Schalke 04 nach dem Revierderby:Zeichen von Überforderung

Lesezeit: 3 Min.

Domenico Tedesco nach dem 1:2 gegen den BVB. (Foto: dpa)
  • Domenico Tedesco wechselt im Derby gegen Dortmund Außenverteidiger Mendyl als Stürmer ein.
  • Der Umgang des Trainers mit dem Verteidiger Naldo gibt Rätsel auf.
  • In seinem zweiten Jahr ämpft Tedesco vor allem mit der spielerischen Armut - und mit mangelnder Torgefahr.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Naldo hat versucht, sich nichts anmerken zu lassen, doch die Enttäuschung war ihm trotzdem anzusehen, als die letzte Chance auf seine Einwechslung dahin war. An seiner Stelle hatte Yewgen Konopljanka das Zeichen zur Einwechslung erhalten. Mit dem Kollegen Stambouli sammelte Naldo noch die bunten Plastikhütchen zum Warmlaufen des Ersatzpersonals ein, dann begab er sich mit trägen Schritten zur Bank, um die letzten 17, 18 Minuten des Spiels zu schauen.

Außer einem Pfostentreffer der Gegenseite (Guerreiro, 85.) bekam er nicht mehr viel geboten. Borussia Dortmund brachte den 2:1-Vorsprung ungefährdet ins Ziel, eine Schlussoffensive der Hausherren fand nicht statt, lediglich bei einem Frei- und einem Eckstoß in der Nachspielzeit näherte sich Schalke 04 noch mal dem gegnerischen Tor. Dies wären womöglich die Momente für Naldo gewesen.

Über Ein- und Auswechslungen wird nach Fußballspielen oft zu viel diskutiert. Die meisten Wechsel haben auf das Spielgeschehen keinen großen Einfluss. Manchmal aber geht vom Austausch einzelner Akteure eine ansteckende Wirkung aus, die sich gar nicht überschätzen lässt. So wie am Samstag, als Domenico Tedesco in der 36. Minute den Linksverteidiger Hamza Mendyl für den verletzten Mittelstürmer Guido Burgstaller einsetzte, um dann in der 76. Minute anstelle des Kopfballspezialisten Naldo den Flügel- und Konterstürmer Konopljanka zu bringen.

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Kommentar von Philipp Selldorf

Mangels reeller Torchance darf es als Kunst gelten, dass trotzdem der Ausgleich glückte

Tedesco wurde später befragt, was er sich dabei gedacht hatte, den ungelernten Mendyl ins ungewohnte Einsatzgebiet zu entsenden, zumal dieser dort einen weiteren Ungelernten antraf: den defensiven Mittelfeldspieler Weston McKennie, der infolge der Schalker Stürmerkrankheit (Guido Burgstaller ist der vierte verletzte Angreifer) ebenfalls umgezogen war. "Hamza ist der Schnellste in der Truppe", erklärte der Trainer, "davon haben wir nicht viele - leider." Ein Satz, der tief blicken lässt: In die Verzweiflung des Trainers - und in die Nöte, die ihm sein unterversorgter Kader aufzwingt.

Tedesco spekulierte darauf, dass Mendyls Tempo all die Defizite übertreffen würde, die der 20-Jährige seit dem Sommer regelmäßig nachgewiesen hatte. Mendyl mag seine Begabungen haben, aber bisher hält er sie gut verborgen: Die Bundesliga ist für ihn eine Welt, in der er sich noch nicht zurechtgefunden hat. Tedesco wusste das - und hat ihn trotzdem eingewechselt.

Man kann aus diesem strategischen Gedanken Kühnheit lesen, man kann ihn aber auch als Ausdruck der Überforderung interpretieren. Das Derby legt nahe, dass der junge Trainer Gefahr läuft, sich in seinen eigenen Theorien zu verstricken und zu verlieren. Nächstes Indiz: dass Tedesco in Reaktion auf den erneuten Dortmunder Führungstreffer nicht den turmlangen Naldo - den doppelten Derbyhelden der Vorsaison - in die Offensive schickte, sondern den Flügelmann Konopljanka, den er zuletzt aus guten Gründen (u.a. Mangel an Pferdestärken) ignoriert hatte.

Tedesco hätte mit Naldo sowohl ein Signal der Ermutigung an Team und Publikum senden, als auch eine seriöse Sturmoption eröffnen können, jeder Trainer überall auf der Welt hätte das getan, weil es ein obligatorischer Schachzug war. Tedesco aber tat es nicht.

Tedescos Umgang mit dem 36 Jahre alten, allseits gepriesenen Führungsspieler ist überaus rätselhaft. Im Vorjahr hatte der Brasilianer in jedem Spiel und in jeder Spielminute der Abwehr vorgestanden. In dieser Saison hat ihn der Trainer vom Rotationsspieler zum Reservisten degradiert, derweil der Klub den Vertrag mit Naldo um ein Jahr verlängert hat.

Vertreter des Vereins schwören, es habe keinerlei Zwist oder Vorfall zwischen Trainer und Spieler gegeben, im Gegenteil: Tedesco sei Naldo voller Verehrung und Zuneigung verbunden. Aber er habe eben auch die Überzeugung gewonnen, dass nicht mehr Naldo, sondern Salif Sané der richtige Abwehrchef sei. Warum Naldo dann aber gleich völlig weg vom Fenster ist? Ja, es ist rätselhaft.

Gleichwohl wären Tedescos Pläne fürs Derby fast aufgegangen. Schalke sorgte durch destruktive Gegenwehr dafür, dass die Dortmunder trotz der frühen Führung durch Delaneys Freistoßkopfball (7.) ihre überlegenen spielerischen Mittel nicht effektiv einsetzen konnten. Mit ihrem strapaziösen Pressing schafften es die Schalker, eine Art Patt herzustellen. Mehr allerdings gelang ihnen nicht, unter anderem weil Bentaleb und Rudy im Mittelfeld ein Zentrum für Ballverluste und allgemeine Verunsicherung bildeten.

"Wir haben mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, es gut zu machen", sagte der Kapitän Ralf Fährmann, und so wie dieser Satz klingt, so hat das alles ausgesehen. Mangels reeller Torchance darf es als Kunst gelten, dass trotzdem der Ausgleich glückte: Mit einem von Caligiuri verwandelten Elfmeter. Dass alle drei Treffer der vergangenen drei Pflichtspiele aus Strafstößen resultierten, ist eine bezeichnende Bilanz.

Das Derby hatten die Schalker als Chance auf einen symbolisch wertvollen Erfolg gesehen. Umso mehr sehen sie sich jetzt der bitteren Wirklichkeit ausgeliefert, inklusive erster amtlicher Abstiegskampfwarnungen durch Manager Christian Heidel ("Wir stehen da hinten und kommen da momentan nicht raus"). Dem Erzrivalen war dieser ungleiche Kampf nicht mal Polemik wert. Gefragt, ob er als Traditionsdortmunder die 22 Punkte Vorsprung auf die Königsblauen genieße, antwortete Borussias Sportchef Michael Zorc: "Das ist nicht unser Thema." Damit drückte er nicht Höflichkeit, sondern Desinteresse aus.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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