1500 Meter Freistil gewonnen hatte - und die ihr wie nun die Silbermedaille die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris auf den drei Strecken brachte.
Laut DSV waren die 800 Meter von Doha das knappste WM-Rennen seit 30 Jahren
Doch Gose war eben zugleich bewusst, dass es eine Weltmeisterschaft in dieser Form wohl nicht mehr so schnell geben wird: eine wegen der Corona-Pandemie verschobenes, nun in den Wettkampfkalender gepresstes Championat, bei dem viele der weltbesten Athletinnen und Athleten fehlen, weil die Titelkämpfe nicht in ihre Olympiavorbereitung und Trainingsmethodik passen. Auch die US-amerikanische Titelverteidigerin, die 1500-Meter-Überfigur Katie Ledecky, die - dazu braucht es wenig Fantasie - wohl auch dieses WM-Rennen gewonnen hätte, blieb lieber in ihrer Heimat. Gose hatte also in einem immer noch starken Feld die Chance, ihr erstes WM-Gold zu gewinnen. Wenn man dann einen Wimpernschlag daran vorbeischwimmt, lassen sich die Tränen gut erklären.
Der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) hatte kurz nach dem Finale noch schnell ausgerechnet, dass die 800 Meter von Doha das knappste WM-Rennen seit 30 Jahren waren. Damals, bei den Weltmeisterschaften in Rom, trennten ebenfalls nur neun Hundertstel die Titelträgerin Janet Evans aus den USA und die zweitplatzierte Australierin Hayley Lewis.
Der kleine Einblick in die Geschichtsbücher ist für Gose allerdings nur ein schwacher Trost. Aber die junge Frau, die sich seit ein, zwei Jahren mit viel Durchhaltewillen auf der Mittel- und Langstrecke in die Weltspitze aufgemacht hat, ließ sich später bei der Siegerehrung bereits wieder ein kleines Lächeln entlocken. Und mit ein wenig Abstand dürfte sie auch zufrieden sein mit ihrer Leistung. Immerhin ist Gose mit drei Podestplätzen in Doha die fleißigste Medaillensammlerin im deutschen Team bei dieser WM. Nur Lukas Märtens mit Bronze und die 100-Meter-Schmetterling-Weltmeisterin Angelina Köhler, die das erste deutsche Frauen-Gold im Becken seit Britta Steffen vor 15 Jahren eroberte, standen bis Sonntag ebenfalls für den DSV auf dem Podest. Es ist auch die beste Becken-Bilanz des deutschen Teams bei Weltmeisterschaften seit 2009 in Rom - damals, zu Zeiten von Steffen und Paul Biedermann. Immer mit der Einschränkung verbunden, dass diese WM eine war, um die viele der Größten ihrer Zunft einen Bogen machten.
Am späteren Abend fand Isabel Gose dann ihren Frieden mit dem zweiten Platz. Sie habe sich Quadarella schon öfter geschlagen geben müssen, nun sei es wieder passiert - und dann so knapp. Der Bundestrainer zwinge sie bestimmt auch dazu, sich das Rennen noch öfter anzuschauen für die Analyse, "da freue ich mich total drauf", sagte sie ironisch. Aber sie fand zugleich: "Mich Vize-Weltmeisterin zu nennen, ist auch ein sehr schönes Gefühl. Und wenn ich das alles nun Revue passieren lasse, bin ich stolz auf mich."